Verführte Kinder, infantilisierte Erwachsene
Consumed
Benjamin Barber geht in seinem eben auf Deutsch erschienen Buch "Consumed" mit der globalen Marktwirtschaft und der Konsumgesellschaft hart ins Gericht und sieht durch sie letztlich die Demokratie gefährdet.
8. April 2017, 21:58
Nicht jeder Autor hat den Vorteil, dass er seine Recherchen und Überlegungen daheim überprüfen kann. Cornelia, die jüngste Tochter des Politologen Benjamin Barber, war gerade 15 Jahre alt, als er seine Kritik an der Konsumgesellschaft schrieb.
Das Buch "Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt" ist mehr als nur eine Anklage gegen die Kaufsucht unserer Zeit. Wenn der Autor die Kommerzkultur insgesamt angreift, dann ist sein Ärger zwischen den Zeilen spürbar.
Alt, aber gut
Im Frühkapitalismus, so der Autor, habe man Güter produziert. Doch nun schaffen die Werbe- und Marketingexperten nur noch Scheinbedürfnisse. Der Konsument wird ständig der Versuchung ausgesetzt, Dinge zu kaufen, die er nicht braucht. Diese Kritik ist freilich alles andere als neu. Das Lamento über eine sinnentleerte Konsumgesellschaft hält sich beharrlich seit den 1960er Jahren und ist ein Immergrün in politischen Debatten. "Na und?", meint Benjamin Barber darauf. Die Kritik mag zwar alt sein, aber sie sei nach wie vor berechtigt. Außerdem: "Heutzutage wohnen wir in einer informationsgesellschaft, und in diesem sinn ist die Verbundenheit der Welt enger als früher und diese Kritik ist umso wichtiger."
Ich will alles, und das sofort
Benjamin Barbers Kernargument konzentriert sich auf das sogenannte infantilistische Ethos. Im Rahmen dessen werde ein impulsiver Konsumismus gefördert. Das geschieht erstens durch das direkte Bewerben von Kindern und Jugendlichen, und, zweitens durch eine Art geförderte Rückentwicklung der Erwachsenen in einen kindlicheren Zustand.
Diese Infantilisierung beschränke sich nicht nur auf den Kaufrausch im Einkaufszentrum oder beim Shopping im Internet. Sie setze sich etwa im Unterhaltungsbereich fort, erklärt Barber und verweist etwa auf die Shrek- und Batman-Sequels.
Der Primat des Einfachen
Kinder bevorzugen das Leichte vor dem Schwierigen, das Einfache vor dem Komplizierten, das Schnelle vor dem Langsamen. Erwachsene, die ihre innere Kindlichkeit ausleben, verhalten sich ganz ähnlich. Die Auswirkungen dessen seien gesamtgesellschaftlich zu beobachten, indem das Leichte belohnt und das Schwierige bestraft werde, schreibt Benjamin Barber.
Jenen, die den Weg abkürzen und bei jeder Gelegenheit das Komplizierte vereinfachen, wird dauerhafter Gewinn versprochen. Abnehmen ohne Bewegung, Eheschließung ohne Verpflichtung, Malen oder Klavierspielen nach Zahlen, ohne Übung und Disziplin, "College"-Abschlüsse im Internet ohne Hausarbeiten und Lernen, sportliche Erfolge durch Steroide und Showboating.
Gefahr für die Demokratie
In letzter Konsequenz, warnt der Autor, gefährde totaler Konsumismus die Demokratie. Der Bürger verabschiedet sich von seiner Verantwortung und von seinen Pflichten als Mitglied einer Gesellschaft. In den USA seien die Folgen deutlich sichtbar. Öffentlichen Verkehr beispielsweise könne man nicht durch Konsumentscheidungen herbeiführen, sondern nur durch Bürgerschaft, durch kollektive Arbeit.
Ebenso alt wie die Kritik am Konsumismus ist die Klage, dass man dagegen recht wenig ausrichten könne. Es gebe keinen Machtblock, so der Autor, der sich eine Korrektur der Konsumgesellschaft vornehme. Der Bürger müsse von sich aus klüger werden und dürfe sich nicht etwa mit seinem Nachbarn in ein kompetitives Konsummatch um den besseren Fernseher oder das schnittigere Auto einlassen: Was ich hier will ist wieder einen Pluralismus: Shopping: ja, Religion: ja, Beten: ja, Spielen: ja, Laufen: ja, mit der Familie sein: ja. ein lebender Pluralismus mit vielen Zielen, aber nicht nur ein Ziel: Shopping."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Benjamin Barber, "Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt", aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese, C. H. Beck Verlag
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Benjamin R. Barber