Das Leben nach dem Tod

Il Duce

Das makabre Nachleben des Benito Mussolini begann, als seine Leiche in Mailand an den Füßen aufgehängt und Bestialitäten ausgesetzt war. Es ist dieser malträtierte Körper, so der Historiker Sergio Luzzatto, auf dem Italiens neue Republik gründete.

Das faschistische Italien und seine Nachwehen unter der Lupe der Body History. Untersucht wird in diesem Ansatz der symbolische Gehalt des lebenden und toten Körpers Mussolini auf das kollektive Gedächtnis der Italiener, deren Umgang mit dem Faschismus. Es ist der Versuch, die Faszination charismatischer Herrschaft, die Glorifizierung eines allmächtigen Diktators und die Enttäuschung über seine Ohnmacht auch psycho-politisch zu fassen.

Keine "Stunde null"

Wie wenige Tyrannen in der Geschichte wurde der Duce vom eigenen Volk gerichtet und dann wie der gemeinste Verbrecher der Menge zur Schau gestellt. Mit dieser Geste meinte sich Italien von Bürgerkrieg, Faschismus und Niederlage zu befreien. Mit dieser Revolte sollten auch für Italien die Glocken der "Stunde null" läuten. Doch die kritische Geschichtsschreibung bezweifelt auch hier die kathartische Wirkung.

Ein halbes Jahrhundert lang haben Scharen von mehr oder weniger dilettantischen und mehr oder weniger militanten Historikern das Klischee eines Italien aufgewärmt, das sich faschistisch schlafen legte und am nächsten Morgen antifaschistisch aufwachte. (...) Es ist eine Minderheit, die am Tag nach der Verhaftung Mussolinis feierte und seine exemplarische Ermordung inszenierte, und eine Minderheit hatte sich 20 Jahre lang den physischen Tod Mussolinis gewünscht.

Vom Volk malträtiert
Die Geschichte des Leichnams Mussolinis bildet daher eine Schnittstelle von Faschismus, Antifaschismus und Postfaschismus. Hier trafen Fragen der Schuld, Scham und Verantwortung der jüngsten Geschichte Italiens aufeinander. Am 28. April 1945 endete zwar die Geschichte des lebendigen Körpers Mussolinis. Sie ging sofort in Geschichte seines toten Körpers über.

Mussolini wurde am Como See zusammen mit seiner Geliebten Clara Petacci vom kommunistischen Widerstand ermordet und am nächsten Tag an der Piazzale Loreto in Mailand dem Volk preisgegeben. Der hinfällige impotente Körper des Duce wurde mit einer ähnlichen intensiven Leidenschaft malträtiert, wie er vorher über 20 Jahre lang idealisiert wurde.

Kein Mythos mehr möglich
Absolute Macht herrscht dort, wo man töten kann ohne einen Mord zu begehen. So interpretiert Sergio Luzzato die Stärke der Henker, der italienischen Partisanen. Durch den grausamen öffentlichen Ritus sollten alle vom Ende des Faschismus überzeugt werden. Jede Idee des Mythos, der Duce könnte vielleicht doch als Unsterblicher überlebt haben, sollte im Keim erstickt werden.

Die Schüsse auf den Leichnam des Duce, der Anblick der Gehängten, das Schild mit Mussolinis Namen, all das verhindert ein Wiederaufleben der reichen europäischen Tradition des "versteckten Königs", das heißt des Mythos von einem Volksanführer, der gezwungen ist, sich zu verstecken, weil er verfolgt wird, aber immer noch an das Wohl seiner Anhänger denkt und nur auf den Moment wartet, indem er wieder auftauchen kann, um sie wieder glücklich zu machen.

Dramatische Gesten wie diese beweisen die symbolische Macht des Körpers in der Politik. Der virile Körper des Duce fungierte als Herrschaftsinstrument, er brachte die Macht zur Aufführung. Mussolini hatte sich einst über den schwachen italienischen König erhoben. Doch anders als die Königsmacht, die dem Prinzip der Dynastie über das Leben der einzelnen Monarchen hinaus verfolgte, gründete die Macht des charismatischen Führers auf seiner Einzigartigkeit. Da er sich nicht ersetzen lässt, gilt das Motto: nach dem Tyrannen die Sintflut.

Die Welt, die zerstört werden musste
In 160 geplanten Anschläge auf den lebenden Körper des Duce, einige davon auch zur Ausführung gebracht, versuchte sich das "andere" Italien des Diktators zu entledigen. Der Körper Mussolinis symbolisierte die Welt, die zerstört werden musste. Sozialisten organisierten schon 1919 ein fingiertes Begräbnis. Und so nimmt es auch nicht wunder, dass die italienischen Neofaschisten den versteckten Leichnam fanden, ausgruben und 1957 in seinem Heimatort Predappio unter dem Liktorenbündel, dem Symbol seiner Macht und des Faschismus, beisetzte.

Wie andere totalitäre Systeme des 20.Jahrhunderts träumte auch der Faschismus auf verschiedene Weise davon, dem Körper des charismatischen Führers die Dauerhaftigkeit der Institution zu verleihen, die er verkörperte und in gewisser Weise begrenzte, die Dauerhaftigkeit eines Denkmals, eines leblosen Gegenstandes also, der in seiner Beschaffenheit nicht von einem einbalsamierten Leichnams zu unterscheiden war.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Sergio Luzzatto, "Il Duce: Das Leben nach dem Tod", aus dem Italienischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn, Eichborn Verlag