Zwischen Religion, Aufklärung und Vernunft
Kleine Geschichte des Aberglaubens
Aberglaube gilt als irrational, unwissenschaftlich, unvernünftig, minderwertig. Er steht dem eigenen, als "korrekt" empfundenen Glauben gegenüber, und ist damit subjektiv. Wer gibt nun aber vor, welcher Glaube gut, korrekt und richtig ist?
8. April 2017, 21:58
In der Antike wurde der Aberglaube von der Religion abgegrenzt. Man empfand Aberglaube als übertriebene Religion. Verehrte, besang und pflegte ein Mensch sehr aufopfernd seine Götter, so galt er als abergläubisch.
Gleichzeitig wurde das Etikett "Aberglaube" verwendet, um den Glauben der Anderen herabzusetzen. Römische Philosophen verwendeten das Wort superstitio für die religiösen Gebräuche der ungebildeten Schichten und der Leute vom Land. Auch die exotischen Religionen der anderen Völker erachteten die Römer als Aberglaube, als superstitio - unter anderem auch das aufkommende Christentum. In der Spätantike charakterisierten sich sämtliche konkurrierenden Angebote am Weltanschauungsmarkt gegenseitig als abergläubisch.
Glaube versus Aberglaube
Der Aberglaube hat seit Jahrtausenden viele Gegner gesehen. Einer von ihnen war und ist die Religion, vor allem die christliche Religion. Der wahre und gute Glaube wird dem falschen Aberglauben gegenüber gestellt.
Bei Thomas von Aquin beispielsweise findet man die Definition von Religion als dem Kult des wahren Gottes und der richtigen Art des Kultes. Aberglaube hingegen ist einerseits der Kult der falschen Götter und andererseits die falsche Art Gott zu verehren. In der Reformationszeit bezeichneten die Protestanten die katholischen Gebräuche als abergläubisch. Und im ausgehenden Mittelalter begann die Kirche Abweichungen von der christlichen Glaubenslehre anzuprangern. Die "religio vera" wurde der "religio falsa" gegenübergestellt.
Sieg der Vernunft
Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Vernunft zum Gegenspieler des Aberglaubens. Der Mensch sollte von starren und überholten Vorstellungen, Vorurteilen und Ideologien befreit werden. Aberglaube war nicht mehr en vogue.
Kaiserin Maria Theresia setzte Mitte des 18. Jahrhunderts sogar eine Kommission ein, um ein "kaiserlich-königliches Gesetz zur Ausrottung des Aberglaubens, sowie zum rationalen Verfahren der kriminalistischen Beurteilung von Magie und Zauberei" zu erarbeiten. Dazu kam die emporstrebende Wissenschaft, die beweisen, erkennen und wissen wollte, und nicht vertrauen und glauben.
Wissenschaft als oberstes Gebot
Auch heute dominiert die Wissenschaft das Leben des modernen Menschen. Sie hat sämtliche Funktionen der Religion übernommen. Wissenschaftlichkeit gilt als Werkzeug der korrekten Weltinterpretation. Doch die Autorität des wissenschaftlichen Wissens ist zunehmend umstritten.
Der moderne Mensch versinkt in einer Flut von Information: Technische Geräte, internationale Vernetzung und Medikamente funktionieren, der Normalbürger weiß aber nicht, wie. Der Mensch muss wiederum blind vertrauen - nun aber nicht mehr der Gunst der Götter oder des Teufels, sondern der Wissenschaft und Technik.
Wissenschaft, Aufklärung und Vernunft genügen aber nicht. Seit den 1960er Jahren sind Aberglaube, Magie, Astrologie und der Glaube an Übersinnliches wieder verstärkt im Kommen. Die so oft geforderte Objektivität bleibt dabei auf der Strecke. Vielleicht hat Aberglaube eine notwendige soziale und psychologische Funktion. Möglicherweise aber ist das Projekt der Aufklärung einfach noch nicht vollendet und muss weiterhin angestrebt werden.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 2. April 2008, 21:01 Uhr