Noch ein Opern-Dream-Team
Der weltbeste Tonio
Belcanto-Klamauk und Emanzipationsgeschichten, Mondfahrt und nächtliche Spaziergänge bieten aktuelle Opern-Neuerscheinungen auf CD und DVD. Darunter befindet sich auch die "Regimentstochter" mit dem zur Zeit weltbesten Tonio.
8. April 2017, 21:58
Wenn es um "Belcanto" geht, setzt die New Yorker Metropolitan Opera in dieser Saison ganz auf Natalie Dessay. Die französische Sopranistin hat in der Titelrolle einer Neuproduktion von Donizettis "Lucia di Lammermoor" die Spielzeit eröffnet - ein Prestige-Termin, bei dem viele Jahre lang traditionell Tenöre vom Kaliber Pavarotti/Domingo im Mittelpunkt standen.
Vor wenigen Tagen gab es an der MET dann die nächste Dessay-Premiere: Wieder Gaetano Donizetti, seine "Fille du régiment", in der Laurent-Pelly-Inszenierung, die schon in London und Wien das Opernpublikum hat Kopf stehen lassen, und wieder mit dem zur Zeit weltbesten Tonio, Juan Diego Florez. Für den Tenor hat man an der MET sogar ein Encore zugelassen: Erstmals seit 1994, seit einer "Tosca"-Aufführung mit Luciano Pavarotti, durfte eine Nummer wiederholt werden - natürlich das "Ah, mes amis", bei dem Florez seine neun hohen C's ins 4.000 Personen fassende Auditorium pfeffert.
"La fille du régiment" auf DVD
Dass diese Produktion unterdokumentiert wäre, kann man nicht behaupten: Die Wiener-Staatsopern-Aufführung der "Regimentstochter" mit Florez-Dessay war seinerzeit nicht nur in Ö1 zu hören, sondern auch im Österreichischen Fernsehen live mitzuerleben.
Ein DVD-Mitschnitt aus dem Royal Opera House Covent Garden in London kommt am 25. April in den Handel, und am Samstag den 26. April ist "La fille du régiment" via Telecast nicht nur in ausgewählten amerikanischen Großkinos auf der Leinwand zu verfolgen, sondern auch da und dort in österreichischen Lichtspielen.
"La sonnambula" auf CD
Eine weitere ihrer aus Wien gut bekannten Erfolgspartien, mit der sie sich demnächst auch an der Metropolitan Opera vorstellen wird, die Amina in Bellinis "La sonnambula", hat Natalie Dessay hingegen ohne Juan Diego Florez aufnehmen müssen, der auch als Elvino oft ihr Bühnenpartner war. Dafür stellt die in Lyon unter der Leitung von Evelino Pido entstandene Einspielung, die mit dem verwendeten Notenmaterial auf dem allerneuesten Stand ist, auch die philologisch anspruchsvollen Plattensammlerinnen und -sammler zufrieden.
Wer von einer Neuaufnahme der "Nachtwandlerin" neue Impulse erwartet, wird auf die angekündigte mit Cecilia Bartoli im Mittelpunkt warten: à la Maria Malibran, ohne Zwitscher-Koloraturen, belebt durch Bartolis Erfahrungen mit älterer Musik. Nicht von ungefähr war bei ihrer "Sonnambula"-Premiere Anfang April in Baden-Baden das unter Thomas Hengelbrock auf Originalinstrumenten musizierende Balthasar-Neumann-Ensemble mit dabei.
Janacek-Komödiantik
Bereits Wiener Staatsopern-Geschichte ist "La sonnambula" mit Anna Netrebko, die derzeit für die Giulietta in konzertanten Aufführungen von Bellinis Romeo-und-Julia-Oper "I Capuleti e i Montecchi" im Wiener Konzerthaus zu Gast ist. Ö1 sendet den Mitschnitt am 3. Mai 2008, die Deutsche Grammophon bereitet eine CD-Produktion vor. Von den Fans dringlich erwartet, kommt Anfang Mai auch die "Boheme" mit dem Duo Netrebko-Villazon auf den CD-Markt.
Produziert das Schallplatten-Traditionslabel mit dem gelben Etikett überhaupt noch Oper ohne "Anna/Rolando"? In Ausnahmefällen ja: Jiri Belohlávek, derzeit Chefdirigent von BBC Symphony, hat für Leos Janáceks Schwejk-hafte "Ausflüge des Herrn Broucek" eine mit dem tschechischen Idiom vertraute Sängerbesetzung nach London geholt und Mustergültiges geleistet. Wer sich auf Janaceks Oper mit ihren bizarren Wirtshaus- und "Mondfahrt"-Episoden einlässt, taucht ein in eine eigene Welt - und erlebt einen Janacek, wie ihn "Jenufa" oder "Katja Kabanova" nicht zeigen.
Französische Oper aus Wien
"Katja Kabanova" mit Anja Silja und Melanie Diener hat im Theater an der Wien gerade erst hymnische Kritiken erhalten; mit Donnerstag, 24. April 2008 ist die Aufführungsserie, deren orchestrale Basis vom RSO Wien unter Kirill Petrenko kam, schon wieder "abgespielt". Neu auf CD mit dem RSO, diesmal geleitet vom "Chef", Bertrand de Billy, ist ein Werk zwischen Romantik und Moderne: "Ariane et Barbe-Bleue" des französischen Außenseiter-Komponisten Paul Dukas.
Wie bei Dukas' Konzert-Hit, dem "Zauberlehrling", ist auch bei seiner "Blaubart"-Oper die nicht enden wollende Phantasie des Instrumental-Komponisten Dukas zu bewundern. Auf der Bühne - in diesem Fall einer imaginären Bühne, denn die Aufnahme kommt aus dem Wiener Konzerthaus - ist nicht Blaubart die Hauptperson, sondern Ariane, die sich, anders als frühere Blaubart-"Opfer", dem männlichen Terror entzieht und zu eigenständigem Weiter-Leben aufbricht. Eine frühe Frauen-Emanzipationsoper? Das symbolistische Libretto ermöglicht auch diese Deutung. Auch wenn Deborah Polaski die Ariane mit Elektra-Tönen auflädt: ein Muss für Opernfans, die sich für die nur kurz blühende, typisch französische Stilmischung zwischen "nach Wagner" und "vor dem Impressionismus" begeistern können, die Bertrand de Billy so souverän zum Klingen bringt.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Netrebko und Garanca im Konzerthaus
Anja Silja über "Katja Kabanova"
Zwei starke Frauen im Gewitter der Gefühle
Die "Regimentstochter" im Haus am Ring
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 24. April 2008, 15:06 Uhr
CD-Tipps
Vincenzo Bellini, "La sonnambula", Natalie Dessay, Francesco Meli, Carlo Colombara, Chor und Orchester des Opernhauses Lyon, Evelino Pido (Dirigent), VIRGIN 95138
Leos Janacek, "Die Ausflüge des Herrn Broucek", Jan Vacik, Peter Straka, Maria Haan, BBC Singers, BBC Symphony Orchestra, Jirí Belohlávek (Dirigent), DG 477 7387
Paul Dukas, "Ariane et Barbe-Bleue", Deborah Polaski, Jane Henschel, Ruxandra Donose, Kwangchul Youn, Slowakischer Philharmonischer Chor, Radio-Symphonieorchester Wien, Bertrand de Billy (Dirigent), Oehms OCD 915
DVD-Tipp
Gaetano Donizetti, "La fille du régiment", Natalie Dessay, Juan Diego Florez, Alessandro Corbelli, Felicity Palmer, Chor und Orchester des Royal Opera House Covent Garden, London, Bruno Campanella (Dirigent), DVD EMI 5190029