Der Kampf gegen die Macht

Russlands Kleinunternehmer

Der russische Wirtschaftsboom geht großteils auf die Energiewirtschaft zurück. Wirtschaftsforscher sehen aber im Aufschwung der Klein- und Mittelbetriebe große Chancen. Noch kämpfen die kleinen Unternehmer Russlands mit vielen Hürden.

Kleinunternehmer haben es in Russland schwer.

Eine kleine Fabrik etwas außerhalb von Moskau: Zvezda, zu Deutsch: Stern, steht am Eingang. Auf den ersten Blick scheint hier die sowjetische Zeit stehen geblieben zu sein. Von außen würde man nicht vermuten, dass sich hinter diesen Mauern eine erfolgreiche Spielzeugfabrik befindet. Hier werden Modelle erzeugt, und zwar von legendären russischen Flugzeugen, Weltraumfähren und Panzern. Originalgetreu in Spielzeuggröße. Das hat sich zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, auch international.

Anfänge in der Goldgräberzeit

Die Gründung von "Zvezda" fiel in die sogenannte Goldgräberzeit der postsowjetischen Ära: in den 1990er Jahren versuchte jeder irgendwie sein Glück auf dem neuen Markt mit den neuen Freiheiten. Freiheiten, die vielfach Chaos bedeuten, wodurch sich aber auch ungeahnte Möglichkeiten eröffneten für jene, die sie zu nutzen wussten.

Man musste damals ziemlich kreativ und erfinderisch sein, sagt Firmenchef und Gründer von Zvezda, Konstantin Krivenko: "Es war damals zum Beispiel sehr schwierig, an Produktionsmaterial heranzukommen. Geld nutze damals überhaupt nichts, im Land war ein einziger riesiger Tauschhandel im Gange. Wir mussten uns ständig überlegen, was jemand brauchen konnte, damit wir Material bekommen. Um zum Beispiel an Metall für unsere Modelle heranzukommen, bauten wir Möbel, diese tauschten wir gegen Diwane, also Sofas und für diese Sofas erhielten wir dann das Metall, das wir für unsere Spielzeuge brauchten."

Heute wäre es ohne Startkapital nicht möglich, sagt Krivenko. Auch war damals der Markt nicht so strukturiert, man konnte leichter seine Nischen finden, heute sei alles schon sehr geregelt, Nischen zu finden, wird schwieriger.

Das sowjetische Erbe

Zvezda ist ein erfolgreicher Herzeigebetrieb, aber zu erfolgreich letztlich, um stellvertretend für die Klein- und Mittelbetriebe in Russland herhalten zu können. Denn denen geht es im Allgemeinen alles andere als rosig, sagt der österreichische Handelsdelegierte in Moskau, Johann Kausel: "Der Wandel von den sowjetischen Wirtschaftsstrukturen, wo große Konglomerate und Kombinate dominierten, zu einer stark diversifizierten Wirtschaft ist noch lange nicht geschafft."

Die russische Wirtschaft hat schwer mit dem sowjetischen Erbe zu kämpfen. Darüber können die hohen Wachstumsraten von acht Prozent nicht hinwegtäuschen. Der Einfluss des Staates und der Politik auf die Wirtschaft ist noch sehr groß, die Privatisierung der Staatsbetriebe stockt und die Privatwirtschaft wird von einigen Wenigen kontrolliert. 30 Prozent der gesamten russischen Wirtschaft liegt in der Hand einiger Oligarchen. Klein- und Mittelbetriebe machen gerade mal fünf bis zehn Prozent aus.

Die Schattenseiten des Erfolgs

Gleichzeitig ist die Wirtschaft ganz auf Energieressourcen, also auf Erdöl- und Erdgas konzentriert. Die hohen Rohstoffpreise bringen Geld in die Kassen. Notwendige Produkte können importiert werden, was aber die einheimische Produktion untergräbt. Außerdem verleiten die vollen Kassen die Verantwortlichen, die notwendige Umstrukturierung der russischen Wirtschaft zu vernachlässigen.

Die Wirtschaft entwickelt sich auch nicht im ganzen Land gleichmäßig: die großen Städte boomen, auf dem Land herrscht vielfach Stillstand. Signal dafür ist das Lohnniveau: in Moskau liegt ein durchschnittlicher Monatslohn bei umgerechnet 800 Euro, in den ländlichen Gebieten nur mehr bei 250 Euro. Die Arbeitslosigkeit beträgt 20 Prozent in den ländlichen Gebieten, während es etwa in Moskau fast keine Arbeitslosigkeit gibt.

Große Unterschiede

Die Förderung von Klein- und Mittelbetriebe im ganzen Land könnte diese Kluft zwischen Arm und Reich kleiner machen. Klein- und Mittelbetriebe werden auch staatlich gefördert, es gibt ein eigenes Präsidentenprogramm dafür. Aber die Probleme der Klein- und Mittelbetriebe haben sich trotz staatlicher Programme nicht wirklich verbessert. Ein großes Problem ist die Steuer, sagt der österreichische Handelsdelegierte Kausl. Die Steuerlast, gekoppelt mit unklaren Steuergesetzen, lasse viele sehr erfinderisch werden.

Es geht aber nicht allein nur um die Höhe der Steuer, sondern auch darum, dass im Steuern- und Bürokratiedschungel ein Kleinunternehmen einfach keinen Überblick bekommen kann. Man ist sehr schnell im Illegalen, ohne dort sein zu wollen, sagt ein anderer Unternehmer, der nur als Oleg genannt werden will, resignierend. Er hat eine kleine Internetfirma mit einer Handvoll Mitarbeiter. Seine Firma will er nicht genannt wissen.

"Business braucht etwas wie fixe Spielregeln. Es muss genaue klare Gesetze geben, wo geschrieben steht, das kostet 100 Rubel, diese Genehmigung kostet und wenn du alles so gemacht hast, dann ist es gut. Und wenn es ein Problem gibt, dann kannst du damit vor Gericht gehen. Es gibt solche Gesetze, aber mit so vielen Details und Schattierungen, das man alles auch ganz anders verstehen kann. Er bräuchte seine ganze Arbeitskraft und wohl noch mehr, um da durchzublicken." Das können sich kleine Firmen wie die seine einfach nicht leisten.

Problem: Arbeitskräftemangel

Das bestätigt auch der Chef der gut florierenden Spielzeugfabrik "Zvezda", Konstantin Krivenko. "Es ist sehr, sehr schwierig, qualifiziertes Personal zu finden. Die Berufsausbildung ist seit Beginn der 1990er Jahre zerstört und wird weiter kaputt gemacht. Wir müssen unsere Mitarbeiter selber ausbilden."

Auch in den großen Städten Russlands herrscht Fachkräftemangel, sagt der österreichische Handelsdelegierte Kausl. "Das kommt in Moskau oder St. Petersburg mittlerweile öfter vor als man denkt: in den beiden russischen Metropolen herrscht de facto Vollbeschäftigung. Das heißt, ein Betrieb muss seinen Mitarbeitern einiges bieten, um sie an sich zu binden. Das können die großen Unternehmen mit lukrativen Lohnangeboten und attraktiven Karrierechancen leichter bewerkstelligen, als Kleinbetriebe."

Noch hat die Politik in Russland trotz aller Lippenbekenntnisse nicht wirklich erkannt, wie wichtig die Klein- und Mittelbetriebe für die wirtschaftliche Entwicklung im Land sind. Eine echte und effiziente Förderung des Mittelsstandes im breitesten Sinn hätte auch eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion: ein starker Mittelstand könnte helfen, die große Kluft in Russland zwischen den wenigen Superreichen und der Masse der Armen, die die Gefahr von politischen und damit auch wirtschaftlichen Turbulenzen in sich birgt, zumindest zu verringern.

Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 16. Mai 2008, 9:45 Uhr

Links
Wirtschaftskammer Österreich - Russland-Informationen
Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche
Russian Invest (Russische Betriebsansiedelungsagentur)
Russische Handelskammer in der EU
Spielzeugfabrik Zvezda
OPORA (Vertretung der Klein-und Mittelbetriebe in Russland]