Pulsierende Musikmetropole im kanadischen Quebec

Momentaufnahme Montreal

In der Musikszene Montreals pocht und pulsiert es und die Musikschaffenden in Montreal beeindrucken mit Eigensinn und Eigeninitiative und mit einem ausgeprägten politischem Bewusstsein. Nun wird eine musikalische Brücke nach Südamerika aufgebaut.

Vieles nahm in Montreal seinen Anfang in den späten 1990er Jahren. "Die Leute haben alles Mögliche ausprobiert und experimentiert", erinnert sich Sam Shalabi zurück, "und Musikerinnen und Musiker aus den unterschiedlichsten Genres begannen, miteinander zu spielen."

Begleitet wurde der damalige kreative Aufbruch von einer wirtschaftlichen Depression. Der bereits rund drei Jahrzehnte andauernde frankokanadische Separatismus hatte zu einer massenhaften Abwanderung diverser Unternehmen geführt. Auch die meisten Plattenlabels hatten die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Die meisten Clubs waren geschlossen, viele Bands hatten Montreal aus ihrem Tourkalender genommen.

Kreativer Aufschwung

Nicht zuletzt aber wirkte eben gerade die unsichere politische und wirtschaftliche Lage auf das Musikleben in Montreal auch befruchtend. Don Wilkie, Mitbegründer des Labels Constellation Records, auf dem nicht zuletzt die berühmt berüchtigte experimentelle Rockband godspeed you! black emperor veröffentlichte, führt aus, warum:

"Künstlerinnen und Künstler aus ganz Kanada zogen nach Montreal, und hierbei handelte es sich um Leute, denen Kunst wichtiger als Geld war. Auf Grund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Lage, war es in Montreal möglich, billig zu leben. Die Mietkosten waren niedrig und es gab auch viele leer stehende Räume. Es war möglich, in irgendeinem Brotjob nur ein paar Tage die Woche zu arbeiten, um dann den Rest der Zeit das zu tun, was man wirklich tun wollte. In den letzten Jahren hat sich das alles geändert, der Gentrifizierungsprozess hat viele gezwungen, jene Stadtteile zu verlassen, in denen sich Mitte der 1990er Jahre Kreative angesiedelt haben, insbesondere die Bezirke Plateau du Mont Royal und nun auch Mile End. Heute ist es in Montreal nicht mehr so einfach, eben ein derartiges Leben zu führen, aber die damaligen günstigen Lebensbedingungen haben das Musikleben dieser Stadt sicherlich stark geprägt."

Hotel 2 Tango

Mile End, das ist jener Bezirk oberhalb des Plateau du Mont Royal, in dem sich auch das Hotel 2 Tango befindet. Einige Mitglieder von godspeed you! black emperor öffneten Mitte der 1990er Jahre die Türen ihrer Loftwohnung für befreundete Musikerinnen, Musiker und Publikum. Ihren kollektiven Wohn- und Arbeitsraum tauften sie Hotel 2 Tango.

Bald wurden dort auch Konzerte veranstaltet, zu denen unter anderem Gary Worsley lud, einer der beiden Begründer des Montrealer Labels Alien 8 Recordings. Für Neuankömmlinge sei der erste Besuch im Hotel 2 Tango in der Regel ein wenig befremdend gewesen, so Worsley, stand man doch praktisch mitten in einem Wohnzimmer, letztendlich hätten es sich die Besucherinnen und Besucher aber auf den vielen abgewetzten Couches gemütlich gemacht. Bis zu rund 350 Leute kamen zu den Konzerten im Hotel 2 Tango. Heute ist das Hotel 2 Tango ein begehrtes Aufnahmestudio.

Brückenbauer

In Montreal, so die Musikerin und Musikjournalistin Hélène Prévost, herrscht ein Geist der Unabhängigkeit. Die Stadt nahe der Ostküste ist praktisch eine Insel, umringt von einer Reihe von Flüssen und wer diese Insel verlässt, so Prévost, dem würde unmittelbar bewusst werden, wie klein und verwundbar dieses mehrheitlich französischsprachige Fleckchen Nordamerika doch ist. Deswegen seien die Leute aus Montreal auch emsige Brückenbauer.

Hélène Prévost: "Immer mehr Leute in Montreal organisieren sich in Netzwerken, das Leben hier ist sehr dynamisch und Montreal ist in vielerlei Hinsicht ein zentraler Treffpunkt. Die Brücke ist also ein Symbol. Die Menschen verlassen Montreal und kommen zurück mit neuen Ideen."

Außenseitertum als Vorteil

Mitunter hätte ihnen diese Außenseiterrolle, in der sich die frankophone Bevölkerung Kanadas mitunter sieht, in den letzten Jahren sogar geholfen, so Alain Mongeau, der Begründer und künstlerische Leiter des Mutek Festivals für "Electronic Music and Digital Creativity", denn seit der Wahl George Bushs zum Präsidenten der USA und seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 wehe in Nordamerika ein eisiger Wind der Isolation.

Alain Mongeau: "Wir sind aufgrund unserer französischsprachigen Wurzeln gewissermaßen privilegiert, dadurch gab es immer schon eine starke Anbindung an Europa. Diese Brücke zu Europa hat uns in den letzten Jahren geholfen, zu überleben. Und nachdem wir uns auf die USA nicht verlassen konnten, haben wir als eine weitere Strategie auch eine Brücke über die USA drüber nach Südamerika gebaut. Genauso wie der Austausch von Ost und West nach dem Ende des Realsozialismus eine neue Dynamik in das europäische Kulturleben gebracht hat, ist es für uns wichtig, mit dem Süden Amerikas in einen Dialog zu treten, der ja sozusagen auch unser Hinterhof ist."

Seit einigen Jahren bereits gibt es auch Mutek Festivals und Konzertreihen in Mexiko, Chile, Argentinien und Brasilien, wobei es sich hier um ein informelles Netzwerk handeln würde, wie Alain Mongeau ausführt, ganz dem Motto der Quebecoises entsprechend: Do it yourself.