Leben im Quartett

Muss es sein

Das Impresariat Simmenauer ist eine der wichtigsten Kammermusikagenturen. Zum 20-jährigen Betriebsjubiläum hat Sonia Simmenauer ein jüdisches Café und Veranstaltungszentrum in Hamburg eröffnet, und sie hat ein Buch geschrieben.

Ein Streichquartett ist ein Wunderwerk. Das gilt für die Komposition, die Instrumente und die Spielenden. Kein anderes Ensemble ist gleichzeitig im Klang so eng definiert und doch so vollkommen. Es gibt keine andere Werkgattung, die die Komponisten bis heute so stark herausfordert. Und es gibt kein anderes Genre, das ein so fanatisches Publikum hat, in dem sich noch dazu mehr echte Kenner befinden als etwa am Stehplatz in der Oper.

Immer wieder zückt jemand diskret (oder weniger diskret) eine Taschenpartitur samt spitzem Bleistift, um sich während des Konzerts eifrig Notizen zu machen. Das ist dann aber meist kein Kritiker; vielmehr wird es sich um einen regen Amateurmusiker handeln, der sich für seine nächste Probe mit Argumenten wappnen will.

Was es fürs Streichquartettspiel braucht

Sonia Simmenauer hat keine Ahnung, wie man ein Streichinstrument spielt. Aber sie weiß genau, was ein Musiker für sein Spiel braucht; und was er rund um sein Spiel braucht.

Der Musikeralltag gleicht einem minutiös gewebten Teppich aus Verpflichtungen, Aufgaben, Übereinkünften und unverrückbaren Terminen.

In diesem Satz kommt das Wort "musizieren" nicht einmal vor, und um all die Dinge in diesem Satz kümmert sich Sonia Simmenauer. Streichquartett-Konzerte in großen Sälen vor 1.000 ausverkauften Sitzplätzen sind nur die Spitze des Eisberges. Die weitaus meisten Auftritte finden vor nicht mehr als 100 Menschen statt; veranstaltet von kleinen Kulturinitiativen, die sehr oft eben von Amateur-Musikern betrieben werden.

Eine Anekdote erzählt, dass ein sehr versierter Veranstalter ein berühmtes Quartett aufgrund einer ausgelassenen Reprise für Jahre von seinem Programm verbannte.

Simmenauer vertritt 17 Streichquartette

Sonia Simmenauer weiß jedenfalls, wovon sie erzählt. Seit fast dreißig Jahren ist sie im Klassik-Geschäft, sie vertritt 17 Streichquartette, und zwar die creme de la creme des genres. Gerade zum 20-jährigen Betriebsjubiläum ihrer eigenen Agentur beenden zwei ihrer berühmtesten Kunden die Karriere: Das Alban Berg Quartett und das Guarneri Quartett. Vielleicht war das mit ein Anlass, Bilanz zu ziehen, dieses Buch zu schreiben.

Sonia Simmenauer war in erster Ehe mit einem Cellisten verheiratet, der daheim mit seinem Quartett probte, ihr zweiter Mann ist Psychoanalytiker. Diese Erfahrungen haben offensichtlich dazu beigetragen, dass Simmenauer als Agentin so gefragt, und ihr Buch so lesenswert ist. Mit klarem Blick erfasst sie Ereignisse, die die Beziehung zwischen vier musizierenden Menschen prägen:

Mein erstes Büro grenzte an den Raum, der zum Quartettproberaum wurde. Ich verfolgte notgedrungen und manchmal widerwillig das Ringen der vier Herren um das Sich-Zusammenfügen der vier Stimmen. Es konnte furchtbar quälend sein. Ein paar Takte, gefolgt von langen Diskussionen. Die Worte konnte ich nicht im Einzelnen verstehen, aber die Musik und das, was sie übertrug, drangen klar durch die Wand. Immer wieder die gleichen Takte, mal langsamer, mal schneller. Ein abruptes Unterbrechen, wobei der eine oder andere einige Takte allein weiterspielte. Wenn man die Worte nicht versteht, die gesprochen werden, sondern nur die Stimmlage und Töne, entsteht eine eigentümliche Musik, eine andere Form des Quartettspielens: Erst sagt einer etwas, dann vermischen sich alle vier Stimmen, legen sich übereinander, eine Stimme wird lauter, einer redet schneller, um nicht unterbrochen zu werden, dazwischen blitzen kurze bissige Töne. Es konnte passieren, dass dann einer sich nicht mehr an der Diskussion beteiligte und sein Schweigen lauter wurde als die Stimmen der anderen, das gleiche, wenn inmitten des Spielens einer aufhörte. Es dauert einen Moment für den Außenstehenden, der weder zusieht noch die Partitur wirklich kennt, dieses Fehlen zu erkennen. Nur etwas klingt anders, wird bedrückend.

Nicht nur das musikalische Leben im Blickpunkt

In diesem Buch geht es also überhaupt nicht um eine elitäre Kunstform. Viel wichtiger sind der Autorin bestimmte Aspekte, die über das rein musikalische weit hinausgehen:

Die beiden Geigen sind das Problem. Zwischen beiden Geigen wird verglichen (Dialektik von Herr und Knecht), sie sind vielleicht doch eins.

Übrigens - das Buch ist - unter anderem - auch ein Buch über eine Frau in einer Männerwelt. Die Autorin vermag es, bestimmte Situationen im Leben eines Streichquartettes auf den Punkt zu bringen:

Man trifft sich unvermeidlich schon beim Frühstück, ungeschminkt, übermüdet, schutzlos.

Und sie traut sich, Fragen zu formulieren, die auf der Hand zu liegen scheinen, die aber in Wirklichkeit so nur selten gestellt werden:

Was passiert, wenn einer geht?

Liebe und Leid zu viert
Sonia Simmenauer schreibt sehr persönlich; in einem Geschäft, in dem vor allem ein kühler Kopf verlangt ist, hat sie sich das Privileg bewahrt, ein glühender Fan geblieben zu sein. Dieses Buch erzählt eigentlich vor allem: Von Liebe und Leid zu viert. Die luxuriöse Beigabe zu Simmenauers eigenen Gedanken schließlich, das sind die Aussagen der Musiker, etwa vom ersten Geiger des La Salle-Quartetts, Walter Levin:

Unten ist der Bass, oben ist die Melodie, aber in der Mitte, was ist in der Mitte? Da ist die Harmonie, da sind Imitationen, Gegensätze, Hauptstimmen und Nebenstimmen verborgen - all das will ich hören! Im übrigen gilt alles, was ich zur Musik zu sagen habe, eigentlich nicht nur für die Musik.

Hör-Tipp
Apropos Musik. Das Magazin, Sonntag, 3. August 2008, 15:06 Uhr

Buch-Tipp
Sonia Simmenauer: "Muss es sein - Leben im Quartett", Berenberg Verlag

Link
Impresariat Simmenauer