Die Natur gilt als genialste Erfinderin

Bionik

Im Verlauf der Evolution haben Tiere und Pflanzen zahlreiche Lösungen für mechanische Probleme gefunden. Selbst Insekten sind Fundgruben für die Bionik: Sie besitzen zum Beispiel Haftsysteme, um sich an verschiedenen Oberflächen festhalten zu können.

Die Fähigkeit, der Insekten, an Glas genauso Halt zu finden wie an Pflanzenblättern interessiert Stanislav Gorb vom Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung besonders. Er untersucht Hundertschaften von Käfern und Fliegen, um zu lernen, wie man Reibungs- und Adhäsionskräfte nach Vorbild der Natur erhöhen oder verringern kann.

Der Ampferblattkäfer

Einer der Stars in Stanislav Gorb's Labor ist ein wirklich unscheinbares Insekt, der Ampferblattkäfer. Fünf bis sechs Millimeter lang und blaugrün bis goldgrün schillernd, für das ungeschulte Auge halt irgendein Käfer. Aber, das Insekt kann sich extrem gut festhalten.

Wenn man den Ampferblattkäfer auf eine rotierende Scheibe setzt, fliegt er auch bei dreitausend Umdrehungen pro Minute nicht von seinem Käferkarussel. Sein Haftsystem an den Beinen macht's möglich.

Das Insekt kann das 200fache seines Körpergewichts halten. Ein Mensch mit derselben Leistungsfähigkeit müsste rund 60 Tonnen tragen können. Der Ampferblattkäfer ist aber nicht das einzige Insekt, das so gute Haftsysteme besitzt. Stanislav Gorb hat schon hunderte untersucht.

Verschiedene Oberflächen, verschiedene Konzepte

Käfer nutzen mehrere Konzepte, um sich an unterschiedlichen Oberflächen festzuhalten. Für ganz raue Untergründe haben sie Krallen, für glatte bis leicht angeraute Oberflächen hingegen höchste vielseitige Härchen. Indem die Belastung auf viele kleine Punkte verteilt wird, statt auf einen großen Saugnapf, erhöht sich der Halt paradoxerweise. Denn eigentlich sollte die Haftung zwischen zwei unterschiedlichen Stoffen, wenn sie auf mehrere Kontakte verteilt wird, abnehmen.

Die Natur hat das Haftproblem gelöst. Durch die feinen Kontakte kommen sogenannte Grenzflächen-Phänomene zum Tragen, die die Adhäsion, also die Haftung zwischen unterschiedlichen Stoffen, erhöhen.

Haftkissen aus Pilzen

Um sich auf glatten Untergründen wie Glas festhalten zu können, haben Insekten noch eine weitere Strategie - Haftkissen in der Form von mikroskopisch kleinen Pilzen. Mit diesen elastischen Kissen docken die Tiere an unterschiedliche Oberflächen an.

Außerdem sondern Käfer und andere Insekten einen dünnen Flüssigkeitsfilm ab, der die Haftung weiter erhöht. Das Verfahren kennen wir aus dem Alltag: Presst man zwei nasse Glasplatten zusammen, kann man sie nur mehr schwer trennen.

Der Nachbau ist nicht so einfach

Was liegt näher, als die Konzepte der Natur zu übernehmen und daraus hilfreiche Produkte für den Alltag zu bauen, etwa Haftsysteme, die nicht kleben und trotzdem halten. Das ist laut Stanislav Gorb, der auch beim Bionik-Panel der diesjährigen Alpbacher Technologie-Gespräche zu Gast sein wird, nicht so einfach. Denn nur wenn sie unterschiedliche Insekten vergleichen, können die Forscher herausfinden, ob die Werkzeuge der Käfer wirklich dem Zweck dienen, den die Wissenschaft gerade zu sehen meint.

Ein Beispiel, wie komplex der Erfindungsreichtum der Natur sein kann: Auf Insektenaugen gibt es nanometergroße Noppen, die zur Entspiegelung des Auges dienen, weshalb man das Konzept jetzt auf Brillen-Linsen und Kameraaugen zu übertragen versucht. Aber, so Gorb, das ist bei weitem nicht ihre einzige Funktion, denn diese Noppen dienen auch der Schmutzabweisung, sie sollen also die Insektenaugen sauber halten. Und gerade diese Funktion ist kaum erforscht.


Doch in Teilbereichen gelingt der Nachbau der Natur wirklich - zum Beispiel haben die Bioniker um Gorb ein Material entwickelt, das die Pilzstrukturen der Insekten zum Festhalten nutzt. Dieses Material wurde beim Bau eines Kletter-Roboters verwendet. Aber, so Gorb, ob man aus seinen Entdeckungen ein Produkt machen kann, ist zweitrangig. Das ergebe sich von selber.

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 6. August 2008