Popmusik vor einem halben Jahrhundert
Mersey Sounds
Ende der 1950er Jahre begann sich die nordwestenglische Stadt Liverpool neben London als Zentrum der Popmusik zu etablieren. Die Stadt am Mersey brachte neben den Beatles noch viele Musikgruppen hervor, die einen neuen Stil prägten: den Mersey Sound.
8. April 2017, 21:58
Billy J. Kramer & The Dakotas: "Bad To Me"
Letztes Jahr feierte die Stadt Liverpool ihr 800-jähriges Bestehen. Heuer ist sie europäische Kulturhauptstadt 2008. Mit viel Engagement und viel Geld gehen derzeit große Kulturevents über die Bühne.
Doch die Stadt am Mersey war bereits einmal so etwas wie eine kulturelle Hauptstadt Europas, ganz ohne politisches Zutun: Kulturhauptstadt der Popmusik. Vor knapp einem halben Jahrhundert.
Der Hafen zur neuen Welt
Die Beatles waren nur der Kulminationspunkt einer breiten Entwicklung, die in den späten 1950ern ganz Liverpool erfasste. Die Stadt war ein wichtiger Hafen und hatte direkte Verbindungen in die Vereinigten Staaten. Auf diese Weise kamen unzählige brandaktuelle, amerikanische Schallplatten nach Liverpool, während man im restlichen England gar nicht so genau wusste, was in den USA gerade populär war.
Unter diesem Einfluss entstanden in Liverpool viele Bands, die amerikanischen Rock'n'Roll, Skiffle und R&B miteinander verschmolzen und schließlich zu einem eigenständigen Sound entwickelten.
Vorbild Elvis Presley
Für die meisten war Elvis Presley das große Vorbild. Unter seinem Einfluss schrieb zum Beispiel 1958 ein 17-jähriger Bursche namens Ronald William Wycherley den Song "Margo" und schickte eine Demoaufnahme davon dem Musikmanager Larry Parnes. Dieser nahm ihn sofort unter Vertrag und verpasste ihm den Künstlernamen Billy Fury.
Geburtsstunde der Boygroup
Die Musik von Billy Fury markiert den Beginn der Goldenen Ära in Liverpool. Doch es war noch nicht ganz der typische neue Sound, den man heute mit den Begriffen Mersey Sound oder Mersey Beat assoziiert. Dieser entstand vielmehr in einer Emanzipation von Elvis' Stil und unter dem geschickten Management von Leuten wie Brian Epstein, der neben den Beatles einige weitere Bands unter Vertrag hatte.
Typisch: die vier oder fünf gleich gekleideten Jungs, die mehr oder weniger gleichberechtigt auf der Bühne standen und den Mädchen im Publikum die Tränen in die Augen trieben. Das gelang zum Beispiel einer Band wie The Searchers damals genauso gut wie den Beatles. Es war die Geburtsstunde der Boygroups.
Mersey Beat - der Rhythmus
Zum anderen entstand um 1960 herum der eigentliche Mersey Beat im musikalischen Sinn. Markant war zum Beispiel der gemeinsame Schlag von Bassgitarre und Basstrommel auf der 1 und auf der 4 im Takt, während sich Rhythmusgitarre und Snaredrum auf der 2 und auf der 3 trafen.
Außenstation Hamburg
Die Jahre 1960 bis 1963 waren die intensivste Zeit des Mersey Sound. Dabei waren es ausgerechnet diese Jahre, in denen viele Bands Liverpool für einige Monate verließen, um in Hamburg ihr Glück zu versuchen und in stundenlangen Dauer-Shows im "Kaiserkeller" oder im "Star-Club" aufzuspielen.
Es ist heutzutage schwer nachvollziehbar, dass man sich sogar bemühte, einige der Songs krampfhaft ins Deutsche zu übersetzen:
Wenn ich nicht sofort gehey, ye ye,
dann tut mein Herz mir wehey, ye ye!
(The Searchers: "Needles and Pins" bzw. "Tausend Nadelstiche")
Mersey Beat - die Musikzeitschrift
1961 gründete Bill Harry die Musikzeitschrift "Mersey Beat". Sie beschäftigte sich intensiv mit der lokalen Musikszene und war die erste, die eine Band namens "The Beatles" vorstellte. Der Name der Zeitschrift wurde bald zum Synonym für die neue Liverpooler Musik und überlagerte den Begriff "Mersey Sound".
Der Cavern Club und die Beat Nights
Die lokale Hochburg der Liverpooler Szene war der berühmte Cavern Club in der Mathew Street. Er wurde 1957 eröffnet und verstand sich anfänglich als Jazz-Keller im Pariser Stil. Bald aber spielten dort vor allem Blues- und Skiffle-Bands. Am 25. Mai 1960 wurde im Cavern Club schließlich die erste "Beat Night" veranstaltet, und zwar mit Rory Storm and the Hurricanes. Am Schlagzeug: Ringo Starr. Bei den Beatles haute damals noch Pete Best auf die Trommeln.
Nach ihrer Rückkehr aus Hamburg absolvierten die Beatles in den Jahren 1961 und 1962 fast 300 Auftritte im Cavern Club. Dann bekamen sie einen Plattenvertrag bei EMI, ersetzten Pete Best durch Ringo und überließen der Manchester Band The Hollies ihren Stammplatz im Cavern Club.
Oldies but Goldies
Der Keller des Cavern Club musste 1973 wegen des Baus eines Eisenbahntunnels geschlossen werden. 1984 wurde er - um einige Meter versetzt - mit dem Großteil der originalen Ziegelsteine wieder aufgebaut. Doch da war der Mersey Sound bereits eine 20 Jahre alte Legende.
Einige der Bands und Sänger von damals gibt es aber heute noch: The Searchers, The Merseybeats oder The Fourmost - sie tingeln nach wie vor durch England und lassen auf Oldie-Nights nostalgische Herzen einer 60-plus-Generation höher schlagen.
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Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 10. August 2008, 17:30 Uhr
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