Zur amerikanischen Volksoper entwickelt
Amerikanische Operette
Es ist Wortklauberei, wenn man die Unterschiede zwischen Operetten und Musicals zur Grundsatzdiskussion erhebt. Beide wurzeln im Singspiel. Und dessen Radius reicht von der "Beggar's Opera" über Raimund, Benatzky, Loewe bis zu Loyd-Webber und Co.
8. April 2017, 21:58
In Europa wird ja die amerikanische Operette nicht bewusst zur Kenntnis genommen. Doch es gibt sie. Sie ist in den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg auch in der "Neuen Welt" angekommen und hat dort nach dem Vorbild von Gilbert und Sullivan Fuß gefasst: Komponisten wie Sousa und Herbert standen am Anfang, Romberg und Friml setzen erfolgreich fort.
Aber Revuen, wie die der Brüder Gershwin, waren das Bindeglied zum Musical, der Tanz gewann im musical entertainment eine immer dominierendere Funktion. Und dann übernahm seit den 1930er Jahren tatsächlich das Musical am Broadway die Führung. Bald auch in Hollywood.
There is no business like show business
Dieser Vers aus Irving Berlins "Annie get your gun" ist wohl etwas Ähnliches wie eine inoffizielle Hymne des Broadway. Obwohl man solche amerikanischen Binsenweisheiten gleich auf die gesamte amerikanische Unterhaltungsindustrie beziehen kann - die Filmindustrie und Vergnügungsparks wie Disneyland eingeschlossen.
Komponistenimport aus Europa
Abgesehen von dem Amerikaner John Philipp Sousa, der vor allem an der Spitze seiner überall bewunderten Präzisionskapelle als "March-King" um die Welt tourte, wird die gute altmodische Operette in der neuen Welt, bevor sie Ragtime- und Jazz-Elemente in sich aufgenommen hat - also noch ganz europäische Romantik - durch die Trias Herbert, Friml und Romberg repräsentiert. Der Unterschied zwischen diesen amerikanischen Komponisten ist nur, dass Victor Herbert in Irland, Rudolf Friml in Prag und Sigmund Romberg in Ungarn geboren wurde.
Herbert, Jahrgang 1859, kam aus Dublin, wuchs aber in Deutschland auf und kam als Ehemann einer berühmten Sängerin in die USA. Nur langsam etablierte er sich als Komponist. Doch er brachte es auf zahlreiche Bühnenwerke, von denen ganz besonders "Naughty Marietta" eine nachhaltiger Erfolge wurde.
Friml - zwei Jahrzehnte jünger als Herbert, Prager von Geburt - studierte bei Antonin Dvorak und bereiste als Begleiter des tschechischen Violinvirtuosen Jan Kubelik die ganze Welt, bevor er sich 1906 in New York niederließ. Er brachte es in den 1920er Jahren auf Tausende von Broadway Aufführungen, wobei "The Vagabond King" und "Rose Marie" auch den Sprung nach Hollywood schafften.
Heidelberger Romanze
"Student Prince" heißt der größte Erfolg von Sigmund Romberg, eine - ebenfalls verfilmte - Operette nach dem Schauspiel "Altheidelberg", die Geschichte des Erbprinzen eines fiktiven Fürstenhauses, den die Staatsräson grausam aus seinem flotten Studentenleben und aus den Armen der Wirtstochter Käthe reißt.
Legionen von Startenören (Mario Lanza, Lauritz Melchior, Domingo et cetera) haben die Student-Prince-Serenade gesungen, Itzhak Perlman hat sie gespielt.
Akzente durch Rhythmus und Tanz
Der Begriff Musical - eine Kurzform von "Musical Comedy" - hat sich erst seit Jerome Kerns "Show Boat" eingebürgert, vor allem, seit Ragtime-Elemente beziehungsweise solche des Negro Spirituals einbezogen wurden.
Der Tanz bekam bald einen immer größeren Stellenwert ("Kiss me Kate"), bis er in der zweiten Jahrhunderthälfte - seit "West Side Story" - zum beherrschenden Element wurde. Daher ist auch die Broadway-Revue eng mit dem Musical verwandt, bei geringerem Stellenwert der Handlung.
Literarisierung
Die Inhalte werden im Laufe der Zeit immer literarischer und intellektueller. Shakespeare (Cole Porter, Leonard Bernstein) und Shaw (Lerner und Loewe) avancierten zu begehrten Stofflieferanten, aber auch Molnar (Rodgers and Hammerstein) und Washington Irving (Weill) wurden nicht verachtet.
Das geht - lange vor dem Musical "Freud" - bis zur Thematisierung der Psychoanalyse in "Lady in the Dark" durch den deutschen Emigranten Kurt Weill, der später mit "Street Scene" das Musical sogar zu einer Art von amerikanischer Volksoper weiterentwickelt hat, lange bevor Weills "Dreigroschenoper" posthum doch noch ein Broadway-Erfolg wurde.
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