Eine Eulenspiegelei?

Das Eulen-Spiegelei

Die Figur des Till Eulenspiegel gehört zu den interessantesten und künsterisch anregendsten Schelmengestalten, die sogar über den deutschen Sprachraum hinaus wirksam war und ist. Wer war der Kerl - falls es ihn überhaupt je gegeben hat.

Die Figur des Till Eulenspiegel ist eine der merkwürdigsten der deutschen Literaturgeschichte - eben, weil so klar scheint, dass man's da mit lustigen Schelmenstreichen, Clownerien aus dem ausgehenden Mittelalter zu tun hat, so recht geeignet als Amüsement für die reifere Jugend, für Film, Fernsehen und Theatervergnügen aller Art.

Das ist insofern merkwürdig, als die Wissenschaft inzwischen geklärt hat, dass es diesen Till, Tieleke, Dietrich, Thidericus von Kneitlingen (bei Schöppenstedt in Niedersachsen) tatsächlich gegeben hat - und dass der ein unsympathischer Kerl, ein zur Straßenräuberei verkommener Landadeliger war, der sich - wie so viele seiner Standeskollegen im 14. Jahrhundert - "aus dem Sattel ernährte", wie man das unter seinesgleichen taktvoll umschrieb: Man überfiel, bestahl, betrog und erpresste vor allem Kaufleute, aber auch Bauern.

Sozialer Blickwinkel

Nun ist dergleichen - vor allem in einer straff feudal organisierten Gesellschaft, und noch dazu einer im Umbruch befindlichen wie eben damals - nicht nur eine Frage des Geschmacks (und sei's eines kriminellen), sondern auch des sozialen Blickwinkels: Von den 96 im nachmaligen "Volksbuch" überlieferten "Historien", die jenem "Till Eulenspiegel" zugeschrieben werden, sind auffallend viele obszönen, quasi sittenzerstörerischen Inhaltes (und daher für die zahllosen "Eulenspiegel"-Digest-Ausgaben nicht geeignet): Da wird durch die Gegend gefurzt, in den Wein geschneuzt, ins Bett, ins Zimmer und sogar mitten in die Kirche geschissen, dass es keine Art ist, nicht einmal die feine deutsche.

Und Zielscheiben solchen geradezu anarchischen Außenseitertums des lustigen Till - wobei sich sein Zynismus durch Wortklauberei und intelligente Sprachkritik zuweilen ins Irreale steigert - sind auffallend oft saturierte Bürger, vor allem innerhalb der Handwerkszünfte, ist deren Borniertheit, Geldgier, Dummheit und Eitelkeit.

"Kurtzweilig Lesen"

Der Umstand, dass auch die katholische Kirche stellenweise offen verhöhnt wird (von des kleinen Till misslungener Taufe angefangen), weist auf die delikate literarische Quellenlage hin: Das "Kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel", jene 96 ausdrücklich "allein umb ein frölich Gemüt zu machen in schwerer Zeit" verfassten (oder zusammengestellten), von dem "Zollschreiber" Hermann Bote herausgegebenen "Historien", auf denen die schier unüberschaubare Eulenspiegel-Literatur seither beruht, erschienen nämlich erst 1515 - das heißt, 165 Jahre nach dem Tod des Till von Kneitlingen, welcher, mit der Jahreszahl 1350, verlässlich überliefert ist.

Schärfste Satire

Da waren inzwischen dem üblen Straßenräuber und fatalistischen Zyniker in Sage und Tratsch und Gerücht allerlei soziale Träume, Wunschprojektionen zugewachsen, rebellische Visionen aus dem Volk, da war er schon zu einer Art Robin Hood geworden (der das selber ja auf die gleiche Weise wurde!) - und der Zollschreiber Bote ließ überdies seine eigenen Anliegen in Zeiten der herandräuenden Reformation und gewalttätiger Sozialkonflikte einfließen. (Nicht zu vergessen: Das Amt des Schreibers war außerhalb der Zünfte, also "unehrenhaft", und darin - Bote blieb als Autor natürlich anonym! - lag viel gesellschaftliche Macht in der Residenzstadt Braunschweig... beinah eulenspiegelhafte Macht über die eitlen Geldsäcke und Ehrabschneider allenthalben. Und die Paffen natürlich. Bote war zwar ein Gegner des Doktor Luther, aber eben deshalb ein wütender Polemiker gegen das pflichtvergessene, dumme, abergläubische Volk der Katholiken und seine Pfarrer.

Und da verkaufte Till seine berühmten selbstgebackenen "Eulen und Meerkatzen" nicht zufällig am Sankt-Nikolaus-Tag vor der Braunschweiger Kirche als einigermaßen absurde Segenspeise, da scheißt (pardon, aber: sic!) ein Pfarrer nicht von ungefähr um einer Bierwette willen mitten in seine Kirche, und die 31. Historie, da Eulenspiegel einen selbst entwendeten Totenkopf als heilige Reliquie ausgibt und nicht nur damit, sondern auch noch mit dem schlechten Sündengewissen der Weiber viel Geld macht, gehört zum Schärfsten an antiklerikaler Satire überhaupt.

Populäre Schwänke

Der Umstand, dass Botes "Eulenspiegel" - obwohl natürlich historisch nicht der erste - auf Anhieb ein Bestseller war (man hatte auf sprechende Illustrationen für die vielen Analphabeten nicht vergessen), spricht für sich - und gegen die Zeit.

Dass der Herr Zollschreiber darin eine Menge an damals populären Schwänken und Skandalgeschichten eingearbeitet, ja, sogar etwa ein Drittel der Geschichten halb oder ganz den berühmt saftigen Historien des "Pfaffen vom Kahlenberg" entnommen hat, gibt er selbst zu (wodurch der Eulenspiegel gewissermaßen österreichische Tinte in den Adern hat).

Vieles noch im Verborgenen

Die Forschung ist mittlerweile auch ziemlich sicher, dass es, lange nach dem Tod des Till von Kneitlingen, noch einen zweiten Gaukler gegeben haben muss, dessen vermutlich populärer Witz mit dem eher rabiaten alten Till verschmolz.

Viele Motive, viel figuraler Sprachwitz, viele zeitgenössische Anspielungen liegen in den Eulenspiegel-Geschichten noch verborgen und werden wohl auch noch zu Tage gebracht werden.

Spiegel der Dummen

Was kaum mehr zu klären sein dürfte, ist die Frage des Namens: Wieso "Eulenspiegel"?

Bei seinem ersten Auftreten als Kunstfigur (eben in Botes "Kurtzweilig Lesen") hält Till, auf dem Titelschnitt zu Pferde (!) dargestellt, die beiden Attribute "Eule" und "Spiegel" triumphierend in die Höhe. Zu seinen Lebzeiten hatte er sie nicht, wie auch der heutige "Eulenspiegelhof" bei Schöppenstedt zwar wirklich mit der historischen Familie Derer von Kneitlingen in Verbindung steht, aber seinen Namen erst später, nach der Schalkfigur, bekam.

Einen Herkunftsnamen "Ulenspeghel" gab es, anderseits, in dieser Gegend nachweislich, auf welche genauere Abkunft er auch immer gedeutet haben mag. Auch kann man der Eule und dem Spiegel, auch, wenn sie durch Volksetymologie entstanden sein sollten, eine gewisse Symbolkraft (und Markenwirksamkeit bis heute!) nicht absprechen. Dass ein "Ulenspegel" (nach dem niederdeutschen Dialektwort "Ul") auch ein "Spiegel der Dummen" sein könnte, wurde ebenfalls erwogen.

Vermutlich hat sich aber das alles mit einer vierten, sehr volkstümlichen Deutung vermengt, die, für zeitgenössische Ohren, wenigstens als Möglichkeit immer mitgeklungen haben könnte: Dass es sich nämlich bei "Ulnspeghel", in Anlehnung an der "Spiegel" in der Jägersprache, um einen verkürzten Imperativ handle; wobei "ulen" "wischen" oder auch "lecken" bedeuten könnte und der "Spiegel" in Wahrheit den Arsch.

Hör-Tipp
Literatur am Feiertag, Freitag, 15. August 2008, 14:05 Uhr

Link
Projekt Gutenberg - Hermann Bote, "Till Eulenspiegel"