Die Tricks und Lügen der Kartographie
Falsche Karten
Landkarten gelten als Orientierungshilfe, Informationsquelle und unerlässliche Wegbegleiter. Zugleich sind beziehungsweise waren sie ein beliebtes Manipulationsmittel, das der Erfüllung politischer, militärischer und geostrategischer Ziele dient.
8. April 2017, 21:58
Als im Zweiten Weltkrieg die Schlacht um Moskau tobt, finden sowjetische Offiziere bei einem in Gefangenschaft geratenen deutschen Oberst eine Karte der Umgebung von Moskau. Darauf sind in Ost-West-Richtung führende Straßen und Ortschaften eingezeichnet, obwohl sich in dem auf der Landkarte dargestellten Gebiet in Wirklichkeit nur zahlreiche Schluchten und Sümpfe befinden. Die Karte des deutschen Obersts war also manipuliert worden, was in Folge zu dessen Gefangennahme führte. Dieses Beispiel zeigt: Topographische Karten beinhalten Informationen, die von erheblichem strategischen Wert sein können.
Methodische Lügen
Landkarten wurden und werden vor allem aus militärischen Gründen und für Propagandazwecke manipuliert. Den Kartographen stehen dazu zahlreiche Methoden zur Verfügung. "Das beginnt schon bei der Auswahl der Projektionsmethode, mit der man die Erdkugel auf ein Blatt Papier zu bringen versucht", sagt Georg Gartner, Professor für Geoinformation und Kartographie an der Technischen Universität Wien.
Das wussten etwas antikommunistische Gruppierungen im Europa des 20. Jahrhunderts für ihre Anliegen zu nutzen. Sie illustrierten in ihren Propaganda-Schriften die eurasische Platte mit Hilfe der sogenannten Mercator-Projektion. Diese wurde gerne von der Schifffahrt verwendet, weil sie Winkel getreu widergibt. Allerdings führt die Mercator-Projektion zu kartographischen Verzerrungen anderer Art: Sie gibt nämlich die nördlichen Flächen der Erde stark vergrößert wider. Das heißt: Die Karten in den Propaganda-Schriften der Antikommunisten ließen die Sowjetunion übermächtig und äußerst bedrohlich aussehen und weite Teile Europas nahezu schmächtig und hilflos unterlegen. Für propagandistische Zwecke lassen sich aber nicht nur topographische, sondern auch thematische Karten missbrauchen.
Wertvolles Kartengut
Im Laufe der Geschichte wurden topografische Karten immer wieder geheim gehalten oder gar inhaltlich manipuliert. "Ihren Anfang nahm diese Entwicklung zu Beginn der Neuzeit", erzählt Kurt Brunner, Professor für Kartographie und Topographie an der Universität der Bundeswehr in München. Aufzeichnungen über die damals soeben entdeckten Seewege nach Amerika beziehungseise Indien blieben zum Beispiel fast zwei Jahrhunderte lang strengster Geheimhaltung unterworfen.
"In Portugal stand auf die Weitergabe der streng gehüteten Karten sogar die Todesstrafe", so Brunner. Den Niederlanden gelang es allerdings, Kartographen auf portugiesische Schiffe einzuschmuggeln. Diese gaben sich als Matrosen aus und zeichneten auf den Reisen in die portugiesischen Kolonien die Seewege nach Arabien, Indien, China und Südostasien auf. Im Gegenzug versuchten die Portugiesen, ihren Gegnern manipulierte Karten mit irreführenden Routen unterzujubeln. Dabei blieben sie mehr oder weniger erfolglos, wie sich heute zeigt, denn die niederländische Ostindien-Kompanie wurde zu einem der am stärksten florierenden Handelsunternehmen des 17. und 18. Jahrhunderts.
Merkwürdige "Wanderungen" von Ortschaften
Die Verfälschung kartographischer Aufnahmen erreichte allerdings erst im 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt. In der Sowjetunion der 1930iger Jahre übernahm die Geheimpolizei die Kontrolle über kartographische Institutionen und Produkte. Stalin verfügte gar die Verfälschung von allgemein zugänglichen topographischen Darstellungen, was in so mancher Absurdität gipfelte:
"Ein Beispiel dafür ist die merkwürdige Wanderung der Siedlung Logaschinko an der Küste der Ostsibirischen See. Diese wird in kartographischen Aufnahmen, die zwischen den 1930er Jahren und dem Ende des Kalten Krieges entstanden sind, manchmal auf der rechten und manchmal auf der linken Seite des örtlichen Flusses abgebildet", erzählt Kurt Brunner. Auf den einen Karten aus dieser Zeit liegt Logaschinko außerdem direkt an der Küste, andere Karten verorten es wiederum im Landesinneren. So sollten potenzielle Gegner in die Irre geführt werden.
Zensurierte Stadtpläne
Doch auch einfache touristische Karten von Moskau oder anderen für Touristen zugänglichen sowjetischen Städten wurden bis zum Zerfall der Sowjetunion stark verfälscht wieder gegeben. "So wurden in den Karten etwa die imposanten Gebäudes des KGB einfach ausgeblendet", sagt die Kartographin Ingrid Kretschmer von der Universität Wien. Außerdem fehlten in den Stadtplänen militärische Einrichtungen, Industrie- und Eisenbahnanlagen wurden nur stark vereinfacht dargestellt.
Service
Mark Monmonier, "Eins zu einer Million. Die Tricks und Lügen der Kartographen", Birkhäuser Verlag