Aus zerschossenem Sonnengeflecht

Ein Andenken an Herbert Zand

Der Kleinbauernsohn Herbert Zand, gebürtig aus dem Ausseerland, einer der erstaunlichsten Dichter der österreichischen Nachkriegszerstörung, wäre in diesem November 85 Jahre alt geworden.

Der deutsche Schauspieler, Kabarettist und Dramatiker Wolfgang Borchert "verpasste", wie man so sagt, seinen Nachkriegsruhm nur ganz knapp: Borchert starb an seinen Verwundungen und seiner Kriegskrankheit, 26 Jahre alt, einen Tag vor der Uraufführung seines Stückes "Draußen vor der Tür". Er hatte es im Jänner 1947, bereits im Fieber, binnen acht Tagen zu Papier gebracht.
Die autobiographische Hauptfigur, der Kriegsheimkehrer Beckmann (den Borchert im Personenverzeichnis "Einer von denen" nennt), versorgte Generationen mit dem anklagenden Bekenntnis "Nie wieder Krieg!". Botschaft und Pathos erübrigten jede Debatte über die literarische Qualität, von einer inhaltlichen ganz zu schweigen.

Canetti über Zand
"Seine Worte", so schrieb Elias Canetti über den österreichi-schen Romancier, Essayisten, Lyriker (und freilich nicht Dramatiker) Herbert Zand, "seine Worte" seien "vom Schweigen genährt: Dieses Schweigen wird den Lärm, der uns mit Taubheit schlägt, überdauern." - Wir wollen es hoffen. Bis jetzt allerdings sieht’s nicht so aus.

Herbert Zand, Sohn eines Kleinbauern aus dem Ausseerland, war zwei Jahre jünger als Borchert und daher erst achtzehn Jahre alt, als man ihn, 1941, zum Kriegsdienst in die Wehrmacht zwang.

Er hatte schon als Hauptschüler in Bad Aussee außerordentlich gute Gedichte geschrieben und war seinen Lehrern überhaupt durch frühreife sowohl literarische als auch philosophische Neigungen aufgefallen.

1943 und 1945 erlitt Zand als Panzergrenadier schwere Schuss- und Explosionsverletzungen, die nur notdürftig versorgt wurden und immer wieder aufbrachen.

Er überlebte, aber sein Krieg, der, den er inoperabel in sich trug, dauerte qualvolle 29 Jahre. Herbert Zand starb am 13.Juli 1970, in seinem 47. Jahr. Zuletzt hatten die wandernden, eiternden Granatsplitter in seinem Innern die Nieren zerstört.

Staatspreis für "Letzte Ausfahrt"
"Letzte Ausfahrt" nannte er seinen großen Roman über die Geschehnisse von Bialystok, Minsk und Brest-Litowsk – und über die dort "Eingekesselten". Er hatte ihn, trotz der körperlichen Mühsal und der Schmerzen, 1952 vollendet - und bekam dafür, auch dank der tatkräftigen Mithilfe Hans Weigels, den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Sein Name galt nun was in der Nachkriegsliteratur, stand für die "verlorene Generation".

Und Herbert Zand, der als Autodidakt hochgebildete Humanist aus dem kleinen Bauernhaus in Knoppen - halbwegs zwischen Mittern-dorf und Bad Aussee im malerischen Hochtal gelegen - stand auch als Zeuge einer Geisteswende da (so naiv war man damals!): Nicht mehr allein die Altnazis, die Jubler und Mitläufer, würden preisgekrönt, hieß es unter den Jungen, nicht mehr nur die Unter-den-Teppich-Kehrer, -Schwätzer und –Schweiger (die in Österreich stärkste Gruppe) würden geehrt, als wäre tatsächlich nichts gewesen -: Nein, auch einer wie Herbert Zand, dessen "Letzte Ausfahrt" ein ganz und gar unplakativer Roman vom Krieg war, vom Krieg um die, mit den und in den Menschen; ein komplexes Bündel von Erzählsträngen, mit dem der Autor "den Krieg von innen her unterlaufen" wollte...und das inmitten der stahlharten Kameraderie, all der Landser-Romantik, all der "Null-Acht-Fünfzehn" – Kolportage, die damals den Markt beherrschte.

Ein stiller Zweifler
Daneben schrieb Zand Lyrik, nachdenkliche Gedichte über Kultur und Landschaft seiner Herkunft, hellsichtige Essays, einen zweiten großen Roman über den moralischen Niedergang des Nachkriegsbürgertums in Wien ("Erben des Feuers", 1961), übersetzte aus mehreren Sprachen, redigierte, wann und in welchem Ausmaß immer es seine Krankheit zuließ. Er schrieb und schrieb – publizierte aber in den letzten neun Jahren seines Lebens nichts mehr. Er zweifelte und zweifelte immer mehr an sich, wurde stiller und stiller.

Nach seinem Tod standen die Freunde erstaunt und erschüttert vor Konvoluten von Lyrik- und Prosaschriften, noch im Fragmentarischen präzise ausgefeilt und formuliert. Er wollte ja, hatte Zand einmal in einem Gedicht geschrieben, ausdrücklich von jenen Dingen reden, die keine Namen trügen.

Ab 1971 erschien eine schöne, sechsbändige Herbert-Zand-Werkausgabe, im Jahr 2000 dann, quasi als ein letzter Versuch nach Jahrzehnten des Vergessens, der "Erben"-Roman in Neuauflage. Dabei blieb es.

Gewiss, Herbert Zand war kein expressionistischer "Trümmerliterat" wie Borchert, der auch vor dem Kitsch der Katastrophe nicht zurückschrak – aber sogar der ist ja fast vergessen, in Schullesebüchern konserviert.

Ob ihm denn keiner Antwort geben könne, ruft der verzweifelte Heimkehrer Beckmann am Ende von "Draußen vor der Tür" in die Finsternis, nachdem ihm schon Gott und der Tod nichts von innerem belang sagen hatten können.

Herbert Zand schrieb drei Tage vor seinem Tod, im Wiener Spitalsbett, das Gedicht "Ich nehme Abschied". Schon zuvor aber, in dem lyrischen Monolog "Aus zerschossenem Sonnengeflecht", heißt es, gerichtet an die "vielgestaltige Erde": "Du gibst keine Antwort? / Alles was ich bin, ist Antwort,/ Alles, was ist, selbst meine Frage / nimmt die Antwort voraus."

Vielleicht bekommt Canetti doch noch recht.

Hör-Tipp
Literatur am Feiertag, Montag, 8. Dezember 2008, 14:05 Uhr