Das "Magnificat" in der Musik

Marias Lobgesang

Mit "Marias Lobgesang" ist das "Magnificat" in der Luther-Bibel überschrieben, ein sehr bekannter Text, der im Neuen Testament steht. Sowohl in lateinischer als auch in deutscher Übersetzung sind diese Verse unzählige Male vertont worden.

"Magnificat"-Vertonungen

Das "Magnificat" ist das Lied der schwangeren Maria, das sie anstimmt, als sie ihre Verwandte Elisabeth besucht und von ihr als "Mutter des Herrn" gepriesen wird. An Frauenliedern ist die Kirchenmusik nicht gesegnet, von Maria sind in der Bibel nur wenige Äußerungen überliefert. Ein starker Frauentext. Der musikkundige Theologe Paul-Gerhard Nohl erinnert in seinem lesenswerten, bei Bärenreiter erschienenen Taschenbuch "Lateinische Kirchenmusiktexte. Geschichte. Übersetzung. Kommentar" daran, dass Maria im Alten Testament eine Namensschwester hat, die uns allererste biblische Kunde vom Lobgesang gibt.

Von Mirjam, lateinisch: Maria, heißt es im zweiten Buch Mose:"Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan, Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt."

Ob es nur ein Zufall sei, dass beide Marias singen? Mirjam im alten und Maria im Neuen Testament. Ihn, Nohl, beeindrucke nicht nur, dass, sondern auch wie Maria zum Ausdruck bringe, was sie zutiefst erfülle: "Sie lässt sich ganz los in der Hinwendung zu Gott und ist doch ganz bei sich selber, mit Leib und Seele und Geist. Kein Zweifel: das fällt Männern ungleich schwerer."

Von der Sprengkraft des Magnificat

Jeder, der oder die diesen Text in einer der vielen Vertonungen gesungen hat, wird auch mitgerissen von der Konkretheit der Aussagen. Da wird Klartext gesprochen. Da geht es ums tägliche Brot. Vor allem in den Versen 51, 52, 53: "Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thorn und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen".

Das fährt ein. Man stelle sich vor: Da sind zwei schwangere Frauen zusammen, Maria und Elisabeth, zwei Frauen, die in einer durch und durch patriarchalischen Gesellschaftsordnung leben und worüber reden sie? Nicht über Kindererziehung, sie reden über Hochpolitisches! Der Befreiungstheologe Leonardo Boff nimmt darauf Bezug in seinem Buch "Das mütterliche Antlitz Gottes. Ein interdisziplinärer Versuch über das Weibliche und seine religiöse Bedeutung." Für ihn stellt das "Magnificat" nicht nur verinnerlichte Spiritualität dar, er will den Zusammenhang zwischen den ökonomischen Verhältnissen und der inneren Haltung nicht ausblenden, für ihn spricht das Magnificat die Sprache der Armen. Maria ist nicht niedere Magd, weil sich demütig selbsterniedrigend, sondern sie ist ganz objektiv "niedrig", niederen Standes und bewusst von Gott gewählt, weil er sich mit seinem Sohn Jesus in diese Niedrigkeit begeben will.

"Marias Lied" spielt fortwährend mit dem inhaltlichen Gegensatz: Größe und Niedrigkeit. Magnificat ruft Maria aus, dieses erste Wort bedeutet sowohl im griechischen Urtext "megalynei" als auch in der lateinischen Übersetzung: macht groß. Maria, so Paul-Gerhard Nohl, macht Gott groß, Gott sieht ihre Niedrigkeit an; Gott stößt die Großen vom Thron und erhebt die Niedrigen im "Deposuit potentes". Die Umkehrung der Werte, so können wir weiter interpretieren, hat Folgen. Das Besitz-und Machtanhäufung in ein Leer-Ausgehen mündet, ist nicht nur in materieller Hinsicht gemeint, sondern kann sich genauso gut auf die Leere des Herzen beziehen.

Klangbeispiele

Der erste Teil des Audiofiles zeigt uns das "Magnificat" als "kultischen Gesang der römisch-katholischen Kirche" in gregorianischer Einstimmigkeit. Für die Niederaltaicher Scholaren Bestandteil ihrer lebendigen, gottesdienstlichen Praxis.

Im zweiten Beispiel singt die Capella nova Graz unter der Leitung von Otto Kargl den Beginn von Leonhard Lechners Marienlob, bei dem ein steter Wechsel zwischen einstimmiger Choralmelodie und mehrstimmigem Chorsatz stattfindet.

Im dritten Teil des Audios hören wir vokale und instrumentale Monumentalität bei Claudio Monteverdi, der seinen krönenden Abschluss der Marienvesper (hier in der Interpretation des Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner) quasi mit einem erhebenden Jubelschrei beginnt.

Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 24. Dezember 2008, 10:05 Uhr

Buch-Tipp
Paul-Gerhard Nohl, "Lateinische Kirchenmusiktexte", Bärenreiter

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