Die Europäische Humanistische Universität
Die emigrierte Universität
Der Präsident eines europäischen Landes erzwingt die Schließung einer regimekritischen Universität, Studenten werden vom staatlichen Geheimdienst zu "Gesprächen eingeladen" Was nach einem Orwellschen Szenario klingt, ist in Weißrussland Realität.
8. April 2017, 21:58
Schauplatz Vilnius: Am Rand der litauischen Hauptstadt, inmitten einer ruhigen, weitläufigen Grünanlage, steht ein mehrstöckiger Gebäudekomplex aus gelblichem Backstein. Zu Sowjetzeiten war darin die Polizeiakademie untergebracht, heute dient der Gebäudekomplex der Europäischen Humanistischen Universität, kurz EHU, als Zufluchtsort. Die Europäische Humanistische Universität ist die weltweit einzige Universität im Exil.
Zu viele Auslandskontakte
Gegründet wurde die EHU in der weißrussischen Hauptstadt Minsk kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. "Im Jahr 2004 musste die Hochschule das Land verlassen. Die offizielle Begründung des weißrussisch Regimes: Platzmangel. Der inoffizielle Grund: Politischer Ungehorsam und zu viele bzw. zu intensive Kontakte zu Wissenschaftlern in anderen, meist west- und mitteleuropäischen Ländern", erzählt Rektor Anatoli Mikhailov.
Als einzige Universität in ganz Weißrussland verweigerte sich die EHU den staatlichen Bildungsvorgaben und setzte auf ein zutiefst humanistisches und aufklärerisches Studienprogramm. Die EHU verzeichnete einen regen Zulauf von Studenten und Studentinnen, bis sie 2004 geschlossen wurde.
Zuvor erhielt der Rektor Morddrohungen und musste sich vorübergehend in den Vereinigten Staaten in Sicherheit bringen. Der in Jena promovierte Rektor der EHU und international renommierte Heidegger-Spezialist war seit fünf Jahren nicht mehr in seinem Heimatland - ihm wurde von offizieller Seite nahegelegt, es besser nicht zu versuchen.
"Belarus braucht eine Reform-Elite"
Anatoli Mikhailov verbindet mit der Europäischen Humanistischen Universität eine Herzensangelegenheit. Er will den ideologisch geprägten weißrussischen Staatsuniversitäten eine Hochschule entgegensetzen, die sich inhaltlich und strukturell an den westlichen Standards orientiert.
Vor allem im Bereich der Geistes - und Sozialwissenschaften. Rektor Anatoli Mikhailov schildert die bildungspolitischen Verhältnisse in Belarus: "Die belarussischen Universitäten betreiben das Pflichtfach "Staatsideologie" auf Geheiß von Präsident Lukaschenko, der zudem die Rektoren sämtlicher staatlicher Universitäten persönlich ernennt. An den über 50 Universitäten des Landes wurde kürzlich ein neuer Posten eingeführt - der des Vizerektors für ideologische Erziehung."
Werbeverbot für EHU
Die im Jahr 2006 in Vilnius wiedereröffnete Europäische Humanistische Universität besuchen heute wieder ebenso viele Studenten und Studentinnen wie einst im 200 Kilometer entfernten Minsk. Fast alle Studierenden und der Großteil des wissenschaftlichen Personals kommen aus Belarus.
Dort ist es verboten, Werbung für die Europäische Humanistische Universität zu machen. "Wir informieren die jungen Menschen in Belarus über das Internet, aber auch im Rahmen von persönlichen Gesprächen mit Verwandten von Studenten, die bereits an der EHU sind", Tatiana Chulitskaya, Lektorin für Politikwissenschaft und Europa-Studien.
"Das Regime betrachtet uns als politische Oppositionspartei"
Den jungen Weißrussland, die sich für ein Studium an der EHU in Vilnius interessieren, helfen in Belarus verbliebene EHU-Sympathisanten beim Einreichen ihrer Bewerbungen, wie auch bei der Beschaffung eines Visums für die Einreise nach Litauen, um dort an den Aufnahmegesprächen teilnehmen zu können.
Über diese Helfer will Tatiana Chulitskaya nicht viel mehr erzählen. Denn vor knapp einem Jahr wurde am weißrussischen "Tag der Freiheit", mit dem an die Unabhängigkeit des Staates erinnert werden soll, ein in Minsk eröffnetes EHU-Administrationsbüro vom belarussischen Militär gestürmt, Computer beschlagnahmt und das Personal bedroht.
Der weißrussische "Tag der Freiheit" wird am 25. März begangen. Um diesen Tag herum werden von Belarus unter anderem die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zu Litauen verschärft und immer wieder EHU-Studenten und -Lehrende, die ihre in Weißrussland verbliebenen Verwandten besuchen wollen, schikaniert. "Ich fühle mich von den Grenzbeamten manchmal so behandelt, als wäre ich der Vertreter einer erfolgreichen politischen Oppositionspartei", erzählt Andrei, der an der EHU im ersten Jahr Politikwissenschaft studiert.
Medienpropaganda gegen EHU
Auf den Festplatten der im vergangenen Jahr in Minsk beschlagnahmten EHU-Computer fanden die staatlichen Autoritäten EHU-Werbematerial, darunter Videospots. Diese Spots wurden im Staatsfernsehen ausgestrahlt, allerdings ließ man sie zuvor dunkel einfärben, um die EHU bedrohlicher wirken zu lassen.
"Der Redakteur und Nachrichten-Sprecher erzählte dem belarussischen Fernsehpublikum übrigens, dass an der EHU Terroristen ausgebildet werden", erinnert sich Evgen der an der EHU im zweiten Jahr Europastudien und Politikwissenschaft studiert. Viele EHU-Studenten sahen diesen Beitrag des weißrussischen Staatsfernsehens. Jemand schaffte es, die Handy-Nummer des Redakteurs zu bekommen, der den Beitrag gestaltet hatte.
Die Tage darauf hatte dieser mit Kurzmitteilungslawinen von EHU-Studenten zu kämpfen und reagierte darauf mehr als verstimmt. "Davon zeugen einige äußerst derbe Kurznachrichten, die er anfangs als Antwort zurück schickte, bis er sich dann doch dazu entschied, sein Handy auszuschalten", erzählt Lektorin Tatiana Chulitskaya lachend.
Auf Hilfe angewiesen
Von Tatiana Chulitskayas Büro aus blickt man auf einen kleineren Innenhof der EHU. Wo in Sowjetzeiten junge Polizeianwärter in Reih und Glied marschieren lernten, können heute die Studierenden Pause machen. Die Gründe dafür, dass sie sich für ein Studium außerhalb von Belarus entschieden haben, liegen auf der Hand, meinen viele von ihnen und nennen die Missachtung von Menschenrechten, das nach wie vor sowjetisierte Bildungssystem mit Fächern namens wissenschaftlicher Marxismus, behördliche Willkür, die passive Zivilgesellschaft, die staatsnahen Massenmedien und Präsident Lukaschenko, der sich vor einigen Jahren seine Amtszeit unbefristet verlängern ließ.
Die Europäische Humanistische Universität ist auf die Hilfe von anderen europäischen Ländern und Hochschulen angewiesen. Derzeit wird die EHU von der EU-Kommission unterstützt, von privaten Stiftungen und Organisationen, wie auch von zahlreichen europäischen Ländern.
Zu den Donatoren gehören Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Holland, Irland, Litauen, Norwegen, Polen, Schweden, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und die USA. "Aus Österreich gab es von den zuständigen Ministerien auf entsprechende Anfragen und Bitten bis heute nicht einmal einen Antwortbrief", bedauert Rektor Mikhailov.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 23. März 2009, 19:05 Uhr
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