Wechselhafte Wahrheiten

Alles Glück kommt nie

Bereits nach einigen Seiten entwickelt Anna Gavaldas Roman einen Sog - bis hin zu einem jener Happy-Ends, für die Anna Gavalda bekannt ist. Obwohl sie ihre Geschichte aus der Sicht eines Mannes erzählt, ist die Hauptfigur des Romans eine Frau.

"Das Buch war schwierig zu schreiben, denn im ersten Teil geht es im Grunde um den Niedergang eines Mannes", erinnert sich die Autorin. "Es war wirklich ein Kampf zwischen mir, die ich meine Figuren formen wollte, und den Figuren, die darum kämpften, nicht unter meiner Fuchtel zu bleiben." Von diesem Kampf merkt man nicht viel in Anna Gavaldas neuem Roman mit dem etwas unbeholfenen deutschen Titel "Alles Glück kommt nie".

Erste Liebe

Charles ist ein erfolgreicher Architekt, er lebt seit Jahren mit seiner Lebensgefährtin Laurence und ihrer fast erwachsenen Tochter in Paris und hat sich sein Leben recht komfortabel eingerichtet. Aber dann bringt ein Brief diese heile Welt urplötzlich zum Einsturz. Er besteht aus nur drei Worten: "Anouk ist tot".

Diese drei Worte lassen die Vergangenheit über Charles hereinbrechen. Anouk, das war Charles' erste, große Liebe, die Mutter seines besten Freundes Alexis, eine ungewöhnliche Frau, gleichzeitig stark und verletzlich, abhängig vom Alkohol, mal Frau und mal ganz Teenager. Charles will wissen, wie Anouk die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte - und diese Suche konfrontiert ihn gleichzeitig mit der Leere seines eigenen Daseins.

Anfang und Ende

Tatsächlich ist Anouk für Anna Gavalda die eigentliche Hauptfigur des Romans, obwohl die Geschichte ganz aus Charles' Perspektive erzählt wird: "Er ist ein Mann, der tatsächlich zwischen zwei Frauen steht. Da ist diese Frau Anouk, die er als Kind kennen gelernt hat, und da ist eine andere Frau, die Kate heißt, zu der Anouk ihn auf eine gewisse Weise hinführt. Ich denke, er befindet sich im Spannungsfeld der beiden Frauen und er steht natürlich im Mittelpunkt, darum hat man den Eindruck, als sei er der Held des Buches, aber ich denke, er ist da, um die beiden Frauen zur Geltung zu bringen."

Kate ist jene Frau, bei der Charles' Suche schließlich ein Ende findet. Sie lebt auf einem alten Gutshof in der Provinz, mit einer Kinderschar und dem alternden Zauberer und Komödianten Nounou als Kindermädchen. Bis Charles allerdings Kate begegnet, bis er entdeckt, dass sein bisheriges Leben ihm bei allem Komfort nichts mehr zu bieten hat, muss er zunächst seine Vergangenheit verarbeiten, muss Alexis wieder finden, muss herausbekommen, wie Anouk gestorben ist.

Viel Zeit in seinem Kopf verbracht

All dies erzählt Anna Gavalda in ihrem schwungvollen Stil, gleichzeitig lakonisch und geschwätzig, schwankend zwischen Stakkato-Sätzen und langen inneren Monologen - und wenn sie steckenzubleiben drohte, war es Charles, der ihr weiterhalf, weshalb sie das Buch ihm gewidmet hat:

"Ich war oft ein bisschen deprimiert und voller Zweifel und jedes Mal war es Charles, dem ich sehr nahe war und es noch bin, der mir sagte: aber ja, aber ja, komm zurück, ich helfe dir, ich bin noch nicht fertig mit meiner Geschichte", erzählt Gavalda. "Als das Buch dann fertig war, hatte ich sehr viel Zeit in seinem Kopf verbracht, viel Zeit in seiner Intimsphäre, daher schien es mir nur logisch, ihm das Buch zu widmen."

"Ich hänge an meinen Figuren"

Vielleicht wegen dieser Schwierigkeiten wirkt "Alles Glück kommt nie" nicht ganz so federleicht wie seine Vorgänger. Zu Beginn erscheint die Geschichte geradezu schwerfällig, erst nach einigen Seiten entwickelt Anna Gavaldas Prosa ihren Sog, der dann aber zuverlässig funktioniert - bis hin zu einem jener Happy-Ends, für die Anna Gavalda zwar bekannt ist, die sie selbst aber gar nicht als so glücklich empfindet.

"Wenn man sich meine Figuren genau ansieht, sind welche dabei, die sehr viel leiden, die eine schreckliche Kindheit haben, in all diesen Schicksalen ist der Tod sehr präsent, aber ich denke, wenn die Geschichte endet, soll sie ein positives Bild hinterlassen, wie etwa bei Asterix, wo am Ende ein großes Bankett stattfindet und alle zusammenkommen. (...) Ich hänge an meinen Figuren, ich möchte sie nicht im Zustand der Trauer lassen."

Liebling Anouk

So verlässt Anna Gavalda Charles und Kate zwar in einem glücklichen Moment, aber ohne ihnen das große Glück für alle Zeit zu versprechen. Ambivalent zeichnet sie auch ihre Figuren - Charles, der auf der Suche nach seiner Vergangenheit manches Porzellan zerschlagen muss, Kate, die mit ihrem Leben nicht so im Reinen ist wie es auf den ersten Blick scheinen mag, und vor allem Anouk, die heimliche Hauptperson, die hauptsächlich durch die Augen des kindlichen Charles gesehen wird, und in der sich Zuversicht und tiefe Tragik verbinden.

"Sie ist meine Lieblingsfigur in allen Büchern, die ich geschrieben habe. Obwohl sie nicht so oft auftaucht, obwohl man sie selten sprechen hört, obwohl man wenig über ihre Gedanken erfährt, über ihre Kindheit, finde ich letztlich, sie ist eine sehr gute Figur, die zu viel liebt, zu viel weint, zu viel lacht, die sich zu sehr verliebt, die das Leben zu sehr liebt, die den Alkohol zu sehr liebt; da scheint es mir wichtig, sie durch die Augen eines Kindes zu sehen."

Positiver Eindruck

Anna Gavalda spielt mit Perspektiven und Betrachtungsweisen, hinter denen sich wechselhafte Wahrheiten verstecken. Trotz der stellenweisen Längen präsentiert sich ihr Buch leicht und elegant, ohne sich in Banalitäten zu verlieren und hinterlässt einen wohltuend positiven, aber nicht abgeschmackten Eindruck: Man folgt Charles gern bei seiner Suche und freut sich über den guten Ausgang - und Anna Gavalda selbst ist es ohnehin gleichgültig, warum man ihre Bücher liest. Hauptsache man tut es.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Anna Gavalda, "Alles Glück kommt nie", aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger, Hanser Verlag

Link
Hanser Verlag - Alles Glück kommt nie