Vom türkischen Foltergefängnis ins Lager Traiskirchen
Ein kurdisches Leben
Alireza Göktas ist 1985 aus der Türkei nach Österreich geflohen. Der Kurde wurde wiederholt festgenommen und gefoltert, weil er sich für die Rechte der Minderheit einsetzte. Um seine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, hat er ein Buch geschrieben.
8. April 2017, 21:58
Aliriza Göktas wurde 1961 in einem kleinen Bergdorf namens Xerbo geboren. Es liegt auf 2.000 Meter Höhe, umgeben von Wäldern zwischen den Oberläufen des Euphrat und Tigris im Osten der Türkei. In der Region lebten größtenteils Kurden. Es war jedoch verboten, kurdisch zu sprechen, zu schreiben und kurdische Zeitungen herauszugeben.
Seine Eltern hatten die brutale Niederschlagung der kurdischen Aufstände zwischen 1936 und 1938 überlebt. 50.000 Kurden sollen damals laut Gesellschaft für bedrohte Völker getötet worden sein. Die türkische Regierung steckte die Cousins von Aliriza Göktas in türkische Internate, um sie zu zwangsassimilieren. Der Lehrer in seiner Schule schlug die Kinder, die kurdisch sprachen und verteilte Bonbons an jene, die andere Schüler denunzierten, berichtet Aliriza Göktas.
Wegen Wand-Schmierereien zum Tode verurteilt
1976 als er 15 Jahre alt war, wollte er mit drei Freunden "ein Zeichen setzen". In der Nacht schlichen sie zum Schulgebäude und schrieben Parolen an die Wand, wie: "Keine Gewalt in der Schule" und "Freiheit für Kurden". Sie wurden gefasst und von der Polizei brutal verhört. Eine Woche schlugen die Beamten mit Fäusten und Füßen auf die Kinder ein, um ihre Auftraggeber herauszufinden. Schließlich wurden Aliriza Göktas und seine Freunde zum Tod verurteil. Die Strafe wurde nach zwei Berufungsverfahren auf sieben Monate verkürzt.
Gefoltert in türkischen Gefängnissen
Mit 18 Jahren zog Aliriza Göktas an die Westküste der Türkei, nach Izmir, um dort zu studieren. Er war Mitglied in einem kurdischen Verein und nahm an Demonstrationen teil. Bei einer Versammlung nahm ihn die Polizei fest und sperrte ihn in die politische Abteilung des Gefängnisses von Izmir. Zwei Jahre verbrachte er dort und wurde immer wieder gefoltert, wie er in seinem Buch beschreibt:
"Ich werde nackt ausgezogen, mit kaltem Wasser übergossen, mit verbundenen Augen in einen Raum geführt, verwirrt. Ich muss mich runterbeugen, aufstehen, rechts, links, ich glaube, dass ich durch das ganze Gebäude geführt werde. Ich werde an den Armen an einen Haken, an ein Kreuz gebunden, jesuskreuzähnlich, ich kann es nicht genau sagen, weil meine Augen immer zu sind. Dann wird unter meinen Füßen der Tisch, oder was immer, weggezogen und ich bin in der Luft."
Nach seiner Entlassung, hatte er nur ein paar Monate Zeit, um sich bei seiner Familie zu erholen. Dann stand die Polizei wieder vor der Tür. Sie brachten ihn in ein Folterzentrum in der Nähe. Die zwei Monate dort, waren die schlimmsten seines Lebens, erzählt Aliriza Göktas:
"Sie hängen an meine Finger, an meine Zehen, an mein Glied, an meine Brust, an meine Ohrläppchen, an all die empfindlichen Stellen, Elektroden. Ich bin nass und sie geben mir Elektroschocks - ein höllischer Schmerz. Ich schreie und schreie. Ich denke ich platze, meine Nieren platzen, meine Körperteile platzen."
Hinter den verschlossenen Türen von Traiskirchen
1985 flüchtete er nach Österreich und suchte um Asyl an. Der traumatisierte 24-Jährige wurde verhört. Sowohl die Polizei, als auch das Flüchtlingshochkommissariat warfen ihm vor, sich die Geschichte von der Folter ausgedacht zu haben, schreibt Aliriza Göktas in seinem Buch. Sie verlangten Dokumente, schriftliche Beweise. In der Türkei hatte er sich Österreich als freies Land ausgemalt, im Flüchtlingslager Traiskirchen fand er sich hinter verschlossenen Mauern wieder. Der nötige Respekt habe gefehlt, sagt Aliriza Göktas. Er hat das Buch auch geschrieben, um mehr Sensibilität für Flüchtlinge schaffen.
Heute lebt Aliriza Göktas im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern und arbeitet als Sozialpädagoge mit Jugendlichen in Wien. Er ist mit einer Vorarlbergerin verheiratet und hat zwei Töchter. Die Narben an seiner Seele werden nicht verblassen, aber er hat gelernt mit ihnen umzugehen. Aliriza Göktas versucht, sich als jemand zu begreifen, der aus zwei Teilen besteht. Aus einem verwundeten und aus einem unverletzten Teil. Er arbeitet daran, dass der verletzte Teil nicht Überhand gewinnt. Seine Heimat in den Bergen wird er vermutlich nie wieder besuchen können: 1993 wurde die Bevölkerung gezwungen, das Dorf zu verlassen. Xerbo ist militärisches Sperrgebiet. Von dem Ort sind nur noch Ruinen übrig.
Hör-Tipp
Moment, Montag, 18. Mai 2009, 17:09 Uhr
Buch-Tipp
Aliriza Kemera-Asmên, "Kinder des Himmels", Herausgegeben von Grenzenlos St. Andrä-Wördern und Unruhe Privatstiftung
Das Buch ist für 20 Euro erhältlich bei: Südwind Buchwelt Wien, Marktgemeinde St. Andrä-Wördern, Stadtbuchhandlung Tulln, Buchhandlung Winter Klosterneuburg
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