Lassen leere Kassen Hugo Chávez' Macht schwinden?

Venezuela in der Krise

Der niedrige Erdölpreis lässt die Staatskasse Venezuelas langsam leer werden. Bislang hat Präsident Chávez großzügig Geld an die Armen verteilt und sich so ihre Unterstützung gesichert. Werden sie auch in Zeiten der leeren Kassen auf seiner Seite stehen?

Der Sturz des Erdölpreises führte Venezuela in die Krise. In den Staatsbetrieben wurden die oberen Gehälter um ein Fünftel gekürzt, die anderen eingefroren. Der Reallohn ist gesunken.

Derzeit verstaatlicht die venezolanische Regierung, wie nie zuvor. Sie begründet dies mit "Nationaler Sicherheit". Nicht nur die "Banco de Venezuela", die zur spanischen Santander-Gruppe gehört, wurde konfisziert, sondern auch zahlreiche Firmen, die bei der staatlichen Erdölfirma PDVSA unter Vertrag standen. Hugo Chávez wirft ihnen vor, dass sie, trotz sinkender Ölpreise, ihre Kosten nicht gesenkt haben.

PDVSA steht bei diesen Firmen mit vierzehn Milliarden Dollar in der Kreide. Die Verfassung sieht Entschädigungen vor, aber Chávez fehlt das Geld, um diese Ansprüche zu befrieden. Kostspielige Prozesse werden auf die Regierung zukommen. Zwar hat PDVSA Außenstände in Höhe von 24 Milliarden Dollar. Doch ob dieses Geld jemals eingetrieben werden kann, steht in den Sternen; die Hauptschuldner sind zentralamerikanische Staaten und Kuba.

Volltanken um einen Euro

Das gemeine Volk hat die Krise noch nicht zur Kenntnis genommen. Am Wochenende sind die Strände voll. Auch die Armen besitzen ein Auto, das sie hinten und vorne zusammen flicken. Es stört sie nicht, dass es zwanzig Liter Benzin schluckt. Eine Tankfüllung - 60 Liter - kostet weniger als einen Euro.

Vor zwanzig Jahren wollte der Sozialdemokrat Carlos Andrés Pérez den Benzinpreis anheben. Das Resultat war der Caracazo, ein mehrtägiger Aufstand mit 3.000 Toten. Perez wurde wegen Korruption angeklagt und seines Amts enthoben. Es folgten zwei Putschversuche, der erste von Chávez.

Ein Füllhorn voller Petrodollar

"Als gewählter Präsident wiederholt Chávez das, was seine sozialdemokratischen und christdemokratischen Vorgänger getan haben", sagt Eduardo Terra, ein Unternehmer in Caracas, "er gießt das Füllhorn voller Petrodollar über die Bedürftigen." Das Klima fördert diese Einstellung. Es ist immer warm, ohne Frost, und überall stehen Obstbäume.

"Im Allgemeinen will niemand arbeiten", so Terra, "die Leute fordern, dass man ihnen gibt. Und diejenigen, denen Chávez etwas gibt, und das sind sehr viele, stehen heute auf seiner Seite. Für wen sie morgen sind, ist ungewiss, denn bis vor wenigen Jahren haben dieselben Leute, die jetzt für Chávez sind, für die traditionellen Parteien gestimmt."

Schwache politische Opposition

Solange Chávez großzügig Geld verteilen konnte, hatte er kaum Widersacher. Die hat er, auf der politischen Bühne, immer noch nicht. Die rechte Opposition hat jahrelang ihren eigenen Einfluss maßlos überschätzt, und auch die Medien, die sich fast ausnahmslos in ihren Händen befinden, haben diesen Eindruck vermittelt.

Doch spätestens seit ihrem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2002 haben sogar ihre Verbündeten, die Unternehmer und die CIA eingesehen, dass sie mit dieser Opposition Chávez nicht loswerden. Ihr Anführer, Manuel Rosales, hat das Land, samt seiner Vertrauten, verlassen, um einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung aus dem Weg zu gehen. Und die Streitkräfte scheinen loyal zu sein.

Was passiert, wenn das Füllhorn leer ist?

Der Putsch 2002 war am Widerstand der Armen gescheitert, die die Rückkehr des Präsidenten erzwangen. Werden sie sein Projekt auch in Zeiten leerer Kassen verteidigen? Bislang verfügt Chávez nicht über einen eigenen Apparat. Die Macht der Gewerkschaftsbürokratie ist intakt, es fehlt ein "Industrieproletariat", da die meisten Gebrauchsgegenstände importiert werden.

Die Zeiten des sorglosen Geld-Ausgebens sind vorbei. Wie werden die Leute reagieren, wenn der Benzinpreis steigt? Werden sie, wie vor zwanzig Jahren, auf die Barrikaden steigen? Und was wird Chávez dann tun?

Hör-Tipp
Journal Panorama, Donnerstag, 2. Juli 2009, 18:25 Uhr