Eine Zehnjährige bewirkt Gesetzesänderung im Jemen

Kinder, die sich scheiden lassen

Die erfolgreiche Scheidung einer Zehnjährigen in Jemen hat Staub aufgewirbelt. Sie dazu geführt, dass auch andere zwangsverheiratete Mädchen in Jemen und Saudi-Arabien vor Gericht gehen und verlangen, von ihren Ehemännern getrennt zu werden.

Es war eine aufwühlende Geschichte, die vor gut einem Jahr um die Welt ging: Ein zwangsverheiratetes Mädchen aus der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, Nojoud Ali, hatte vor Gericht die Scheidung von einem zwanzig Jahre älteren Ehemann verlangt - und hatte Recht bekommen. Die iranisch-französische Journalistin Delphine Minoui hat über diese ungewöhnliche Scheidung zusammen mit dem betroffenen Mädchen ein Buch in französischer Sprache geschrieben, das seit kurzem auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

Nojoud Ali wurde 2007 als neunjähriges Mädchen für rund 4.000 Euro von ihrem Vater verheiratet: Viele Väter seien der Ansicht, so hält Delphine Minoui fest, dass es besser sei, den Ehemann der Tochter früh und selbst auszuwählen, als später zusehen zu müssen, wie sie mit irgendeinem Typen aus der Nachbarschaft durchbrenne und die Familienehre beschmutze. So musste Nojoud Ali nach ihrer Heirat mit ihrem Ehemann von der Hauptstadt in ein kleines Dorf auf dem Land ziehen. Sie lebte dort in seinem Haus wie eine Leibeigene, sie konnte nicht mehr zur Schule gehen, wurde von ihm schikaniert und sexuell missbraucht.

Mit dem Taxi ins Gericht

Nach einer monatelangen Leidenszeit und hartnäckigem Bitten, endlich ihre eigene Familie in der Stadt wieder einmal besuchen zu dürfen, konnte sich die Zehnjährige aus ihrer Lage befreien: Sie suchte die zweite Frau ihres Vaters auf, der sie vertraute und ihr Problem schildern konnte. Diese Frau riet ihr, sich an ein Gericht zu wenden. Nojoud Ali konnte zwar kaum lesen und schreiben, doch sie wusste, was ein Gericht ist, zumal sie schon Fernseh-Serien über Gerichtsfälle gesehen hatte, die immer gut ausgegangen sind.

Nojoud Ali verließ am nächsten Tag das elterliche Haus und bezahlte mit dem Geld, mit dem sie für die Familie hätte Brot einkaufen sollen, den Bus ins Zentrum. Dort nahm sie ein Taxi zum Gericht. Sie betrat das Gebäude mit dem Ziel, es erst wieder zu verlassen, wenn sie von ihrem Ehemann befreit war. Und sie schaffte, was unmöglich schien: Ein Mädchen bekommt vor Gericht Recht und wird geschieden.

Doch was für sie eine große Befreiung war, wurde zum politisch brisanten Präzedenzfall und für die Traditionalisten im Land zum Skandal. Eine prominente Anwältin und Frauenrechtlerin hatte den außergewöhnlichen Scheidungsfall im In- und Ausland publik gemacht. Nach diesem Urteil können nun auch andere die Forderung stellen und das gleiche Recht beanspruchen, denn zwangsverheiratete Mädchen und minderjährige Mütter gibt es in Jemen viele. Nach Nojoud Ali haben in Jemen dann auch zwei weitere Mädchen diesen Schritt gewagt.

Politische Folgen

Der Scheidungsfall blieb nicht folgenlos: Jemen musste im März dieses Jahres das Gesetz ändern. Darin wurde erstmals ein Mindestalter von 17 Jahren für eine Heirat festgelegt. Das Gesetz wird von Frauenrechtlerinnen kritisiert. Sie befürchten nämlich, dass es an der realen Situation nichts ändert, zumal es eine Ausnahmeregelung enthält. Demnach ist eine frühere Heirat immer noch möglich, wenn der Ehemann verspricht, das Mädchen erst anzurühren, wenn es das offizielle Heiratsalter erreicht hat. Positiv aber sei, so sagt Delphine Minoui, dass das Thema jetzt in der arabischen Welt in Fernsehsendungen zur Sprache komme. Denn gerade das Fernsehen breche die Isolation auf, in der viele Mädchen und Frauen im Inneren der Häuser leben.

Diese Scheidungsfälle in Jemen haben auch Auswirkungen auf andere Länder. So konnte sich in Saudi-Arabien eine Neunjährige von ihrem Ehemann trennen lassen. Auch in diesem Land müssen sich die Gerichte nun mit Scheidungsanträgen von Kindern befassen, auch wenn der Mufti, die höchste religiöse Autorität im Land, vor kurzem ein Machtwort gesprochen hat. Er ließ verlauten, dass er gegen ein Mindestalter bei der Heirat sei, denn ein Mädchen, das richtig erzogen sei, würde auch mit zwölf schon eine gute Ehefrau abgeben.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 7. Juli 2009, 18:25 Uhr

Buch-Tipp
Nojoud Ali mit Delphine Minoui, "Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden", aus dem Französischen von Andreas Riehle und Thomas Wollermann, Knaur Verlag (2009)

Link
Verlagsgruppe Droemer Knaur - Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden