Das Remix-Rework-Projekt "Morphica" von Mikhail

Auf den Spuren von Orpheus

In seinem Remix-Rework-Projekt "Morphica" lädt Mikhail zu einer Reise in die Welt der griechischen Mythologie und bleibt dabei doch am Puls der Zeit. Die Postmoderne als "supergenre", Neo-Barock und die über Grenzen hinaus strebende Kraft der Musik.

Die zwölf Stücke auf der CD "Orphica" bilden die Ausgangsbasis für das Projekt "Morphica". Sie drehen sich um Orpheus, den wohl berühmtesten Sänger der griechischen Mythologie, der mit seinem Gesang und seinem Leier-Spiel nicht nur die Menschen und Götter, sondern sogar die Tiere, Pflanzen und Steine zu betören verstand. Letztere, heißt es, hätten bei seinem schönen Gesang sogar zu weinen begonnen und Orpheus schaffte es auch, während der Odyssee mit seinem Gesang die Sirenen zu übertönen.

Klänge aus der alten Heimat

Der ursprünglich aus Griechenland stammende und nun in London lebende Künstler - und das Wort Künstler ist hier nun ganz bewusst gewählt, denn Mikhail ist nicht nur Musiker, sondern auch bildender Künstler und Architekt - ist für sein Album "Orphica" in seine alte Heimat gereist, um dort Feldaufnahmen zu machen, etwa auch vom Ionischen Meer oder von den Fledermäusen in Orpheus’ Höhle im Olymp. Daneben kamen, neben diversen Musiksamples, eine Vielzahl von Instrumenten zum Einsatz: angefangen von Messern bis hin zu einer Reihe von Zupf- und Streichinstrumenten und Makhails vielseitiger Stimme.

To Hell with Genres

Pop, experimentelle Elektronik, griechische Volksmusik, zeitgenössische Klassik, - von all dem sind Spuren in den Songs, beziehungweise Stücken, sowohl auf "Orphica" als auch auf Morphica zu finden. Einem bestimmten Genre zuordnen lassen sie sich aber nicht, und das ist durchaus im Sinne des Erfinders. "To Hell with Genres" lautet der Untertitel eines Textes, den Mikhail der Veröffentlichung "Morphica" beigelegt hat, mit einem Verweis auf DJ Spooky’s Essay "In Through the Door", zu finden in dem Buch "Sound Unbound: Sampling Digital Music and Culture". Darin skizziert der Künstler seine Idee von der Postmoderne als, wie er es bezeichnet, "supergenre".

Postmoderne als "supergenre"

Was damit gemeint ist? Mikhail liefert umgehend die Antwort. Als Zuseher und Zuhörer in der heutigen Zeit, ist man daran gewöhnt, laufend zwischen den unterschiedlichsten Bildern und Klängen hin- und her zu switchen und sie dabei gleichzeitig miteinander zu verknüpfen, um so einen jeweils ganz eigenen Remix, sein persönliches Palimpsest zu schaffen.

Auf Medienplattformen, wie etwa "Youtube" stünden sie nämlich alle gleichberechtigt nebeneinander, die Dokumentation über das Antike Rom, die so-und-so-vielte Folge der Zeichentrickserie Micky Mouse, der Film über den Urknall und der im heimatlichen Schlafzimmer selbst gedrehte Soft-Porno. Die Erfahrung in der digitalen Medienwelt, so Mikhail weiter, ist in jeder Hinsicht exzessiv, denn mit dem vorhandenen Material können endlos viele verschiedene neue Filme zusammenmontiert werden.

Zapping und Browsing

Wenn er durch das Internet surfe, führt Mikhail in besagtem Text weiter aus, dann schaue, höre und denke er schnell. Die Gedanken sind fragmentiert und dekonstruiert. Rekonstruktion und Synthese werden auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft verschoben.

Die passieren dann, wenn er schließlich einem Freund vom Erlebten erzählt. In dem er seine Erfahrung in einen Wortfluss gieße, so Mikhail weiter, erschaffe er eine Partitur. Zapping und Browsing betrachtet der Künstler dabei als eine Remix-Strategie, als eine Kompositionsmethode und als einen Leitfaden für den Performanceverlauf.

Gemeinschaftsarbeit

Mit "Morphica" feiert Mikhail diese neue Arbeitsweise, mit einer Vielzahl an Gästen. Um über seine eigenen Grenzen hinauswachsen zu können, hat Mikhail eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern gebeten, mit ihm gemeinsam am Morphing seiner Songs auf der CD "Orphica" zu arbeiten. Manche haben daraufhin Stücke angefertigt, die nun ohne weitere Bearbeitung veröffentlicht wurden, andere Stücke sind im Zuge eines Dialogs entstanden.

Exzess in der Zeit des Neo-Barock

Nochmals speziell auf das bereits vorhin angesprochene Moment des Exzesses eingehend, verweist Mikhail in seinem Text zu "Morphica" auf die Zeit der späten Renaissance, des Barock und des Manierismus, als die Grenzen der perspektivisch genauen Darstellung in der bildenden Kunst gesprengt wurden und mit Hilfe von üppiger Ornamentierung und Kontrapunkt die Grundfesten der abendländischen Musiktradition ins Wanken gebracht wurden. Hier verweist der Künstler auf den Kulturtheoretiker Omar Calabrese, der in den postmodernen Kunstpraxen Parallelen zu den Kunstpraxen im Barock sieht, weshalb er dann auch die Epoche in der wir derzeit leben, als Neo-Barock bezeichnet.

Mikhail sieht im Neo-Barock eine Bewegung, die die Expressivität preist, die Disharmonie, das Unregelmäßige, das Nebeneinanderstellen. Eine Bewegung, in der die kultivierten Stimmen des Exzesses widerhallen - expressive, intime, fragende, zerstückelte Stimmen, die bis zum Äußersten gehen, die Konventionen durchbrechen und unsere Hörgewohnheiten herausfordern.

Über die Grenzen hinaus

In seinem begleitenden Text zu "Morphica" klärt Mikhail auch auf, warum er Orpheus in den Mittelpunkt dieses Werkkomplexes gestellt hat, dessen Geschichte auch heute noch immer wieder aufgegriffen wird, nach mehr als 2.000 Jahren.

Mikhail: "In gewisser Hinsicht zeigt die Legende auf, was die Kraft der Musik alles bewirken kann. Orpheus trauert mit Hilfe seiner Musik, er erschließt sich mit ihr den Zugang zu verbotenem Territorium und überschreitet physische Grenzen. Mit Hilfe seiner Musik verzückt er und kommuniziert er mit Angehörigen verschiedener sozialer Schichten (Königen), und mit anderen Arten (Bestien) und Existenzformen (den Geistern der Toten). Die Legende von Orpheus dramatisiert das emotionale, politische, spirituelle und funktionale Potential von Musik. Die Lieder von Orpheus über Tod, Liebe, das Göttliche und die Natur zeigen auf, was zum Musikmachen motiviert. Vielmehr noch, sie beschreiben die komplexe Rolle von Musik, als ein Mittel den irrationalen Wunsch zu erfüllen, über den Tod hinaus lieben zu können, oder die tote Geliebte bzw. den toten Geliebten wiederauferstehen lassen zu können - in anderen Worten, den Wunsch, das Unmögliche möglich machen zu können."

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 15. Juli 2009, 23:03 Uhr

Links
Mikhail
Mikhail - Orphica
Mikhail - Morphica
Sub Rosa

CD-Tipps
Mikhail, "Orphica", Quatermass-QS172
Mikhail und andere, "Morphica", Sub Rosa