Acht Jahre Forschung
Großer Durchbruch mit kleinen Tieren
Rankenfüßer besitzen keine Gliedmaßen, der Hinterleib ist reduziert, der Körper kurz und gedrungen. Sie leben im Wasser und setzen sich an Steinen, Walen und auch an Schiffen fest. Charles Darwin widmete ihnen acht Jahre seines Forscherlebens.
8. April 2017, 21:58
Rankenfüßer sind eigentümliche Tierchen. Zumindest eine Art von ihnen kennt jeder, der schon einmal am Meer war: Steine und Felsen im seichten Wasser sind dort oft übersät mit kleinen, steinharten, kegelförmigen weißen Gebilden, an denen man sich leicht die Füße aufschneidet. Das sind Seepocken. Sie sind keine Muscheln, wie lange angenommen, sondern Krebstiere - und zwar eine besonders eigenartige Variante davon. Denn im erwachsenen Zustand sind die Rankenfüßer die einzigen Krebstiere, die unverrückbar festsitzen.
Sobald die Rankenfüßerlarve mit der Unterlage andockt, beginnt sie, sich mit einem ausgeklügelten Zement festzuheften. Dazu wird eine klare Flüssigkeit mit zwei Komponenten aus der Antenne ausgeschieden. Wenn die beiden Komponenten sich vernetzten, halten sie besser als jeder Superkleber. Ob es sich um eine lebende Unterlage, wie etwa die Haut eines Wals oder ein Baum oder Strauch am Wasserrand, oder aber unbelebt wie Felsen oder Schiffsrümpfe handelt, die Seepocken können kaum noch von ihrem Standplatz entfernt werden. Vor allem das Festsetzen an Schiffsrümpfen macht die Tiere auch zu einem wirtschaftlich relevanten Faktor.
Die Entdeckung von Mr. Arthrobalanaus
Als Charles Darwin sich Ende 1831 auf die Reise mit der "Beagle" machte, wusste man herzlich wenig über die Rankenfüßer . Gerade einmal ein Jahr war die Erkenntnis alt, dass es sich um Krebstiere und keine Muscheln handelte. Und dass die Seepocken am Meeresstrand verwandt waren mit den mysteriösen Entenmuscheln: Tiere, die mit einem mehrere Zentimeter langen, beweglichen Stiel irgendwo fest anhaften. Am anderen, freien Ende hängt etwas, das aussieht wie eine klassische Muschel und darin ein Tierchen, das früher für einen winzig kleinen Vogel gehalten wurde. Wahrscheinlich eine Ente, dachte man früher, weil die Gebilde ja immer beim und im Wasser zu finden waren, und taufte sie Entenmuscheln - Muscheln, aus denen Enten schlüpfen.
Diese Sicht der Dinge begann gerade stark ins Wanken zu geraten, als Darwin zu seiner Weltumseglung aufbrach. Das wusste der zoologisch sehr gebildete junge Darwin. Als er 1835 an der chilenischen Küste eine Muschelschale mit vielen Löchern und in einem dieser Löcher ein winziges Tierchen fand, erkannte er darin sofort einen Rankenfüßer - und es war ihm auch gleich klar, dass es sich um eine besondere Art handelte. Seinen neuen Rankenfüßer nannte Darwin Mr. Arthrobalanaus, und mit der Arbeit an ihm, die acht Jahre dauern sollte, begann er 1846.
Mittel zum Zweck
Darwin hatte sich in die Rankenfüßer so fest verbissen, wie diese an ihrem Untergrund anhaften. Vor allem interessierten sie ihn aber wohl, weil sie ihm Mittel zum Zweck waren, in mehrerlei Hinsicht. Nur wenige Jahre vorher, 1844, hatte Darwin erstmals in einem gut 200 Seiten langen Aufsatz seine Abstammungstheorie niedergeschrieben. Der Aufsatz blieb unveröffentlicht. Darwin erzählte aber unter anderem seinem Freund, dem Botaniker Joseph Hooker davon. Der wandte postwendend ein, bevor man sich den großen naturphilosophischen Fragen zuwende, solle man erst einmal ein bisschen Detailarbeit erledigt haben.
Und so begann er mit der Arbeit an den Rankenfüßern. Zu diesem Zeitpunkt war Darwin schon bekannt: als junger Weltreisender, Abenteurer und Naturforscher, der einen viel gelesenen Reisebericht geschrieben hatte, die "Fahrt mit der 'Beagle'“. Fast zehn Jahre später erhielt er für seine Rankenfüßer-Arbeit die höchste wissenschaftliche Auszeichnung seiner Zeit, die Royal Medal der Royal Society in London. Erst jetzt war auch sein Ruf als exzellenter Wissenschaftler gefestigt.
Die Entdeckung von etwas Einzigartigem
Vier gewichtige Bücher über die Cirripedien, die bis heute als Standardwerk gelten, die Royal Medal und ein unverbrüchlich guter Ruf, das war schon einiges. Dennoch teilte Darwin im Grunde die Ansicht seines ehemaligen Lehrers und Mentors, des Botanikers John Henslow, der meinte: "Wie wunderbar auch immer eine wissenschaftliche Untersuchung sein mag - wenn sie gänzlich unanwendbar ist, dann ist sie nicht mehr von Nutzen als Luftschlösser zu bauen."
Da kam Darwin eine Entdeckung an einer Entenmuschelart mit Namen Ibla gerade recht, wie die Britin Rebecca Stott für ihr Buch "Darwin and the Barnacle" - Darwin und die Rankenfüßer - recherchierte.
Er hatte etwas Außergewöhnliches im Körper eines Ibla-Exemplars entdeckt, etwas, das so klein war, dass man es nur im Mikroskop sehen konnte, über dessen große Bedeutung er aber monatelang grübeln würde. Das war auf jeden Fall besser als Luftschlösser zu bauen! Ob es auch brauchbar sein würde, war er sich allerdings noch nicht so sicher.
Was Darwin da entdeckt hatte, erwies sich als einzigartig im Tierreich. In der Haut der Ibla, der Entenmuschel, die er untersuchte, steckte etwas ganz Kleines, das er zuerst für einen Parasiten hielt. Bei näherer Betrachtung erwies es sich jedoch ebenfalls als eine Entenmuschel, und zwar ein winzig kleines Ibla-Männchen.
Damit war Darwin den ganz eigentümlichen Geschlechterverhältnissen und Fortpflanzungssystemen der Rankenfüßer auf der Spur. Die großen Ibla-Entenmuscheln sind entweder zwittrig oder weiblich - mit Zwergmännchen, die mehr oder weniger auf ihre Fortpflanzungsorgane reduziert sind.
Rankenfüßer als Basis für die "Entstehung der Arten"
Was Darwin über die Entwicklung der Cirripedien vom Larvenstadium zum festsitzenden Tier gelernt hatte, darüber, wie Organe im Laufe des Lebens je nach Erfordernissen ihre Funktion verändern können, oder über die vielfältigen Möglichkeiten der Geschlechtsausbildung und Fortpflanzung - all das waren wesentliche Hinweise, um die große Frage zu klären, die ihn eigentlich interessierte, nämlich die nach der Entwicklung des Lebens auf der Erde.
Fünf Jahre später, 1859, erschien sein bekanntestes Werk, die "Entstehung der Arten". Ohne die Arbeit an den Rankenfüßern hätte ihm dafür nicht nur wichtiges empirisches Material und einige Jahre reiflichen Nachdenkens gefehlt, sondern auch das wissenschaftliche Gewicht, mit seiner Theorie ernst genommen zu werden.
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 11. August 2009, 19:05 Uhr