Ich mache Krach, also bin ich
Ludwigshöhe
Mit einem schwierigen Thema beschäftigt sich der Münchner Autor Hans Pleschinski in seinem aktuellen Roman: mit dem Lebensüberdruss. Trotz des düsteren Hintergrunds ist der Text alles andere als schwermütig, sondern von beachtlicher Leichtigkeit.
8. April 2017, 21:58
Es gab die böse, die erlösende oder wie auch immer zu nennende Sekunde, in der die Kräfte verpufften, der schwarze Nebel kam, kein Boden unter den Füßen blieb, alle Verknüpfung zerriss, jene nicht vorher zu bestimmende Sekunde, in welcher der Mensch nicht mehr sein wollte, die Sekunde am Hang, auf der Brücke, an einem Sonnentag hinter der Brüstung der Petersdomkuppel und des Eiffelturms. Wahrscheinlich schaute jeder zweite, dritte Besucher mit solchen Kurzreflexen von der Frauenkirche auf die Stadt oder über den nächtlichen Ammersee. Mit einem vielleicht aufgestauten, dann aber plötzlichen Genug. Alles mochte dabei durch Kopf und Seele wirbeln, aber wenig Verbindliches mehr - unergründlich blieb das letzte Ich-will-nicht-mehr, das dann tatsächlich die Aufkündigung sein sollte, der Schritt vom schönen oder abgelatschten Teppich, den die Menschheit fürs Leben gewoben und ausgerollt hatte.
Mit schwierigen Themen beschäftigt sich der Münchner Autor Hans Pleschinski in seinem aktuellen Roman "Ludwigshöhe": mit dem Lebensüberdruss, dem Willen zum Selbstmord, mit Themen, die Pleschinski schon seit mehr als 20 Jahren beschäftigen.
"Es ging mir von Anfang an darum, auch eben schon vor etlichen Jahren, Menschen zu finden, die am Rand des Lebens stehen, um Abgründe des Lebens auszuleuchten", so Pleschinski im Gespräch. "Und gleichzeitig, wenn man Abgründe ausleuchtet, dann kann man ja auch entdecken, was da noch Lebensmut gibt. (...) Und vielleicht sogar mutiger weiterzumachen als zuvor."
Gut untergebracht
Pleschinskis Roman ist trotz des düsteren Hintergrunds alles andere als traurig oder schwermütig, sondern vielmehr von beachtlicher Leichtigkeit.
Die Geschwister Ulrich, Clarissa und Monika, erben von ihrem Onkel ein kleines Vermögen, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie im Haus Ludwigshöhe 3 eine Anlaufstelle für potenzielle Selbstmörder eröffnen. Sie fügen sich und schon bald finden sich einige kuriose Gestalten in der Ludwigshöhe ein, etwa ein Radioredakteur, der keinen Sinn in seiner Arbeit mehr sieht, eine Domina, die sich unglücklich verliebt hat, eine Lehrerin aus Augsburg, ein bankrotter Verleger und eine alternde Filmdiva.
"Die Anstrengung und Anspannung war eben, den Gestalten in ihrer Not gerecht zu werden", so Pleschinski, "und nicht belletristisch locker darüber hinwegzugehen. Der Roman mag phasenweise sehr heiter herüberkommen, aber es gibt darin Abschiedsbriefe, Verzweiflungsmomente, die es, glaube ich, in sich haben. (...) Deswegen war ich sehr froh, dass ich ein paar meiner Schutzbefohlenen in der Ludwigshöhe gut unterbringen konnte."
Die Kostbarkeit des Lebens
Gut untergebracht sind sie dort tatsächlich, denn nur die wenigsten setzen ihren ursprünglichen Entschluss auch in die Tat um. Stattdessen führen die Bewohner der Ludwigshöhe ein meist recht lustiges Leben, sie philosophieren über Sein und Nichtsein, sie erzählen einander ihre Geschichten und entdecken dabei, dass ihr Dasein doch noch spannende Facetten aufweist.
Gerade das war für Hans Pleschinski besonders wichtig: den Tod zu thematisieren und gleichzeitig die Kostbarkeit des Lebens zu verdeutlichen: "Unsere Gesellschaft verdrängt Leiden und Tod stark, das ist eine Albernheit, denn die Menschen sind nicht dümmer als früher und sie wissen genau, was irgendwann am Ende ihrer Tage vor ihnen steht und ich glaube, manchmal ist es ganz hilfreich, ein paar melancholische Gedanken daran zu verschwenden. Viele in dem Buch, die von der Endlichkeit ihres Lebens wissen, gewinnen daraus auch Kraft und daran zu erinnern, neben all dem konsumpolitischen Trara ist, glaube ich, ganz entscheidend, dass die Seele des Menschen durchblutet bleibt und pulst."
Immer mehr statt weniger
Die Balance zwischen Düsternis und komödiantischen Aspekten ist Pleschinski hervorragend gelungen, wenn er seinen Figurenkosmos durch die Seiten tanzen lässt, misstrauisch beobachtet von den drei Geschwistern, denn die sind wegen der steigenden Kosten für die Verpflegung gar nicht glücklich über die plötzliche Lebensfreude ihrer Gäste und versuchen sogar, sie mit kleinen Hinweisen dazu zu bringen, ihren Entschluss doch endlich auszuführen.
Stattdessen aber tauchen immer neue Gestalten in der Ludwigshöhe auf, etwa ein verzweifelter Supermarktangestellter oder ein syrisches Mädchen, das vor seiner Familie davongelaufen ist und gar nicht recht weiß, wo es sich eigentlich befindet.
Die Dramaturgie sei nicht immer ganz einfach gewesen, gibt Pleschinski zu, aber etwas anderes war für ihn noch weitaus schwieriger: "Die Sekundärliteratur zu lesen, das war das Bedrückendste. Es ist grauenhaft, es bedrängt einen unendlich, Bücher mit Abschiedsbriefen zu lesen, aber das war nötig, um meine Gestalten in diesem illegalen Privathospiz Ludwigshöhe zusammenzuführen. Und diese vielen Selbstmordsüchtigen, die ich 'Finalisten' nenne, geraten ja in meinem Romanhospiz erst einmal wieder zu sich selbst."
Höhen und Tiefen
Es ist bei aller Lebensnähe und Komik doch auch ein nachdenklicher Roman geworden, der nicht davor zurückschreckt, sich mitunter der Düsternis zu stellen, nur um danach umso fröhlicher zu werden. Auf fast 600 Seiten lässt Pleschinski seine Figuren lachen und lieben und weinen und grübeln, und man folgt ihnen gern durch ihre Höhen und Tiefen.
Es ist eben ein Roman über das Leben, dessen Kostbarkeit Pleschinski liebevoll herausarbeitet, und ein Roman über den Tod, der das Leben nur umso wertvoller macht. Und ganz besonders spritzig wird der Autor immer dann, wenn er sich darüber lustig macht, dass sich die Menschen allzu oft allzu ernst nehmen.
"Das war dann immer wieder überraschend, wie verrückt die empfindlichen, vergänglichen kleinen Menschen sind, welche Aufregungen in ihnen sind und dass sie in ihrem Leben, in ihrem kurzen Leben einen unglaublichen Krawall machen müssen, damit sie von ihrer Existenz wissen, damit andere davon erfahren, und welcher Aufwand betrieben wird um diese paar Jahrzehnte möglichst glorios über die Runden zu bringen", erinnert sich Pleschinski. "Da gab es eben auch Szenen, wo ich dann herzlich gelacht habe, wenn meine Gestalten nachts durch diese Villa taumeln, in irgendeiner Aufregung oder in so einem Bett der Liebe und sich und die Mitwelt schikanieren, aber sie sind da: Ich mache Krach, also bin ich."
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Hans Pleschinski, "Ludwigshöhe", C. H. Beck
Link
C. H. Beck - Hans Pleschinski