oder auch umgekehrt
Krimis mit Romanbonus
Paulus Hochgatterer, Autor und Kinder-Psychiater, wurde fast zwei Jahrzehnte lang als Geheimtipp gehandelt. Seit er Romane schreibt, die auch den Namen Krimi verdienen, hat sich das schlagartig geändert. Sein neuer Roman heißt "Das Matratzenhaus".
8. April 2017, 21:58
2006 erschien der Roman "Die Süße des Lebens", für den Paulus Hochgatterer den Deutschen Krimipreis erhielt. Das aktuelle Buch "Das Matratzenhaus" wurde mit einer Startauflage von 30.000 Exemplaren angekündigt und von der Kritik begeistert aufgenommen.
Zentrale Figuren beider Bücher: Der von den Frauen und vom Leben gebeutelte Kommissar Ludwig Kovacs und der selbstreflexive Psychiater Raffael Horn, der dazu neigt, bewusste Gedanken unbewusst auszusprechen. Die beiden halten nicht allzu viel voneinander, kreisen aber doch um dieselben Problemfälle im fiktiven, nach außen hin idyllischen Ort Furth, irgendwo zwischen Zell am See und Gmunden.
Komplexe Lebenswirklichkeiten
Ein junger Mann stürzt von einem Baugerüst in den Tod. Sein Freund versucht, sich an einem Luster zu erhängen. Kinder werden geschlagen, schweigen, wirken miteinander verschworen, aber nicht traumatisiert. Was ist los in dieser Kleinstadt?
Krimis boomen und erhöhen die Auflagenzahlen. Hat sich Paulus Hochgatterer deswegen dafür entschieden, unter die Krimiautoren zu gehen? "Nein", sagt er, "ich hab mich als Geheimtipp sehr wohl gefühlt. Und ich denke nicht, dass ich korrumpierbar bin. Dazu bin ich als Kinderpsychiater zu ausgelastet. Ich weiß auch nicht, ob ich Krimis schreibe. Das Erkenntnisinteresse ist jedenfalls ein anderes."
"Es geht nicht oder nur vordergründig, um die Aufklärung eines Falles", so Hochgatterer weiter. "Es geht auch nicht darum, dass der Täter gefasst wird und alle zufrieden sind. Als Psychiater komme ich aus der Schule von Alfred Adler, jenem abtrünnigen Schüler Freuds, der sich mit der Lebensrealität der Menschen befasst hat, mit den sozialen Aspekten von Arbeit und Arbeitslosigkeit und den politischen Aspekten von Macht. Als Autor versuche ich die komplexen Lebenswirklichkeiten meiner Romanfiguren zu transportieren. Als Psychiater und als Autor gilt meine Sympathie den so genannten Spinnerten und nicht den Offensiv-Normalos mit ihrem gesicherten Einkommen, ihrem Fitnessstudios und ihren Flachbild-Fernsehern."
Seelische Schäden
Ein Mann fesselt seine pflegebedürftige Frau ans Bett und verwüstet einen Kindergarten. Ein Mädchen auf der Station des Psychiaters Horn schneidet sich mit Rasierklingen auf und brüskiert ihren so hilflosen, wie sexuell aufgeregten Pfleger im Internet. Die lokale Lehrerin fügt sich ebenfalls Schnitte zu, wenn sie unter großen seelischen Druck gerät. Ihr Freund, ein durchgeknallter Benediktinerpater, kann seine inneren Stimmen nur bändigen, wenn er sich auch während der Messe den iPod ins Ohr stöpselt. Entspricht so ein Panoptikum von schwerstgeschädigten Menschen der Realität?
"Wenn ein Psychiater ein Buch schreibt, dann glauben alle, dass nur von schwerstbeschädigten Menschen die Rede sein kann", entgegnet der Autor. "Einige sind es ja auch. Aber die Lehrerin und der Benedektinerpater kommen doch ganz gut mit ihrem Schaden zurecht. Sie lieben sich, darauf kommt es an. Was den Kommissar und den Psychiater betrifft, so sind sie doch nur durchschnittlich beschädigte Menschen. Oder?"
Kinder, Katzen und Liebe
Der Kommissar, der nichts mehr von Frauen wissen wollte, hat eine Geliebte, die ihn frappiert, und eine Tochter aus geschiedener Ehe, die sich von einem Kartoffelsack in einen Punk verwandelt hat. Er liebt beide mehr, als er sich je eingestehen wird.
Der Psychiater hat eine herrliche Cellistin zur Frau, die er des Betrugs mit einem Tenor verdächtigt und zwei Söhne. Der eine ist nach einem Krach mit der Mutter aus der elterlichen Wohnung ausgezogen, der andere ist dem Vater generell verdächtig, obwohl er sich rührend um die kranke Familienkatze kümmert.
Erst als er das väterliche Auto geraubt hat, um abzuhauen, aber auch um der Katze zu helfen, kommt der Psychiater, der jedes Verständnis der Welt für seine Patienten, aber so wenig Einfühlungsvermögen für seinen pubertierenden Sohn hat, zur Besinnung.
"Ja, das ist realistisch", weiß Hochgatterer. "Meine Beziehung zu meinem Sohn hat mit meinem Beruf als Psychiater, fürchte ich, auch nicht sehr viel zu tun. Und die Kämpfe, die wir miteinander ausgefochten haben oder manchmal immer noch ausfechten, die werden nicht einfacher dadurch, dass ich Psychiater bin. Das funktioniert nicht", sagt Paulus Hochgatterer und lacht. Lachen gehört neben Kindern, Katzen und der Liebe zu den wichtigsten Dingen des Lebens. Der Roman " Das Matratzenhaus" handelt nicht zuletzt von fehlender Liebe, Kindern gegenüber, die sexuell missbraucht werden, trotzdem Kinder bleiben und einen Fluchtweg suchen.
Service
Paulus Hochgatterer, "Das Matratzenhaus", Deuticke Verlag
Paulus Hochgatterer, "Die Süße des Lebens", Deuticke Verlag