Janusz Onyszkiewicz über die Wende in Polen
"Freiheit. Alles andere folgt daraus"
Vor 20 Jahren waren es die Polen, die den Weg für die politische Wende in Osteuropa geöffnet haben. Janusz Onyszkiewicz, Solidarnosc-Aktivist und erster Verteidigungsminister nach der Wende erzählt vom Zusammenbruch des Kommunismus in Polen.
8. April 2017, 21:58
Janusz Onyszkiewiczs Biographie hätte wohl für mehrere Leben gereicht, in den 1970er Jahren war er ein in Polen sehr bekannter Mathematiker und Bergsteiger. 1975 gelang ihm sogar eine Erstbesteigung im Himalaya, nämlich die des fast 8.000 Meter hohen Gasherbrum III im Karakorumgebirge in Pakistan.
Einer politisch interessierten Öffentlichkeit auch außerhalb Polens wurde er Mitte der 1980er bekannt. Da er ausgezeichnet Englisch spricht, wurde Janusz Onyszkiewicz als Sprecher der Solidarnosc zur gefragten Auskunftsperson bei ausländischen Journalisten. Nach der politischen Wende vor 20 Jahren wurde der Bürgerrechtler Abgeordneter für die Liberalen, später Verteidigungsminister und bis Juni 2009 war er Mitglied des Europäischen Parlaments.
Schneller als erwartet
Als in Polen das Kriegsrecht herrschte, war Janusz Onyszkiewicz, so viele seiner Mitstreiter, von den kommunistischen Machthabenern immer wieder ins Gefängnis gesteckt worden. Hätte er vor 20 Jahren an eine Entwicklung wie sie dann gekommen ist geglaubt?
"Wir haben nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde", sagt Onyszkiewicz heute, "Wir wussten, dass wir eines Tages frei sein werden, dass es freie Wahlen geben wird. Aber was dann geschah war doch unglaublich." Als die Gespräche am Runden Tisch begannen, war er selbst schließlich noch mit einer Anklage wegen Hochverrats konfrontiert.
Aber auch einige Vertreter des Regimes schienen bereits in den frühen 1980ern zu spüren, dass der Kommunismus ein Ablaufdatum hatte. Onyszkiewicz berichtet von einem Erlebnis aus dem Jahre 1983. Er war gerade wieder einmal verhaftet worden, nachdem er beim Warschauer Ghettoaufstand eine Rede gehalten hatte: "Als ich auf dem Polizeirevier saß, Handschellen trug und auf den Transport ins Gefängnis wartete, setzte sich ein Geheimpolizist neben mich und fragte: Beantworten Sie mir bitte eine Frage, über die wir untereinander oft sprechen - Was werden Sie mit uns machen? Da wusste ich: Sogar die wissen, dass das System zu seinem Ende kommt. Jedenfalls dachte ich mir ab diesem Moment, dass ich mein Leben doch nicht im Gefängnis beenden werde."
Den Löwen am Schwanz ziehen
Für Janusz Onyszkiewicz hatte der wichtigste Beitrag der Polen für das Wendejahr 1989 schon viel früher mit dem Aufstieg der Solidarnosc 1980 begonnen, als die Gewerkschaft innerhalb weniger Monate zehn Millionen Mitglieder hatte und damit aufzeigte, dass die kommunistischen Machthaber nicht die Legitimität hatten, auf die sie sich aufgrund angeblicher Wahlerfolge immer berufen hatten.
Für den weiteren Verlauf der Geschichte in- und außerhalb Polens waren vor allem die am runden Tisch erkämpften ersten halbfreien Wahlen im Juni 1989 wesentlich, sagt Onyszkiewicz. Schließlich wurde hier die erste nicht-kommunistische Regierung im Ostblock formiert - und das ohne, dass sowjetische Panzer rollten: "Obwohl man unter Gorbatschow vermutete, dass die Breschnew-Doktrin tot war, wusste man es nicht. Es war so wie in der Geschichte, in der es heißt, dass der Löwe tot ist. Jemand muss es aber wagen, den Löwen am Schwanz zu ziehen, um zu sehen, ob das stimmt. Als wir das getan hatten, fiel alles zusammen wie ein Kartenhaus."
Vom Warschauer in den Nordatlantik-Pakt
Eine der bis heute nicht geklärten Fragen ist, ob die polnischen Kommunisten im Sommer 1989 in Moskau, bei Mihail Gorbatschow um Erlaubnis zur Installierung eines Nicht-kommunistischen Regierungschefs anfragten. Onyszkiewicz bezweifelt das. Die Hauptsorge der Russen sei damals gewesen, dass Polen im Warschauer Pakt bleibe. Und das tat die Regierung Mazowiecki zunächst auch.
Doch auch wenn die Polen damals, wie Onyszkiewicz immer wieder betont, ständig eine politische Gratwanderung zwischen dem Machbaren und dem Angestrebten bewältigen mussten, war schnell klar, dass man rasch der NATO und dann möglichst bald der Europäischen Union beitreten wollte, um sich sowjetrussischen Umarmungs- oder auch Umklammerungsversuchen zu entziehen.
Was war für ihn rückblickend betrachtet das wichtigste Ergebnis von 1989? Bürgerrechte, Reisefreiheit, der ökonomische Wandel, der Ausbruch aus dem Ostblock? Die Antwort von Janusz Onyszkiewicz fällt kurz und prägnant aus: "Alles lässt sich auf einen Punkt bringen: Freiheit. Alles andere folgt daraus."
Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 11. September 2009, 18:20 Uhr
Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung "Wege zur Freiheit - über Solidarnosc nach Europa", noch bis zum 14. September, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (ehem. Semperdepot) Wien
Link
Polnisches Institut Wien
Übersicht
- Wendejahr 1989