Das Spezielle im Normalen

Zwei schwarze Jäger

"Ich bin eine Realistin", sagt die deutsche Schriftstellerin Brigitte Kronauer. Eine Realistin, weil es ihr in ihren Romanen um die so genannten einfachen Leute geht. Jetzt hat die 68-jährige Büchner-Preisträgerin einen neuen Roman herausgebracht.

Weil sie die "nahezu flehentliche Bitte", aus ihrem literarischen Werk vorzulesen, nicht abschlagen wollte, macht sich Rita Palka auf den Weg in ein verschlafenes deutsches Mittelgebirgsstädtchen. Im Lesekabinett eines Schlosses vom örtlichen Bürgermeister als "Ida Palmer" begrüßt, sieht sich die Autorin einer mehr als schütteren Runde gelangweilter Zuhörer gegenüber und beginnt, auf besonderen Wunsch eines gewissen Herrn Schüssel, des Initiators der Veranstaltung, ihre Erzählung "Zwei schwarze Jäger" vorzutragen.

Sie handelt von einem Paar, das einen Streit hinter sich hat, einer alten Bronzeskulptur, die zwei schwarze Sklaven, angekettet an zwei Löwen zeigt, und davon, was diese Skulptur in ihren Betrachtern auslöst. Sie erkennen darin die "ursprünglich großartige Idee von der Liebe", ihrer Liebe, die die Frau völlig aus dem Gleichgewicht bringt, während der Mann zunächst in Regungslosigkeit verharrt.

Utopie und Lebensvisionen

Nach der Lesung besucht der von der Autorin sehr angetane Herr Schüssel diese auf ihrem Zimmer, in dem sich, wohl nicht ganz zufällig, eine Kopie der beschriebenen Skulptur befindet, bringt seine Gedanken über die zwei schwarzen Jäger zum Ausdruck, die für ihn für Utopie und Lebensvisionen stehen und muss erleben, wie eine aufgebrachte Frau Schüssel das Zimmer stürmt und vor Eifersucht die Figuren zertrümmert. Am Ende werden alle drei am Boden hocken und die Scherben einsammeln, auch Rita, die "weiß und nie vergessen kann, dass alles, was als Geschichte erzählt wird, eine Beschwichtigung darstellt".

"Sie macht im Grunde genommen aus den Scherben etwas Zusammenhängendes, sie rekonstruiert sie zu einer Geschichte", so Brigitte Kronauer im Gespräch. "Dahinter steckt etwas, was zu meinen urliterarischen Überzeugungen gehört, nämlich dass eine Geschichte etwas Hochkünstliches ist. Und das Komische ist, dass eine einfache, klare Geschichte von den Leuten als natürlich empfunden wird meist, und eine kompliziertere Geschichte als künstlich. Die komplizierte Geschichte schildert doch viel eher, wie es in Wirklichkeit vermutlich ist."

Sehnsucht nach Aufschwung

Die Geschichten der Brigitte Kronauer sind nicht einfach, sie sind einfach kompliziert, voller Anspielungen, Verweise und Motivverflechtungen. Auch ihr neuer Roman "Zwei schwarze Jäger", der mit der eben beschriebenen gleichnamigen Erzählung beginnt, die als Parodie auf den Kulturbetrieb anfängt und als ernsthafte Reflexion endet. Er hat keine Story im eigentlichen Sinn, sondern entfaltet in einer Vielzahl unterschiedlich langer Texte ein Panorama von Figuren, die raffiniert miteinander verwoben sind, die sich gegenseitig erhellen - und doch nie ganz erklären.

"Es verbindet sie etwas, was in der Titelgeschichte anklingt", erklärt Kronauer. "Nämlich eine wie auch immer sich äußernde Sehnsucht nach etwas, was über das ganz normale, alltägliche Dasein hinausgeht, nach einem Aufschwung. Auch nach der Utopie, nach der eigentlichen Lebensvision. Danach, dass sich das Leben nicht in einem irgendwie eingefahrenen Lebensvollzug erschöpfen soll. Sondern die Sehnsucht nach Glanz, nach etwas, was uns erhebt."

Die Skurrilität in uns allen

Kronauer erzählt von Helene Pilz, einer an den Rollstuhl gefesselten Frau, die ihren Ex-Liebhaber zum Ehebruch anstiftet, von der kleinwüchsigen Wally, einer "am Leben Verunglückten", die zur Mörderin und Selbstmörderin wird, von einem Weltreisenden aus Amsterdam, der viele Jahre lang hinter dem Lächeln seiner Jugendliebe herreiste, vom Lektor Krapp, der in die Schweizer Bergwelt entflieht und dort die "ganze Großartigkeit des Sinnlosen" erfährt, oder einem gewissen Leo Graubube, einem vermeintlichen Menschenfreund und Dauerlächler, der freilich jähe Anfälle von Zorn und Entrüstung kennt.

"Ich glaube, dass diese Figuren in Wirklichkeit überhaupt nicht skurril sind, das wird manchmal missverstanden", meint Kronauer. "Diese Skurrilität steckt in uns allen. Ich bin eigentlich nicht am Spezialfall interessiert, sondern an dem Speziellen im Normalen, an der Exzentrik, am Außergewöhnlichen. Ob es eine Kassiererin im Supermarkt ist oder eine Prinzessin aus der Barockzeit - ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Exklusive, was durch die Umstände verdeckt ist, in allen ist."

Die "Entsiegelungskraft" der Worte

Bei Kronauer geht es um das "hinfällige Dasein", um "Welttrübnis", um "maßlose Enttäuschung" auf der einen Seite, um das "wunschlose Glück", die "anekdotischen Hoffnungen" und die "utopische Existenz" auf der anderen. Es geht um Lebensvisionen und Lebensunglück, um Banalität und Erhabenheit, um ganz Alltägliches und durchaus Außergewöhnliches - immer beschrieben in einer an starken Formulierungen, ungewöhnlichen Wortzusammenstellungen und komischen Effekten reichen Prosa, die auf die Evokationskraft, die "Entsiegelungskraft" der Worte vertraut.

"Ich erhoffe mir damit nicht, besonders originell zu sein, sondern etwas, was in uns vorhanden ist, ans Licht zu holen", so Kronauer. "Das ist meiner Ansicht nach etwas, was eine Aufgabe der Literatur sein könnte: dass sie eben nicht, indem sie O-Ton-mäßig unseren Umgang mit Sprache abbildet, sondern - und nicht um kapriziös oder ziseliert oder artifiziell zu sein, das sind alles fürchterliche Begriffe - sondern um etwas hervorzulocken: Wenn wir es lesen, dass wir dann merken, ja, in Wirklichkeit ist es doch sehr viel differenzierter gewesen."

Kunstvoll arrangierte Geschichten

Wenn in der Titelerzählung "Zwei schwarze Jäger" der Bürgermeister des Provinzstädtchens die geladene Schriftstellerin als "anspruchsvolle, man sagt sogar, schwierige und extrem gebildete Autorin" einführt, zitiert er damit auch den Ruf der Brigitte Kronauer. Auch mit ihrem neuen Buch hat die form- und sprachbewusste Dichterin alles andere als einen Bestseller-verdächtigen Unterhaltungsroman geschrieben.

"Zwei schwarze Jäger": Das sind kunstvoll arrangierte Geschichten, die mehr oder weniger stark miteinander vernetzt sind, Variationen von Lebensläufen, die aus der stummen Gleichförmigkeit auszubrechen versuchen, Fragmente von Porträts, die überraschen, die berühren, die nie ganz enträtselt werden.

Hör-Tipps
Ex libris, Sonntag, 11. Oktober 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Kulturjournal, Montag bis Freitag, 16:30 Uhr

Buch-Tipp
Brigitte Kronauer, "Zwei schwarze Jäger", Verlag Klett-Cotta

Link
Klett-Cotta - Brigitte Kronauer