Historische Computerspiele

Die andere Geschichtsstunde

Geschichtslehrerinnen und -lehrer haben es schwer heutzutage. In den Köpfen der Schüler und Schülerinnen verschwimmen Bilder vom Mittelalter mit jenen von Tolkiens Mittelerde. Nicht unschuldig dabei sind die Computerspiele.

Der Wiener Historiker Ilja Steffelbauer beschäftigt sich gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Kaindel mit Geschichtsbildern in Computerspielen. Das Betätigungsfeld ist angesichts der großen Beliebtheit von Spielen mit geschichtlichem Hintergrund riesig.

Der aktuelle Spieleblockbuster "Anno1404" ist nur ein Beispiel dafür. Der Grund für diese Faszination liege in der Verbindung zwischen der virtuellen und der realen Welt, erklärt Kaindel. Unser Wissen über Geschichte, gekoppelt mit der Spielerfahrung, ermögliche es uns, in eine Fantasiewelt einzutauchen.

Realismus?

Aber wie realitätsnah ist das Geschichtsbild in diesen Spielen? Realismus ist bei den meisten Computerspielen ein wichtiges Verkaufsargument. Vor allem die grafische Präsentation von Waffen und Uniformen wird besonders betont. Aber auch sogenannte historische Berater werden gerne ins Rampenlicht gerückt.

Ein Marketingag laut Steffelbauer. "Wenn man es genau analysiert, kommt man meistens drauf, dass relativ wenig historische Recherche vorhanden ist", so der Historiker. Viel mehr zeichnen sich die Spiele durch ein aus wissenschaftlicher Perspektive veraltetes Bild von Geschichte aus, bei dem einfache Muster von Ursache und Wirkung komplexe geschichtliche Zusammenhänge ersetzen.

Auch ein gewisser Rassismus sei zu erkennen, wenn etwa der Spieler in "Civilization" die von Natur aus unterlegenen Barbaren vernichten muss, betont Kaindel. Der Spieler selbst befindet sich am anderen Ende der hierarchischen Ordnung - als glorreicher Held oder gottgleicher Herrscher.

Spielend lernen

Trotz der Kritik sehen die beiden Historiker grundsätzlich ein Potenzial, um geschichtliche Zusammenhänge erfahrbar zu machen. Ein positives Beispiel sei etwa "Tropico", welches sich mit einer großen Portion Humor dem Thema des Kalten Krieges annähert.

Auch für den Wiener Medienpädagogen Konstantin Mitgutsch sind Computerspiele ein guter Weg, um vor allem Jugendlichen Geschichte zu vermitteln. Für sie seien die Spiele eine große Chance, politische Prozesse zu verstehen.

Für Mitgutsch ergibt sich noch eine weitere Möglichkeit, aus den Spielen Geschichte zu lernen: "Jedes Spiel hat ein Geschichtssetting, auch wenn es keines hat." Spiele seien, wie alle Medien, immer ein Spiegel der Zeit, in der sie entstanden sind. Auch eines der ersten Computerspiele, "Space Invaders", zeige, welchen Stellenwert Außerirdische und Ufos in den 1970er Jahren hatten.

Vom Bildschirm in den Hörsaal

Bei einem Punkt sind sich die Experten einig: Spiele mit Geschichtssetting eignen sich besonders gut Begeisterung für das Thema zu wecken. Cheryl K. Olson, Co Autorin des Buchs "Grand Theft Childhood" hat diese Erfahrung auch persönlich gemacht. Ihr Sohn spielte mit Begeisterung Spiele wie "Age of Empire" und "Civilization" mittlerweile studiert er Geschichte.

Der Vorteil vom Spiel gegenüber der Schule: "In der Schule lernen sie Daten über Könige und Schlachten und denken nicht über die einfachen Menschen nach. Ich glaube, Spiele sind in der Lage dies zu vermitteln", so Olson.

Doch wie müsste ein Spiel aufgebaut sein um den Kindern und Jugendlichen diese Art des Geschichtsbilds zu vermitteln? "Wenn wir ein zeitgemäßes Verständnis von Geschichte vermitteln wollen, dann wäre es vielleicht eine Idee die letzten 100 Jahre historische Forschung nachzuholen", betont Steffelbauer.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 4. Oktober 2009, 22:30 Uhr

Übersicht