Liebe Frau Dr. Suchy!
Brief an mich - Teil 20
Journalisten-Sprache muss kurz und prägnant sein und darf nicht bürokratisch wirken, sie muss sich am allgemeinen Gebrauch orientieren und darf nicht gekünstelt sein. Gendergerechte Ausdrucksweise brächte nur Sprödigkeit und Bürokratie.
8. April 2017, 21:58
Na, da haben Sie sich und Ihresgleichen ordentlich blamiert: Die Politikerinnen verschiedener Parteien verkünden eine Frauenquote im ORF und der Politiker sagt einfach, das will er nicht. Sehen Sie, dass es wurscht ist? - ob rot oder schwarz, Hauptsache Mann! Die Staatssekretärin will, der Klubobmann will es nicht. So einfach ist das.
Die Journalistinnen sind dafür, bei ihrem Kongress. Sie plädieren für die Quote, manche sind noch immer dagegen. Wir wollen keine Regeln, sagen sie beim Journalistinnen-Kongress. Schön blöd - aber es nützt uns Männern.
Die Kultur kennt überhaupt keine Quote: Eine Kabarett-Doppelseite im Kurier zeigt nur Männer, die Musikvereins-Beilage zeigt keine einzige Frau; die Musik ist weiblich, das genügt; die Kultur auch, und die Kunst erst. Dann können doch die Künstler männlich sein.
Das Burgtheater macht's vor: Das ist frischer Wind, Frauen raus. Im neuen Burgtheater-Magazin gibt es bei den elf Überschriften mit Nennung eines Erwachsenen ausschließlich Männer. Eine 100-Prozent-Quote! Acht Abende in Burgtheater, Akademietheater und Vestibül. Keine einzige Frau kommt vor. Weder als Gastgeberin noch als Gast, weder als Moderatorin noch als Künstlerin. Die Männer sind insgesamt rund 80 Mal namentlich oder in ihrer Funktion genannt (Mehrfachnennungen mitgezählt).
Wie schön, dass Sie sich als Frau mit "gendergerechter" Sprache so schwer tun. Die Binnenmajuskel erzeugt ein "female bias", die das feministische Projekt in eine falsche Richtung lenkt. Wie schön und wie gut für uns Männer, wenn Sie "gendergerechte" Sprache oder gar Quotenregelungen für ein Feigenblatt halten. Einst malte der Vatikan Feigenblätter über seine Aktgemälde, um den Penis zu verdecken. Jetzt halten Sie die gendergerechte Sprache für etwas, das bloß den Penis verdeckt.
Wir Journalisten verstehen und teilen die Erkenntnis, dass die Sichtarbeit von Frauen in der Gesellschaft durch ihre Wahrnehmung in der Sprache gestützt, mitunter überhaupt erst möglich wird. Die Umsetzung dieses Vorhabens ist jedoch schwierig, da wir uns aus Gründen der leichten Lesbarkeit keine großen sprachlichen Umwege erlauben dürfen. Unsere Sprache muss kurz und prägnant sein und darf nicht bürokratisch wirken, sie muss sich am allgemeinen Gebrauch orientieren und darf nicht gekünstelt sein.
Der gendergerechte Ausdruck von "Bewohnerinnen und Bewohner eines afrikanischen Dorfes" brächte die angesprochene Sprödigkeit und Bürokratie in den Ausdruck, niemand will sich von uns sprachlich langweilen lassen. Die Schreibweise "WissenschaftlerInnen an der Boku" vermeiden wir, weil wir das Majuskel-I als Störfaktor ansehen, niemand gebraucht so etwas in der Alltagssprache.
Und das ist auch der Punkt: Wir müssen uns nahe an der Alltagssprache bewegen. Richtig ist dabei jedoch, dass wir die weibliche Form dort herauszustellen haben, wo dies geboten ist. Wenn beispielsweise auf einem Bild drei Mädchen im Kindergarten zu sehen sind, so hat in der Bildunterschrift von Mädchen die Rede zu sein und nicht von Kindergartenkindern - das ist eine Vorgabe, die leider oft genug übersehen wird. Dennoch: Dahin geht unser Trachten. Gesetzliche Regelungen gibt es für uns übrigens keine, mir ist nur ein Erlass des Unterrichtsministeriums für den Lehrbetrieb bekannt, das hat mit uns nichts zu tun.
Es stimmt schon, wir streben in vielen Gebieten danach, zur Avantgarde zu zählen – das nehmen wir durchaus auch für die Sprache in Anspruch, auch wenn wir die letztgültige Lösung dieses Anliegens noch nicht bieten können. Und nicht minder wichtig scheint mir zu sein, dass wir uns so oder so um Frauenanliegen kümmern und Ungleichbehandlung etc. zum Thema machen.
Sie als Frauen stören nicht nur unseren "inner circle", sondern auch unsere Alltagssprache, sie erschweren Sie, verkomplizieren sie, sie machen es schwierig, spröde. Geben Sie sich endlich zufrieden, wenigstens mit dem Feigenblatt!
Ihr blättlich bedeckter M.M.
Inspirationsquellen
Der Standard, 15. Oktober 2009,
Musikwissenschaftsstudierende,
Journalistinnen-Kongress am 14. Oktober 2009,
die aufmerksamen Beobachtungen einer Burgtheater-Besucherin, einer Hochschul-Lehrerin, einer Juristin,
die Antwortbriefe des Leserbeauftragten einer Tageszeitung.