Die größten Sünder
Zehn Jahre Beton für Überwacher
Die Big-Brother-Awards-Gala ist zu einer beliebten Show mit bitter ernstem Hintergrund geworden. Mit den Negativpreisen werden jene Institutionen, Firmen und Personen ausgezeichnet, die die Privatsphäre von Menschen besonders eklatant verletzt haben.
8. April 2017, 21:58
Im Jahr 1998 wurden von der britischen Datenschutzorganisation Privacy International die Big Brother Awards ins Leben gerufen, mit denen Unternehmen, Organisationen und Personen öffentlich geschmäht werden sollen, die sich in Sachen Überwachung, Bespitzelung und Verletzung der Privatsphäre besonders hervorgetan haben.
Nur ein Jahr später wurden die Negativpreise auch in Österreich erstmals verliehen. Die "quintessenz - Verein zur Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter" bemüht sich seither jährlich darum, Fälle von Datenmissbrauch zu sammeln, zu dokumentieren und an die Öffentlichkeit zu bringen.
Blick auf die Spitzel lenken
"Mit der Gala", so sagt quintessenz-Sprecher Christian Jeitler, "schaffen wir die nötige Aufmerksamkeit für dieses Thema." Deshalb gab es auch heuer wieder eine unterhaltsame Show mit Musik- und Comedie-Einlagen und mit prominenten Laudatoren.
Die Organisatoren schafften es diesmal sogar, einen Oscar-Preisträger und zwei Fernseh-Komissarinnen dafür zu gewinnen. Stefan Ruzowitzky präsentierte die Nominierten und den Gewinner in der Kategorie "Kommunikation und Marketing".
Nominiert waren Mark Zuckerberg, CEO des sozialen Netzwerks Facebook, Anton Wais, Ex-Generaldirektor der Post AG, der Online-Händler Amazon und die Personen-Suchmaschine "123people.at".
Den "Großen Bruder" aus Beton erhält Russell E. List-Perry, Geschäftsführer von "123people.at". Die Suchmaschine bekommt den Preis, weil sie einem gesuchten Namen willkürlich Daten wie Foto, Adresse, Firma, Partei oder dergleichen zuordnet und so falsche Angaben über eine Person verbreitet. Bei häufigen Namen werden sogar immer wieder neue Identitäten geschaffen, weil die Suchmaschine einfach verschiedene Daten zu einem Datensatz zusammenfügt.
Überwachung auf allen Ebenen
Die Schauspielerinnen Katerina Jacob, bekannt aus der Fernsehserie "Der Bulle von Tölz", und Lilian Klebow, Fernseh-Kommissarin bei "SOKO Donau", stellten die Nominierten und Preisträger in den Bereichen, Politik, Behörden und Business vor.
Den Big Brother Award in der Kategorie "Politik" erhalten heuer die Abgeordneten Gottfried Hirz, Maria Wageneder und Ulrike Schwarz von den Grünen Oberösterreich, weil sie sich vom Populismus anstecken hatten lassen und im Landtag eine Resolution für die Einführung von Internet-Sperren gegen Kinderpornographie unterschrieben haben.
Die Sperre von einzelnen Websites würde nicht den Handel mit Fotos von Kindesmißbrauch verhindern, sondern bloß die Informationsfreiheit einschränken, so die Kritiker. In der Kategorie Politik waren außerdem nominiert: Die SPÖ Brigittenau für doppelte Listenführung bei der Europawahl, Wissenschaftsminister Johannes Hahn für die Einführung des e-votings bei den ÖH-Wahlen und EU-Kommissar Jacques Barrot dafür, dass er den Zugriff europäischer Behörden auf die Finanztransaktionsdaten SWIFT eingeführt hat.
Was Behörden alles wissen wollen
In den vergangenen Monaten haben sich auch wieder Behörden und Verwaltungen bei als Überwacher hervorgetan. Das Berufsförderungsinstitut in Oberösterreich verlangte von Arbeitslosen, vor der Anmeldung für einen Kurs einen sehr persönlichen Fragebogen auszufüllen.
Alkoholkonsum, Drogen, psychiatrische Behandlung, finanzielle Situation oder die Wohnumstände wurden da abgefragt. Die Gemeindebau-Verwaltung in Wien wurde heuer zum dritten Mal nominiert - diesmal für die Überwachung der Waschküchen mit Datenbank, Funkchips und ferngesteuerten Waschmaschinen.
Karin Spacek, Leiterin der Wiener Magistratsabteilung 15, hatte die Schulärzte aufgefordert, Gesundheitsblätter und Elternfragebögen zu übermitteln, auf denen sehr persönliche Daten der Familien zu finden waren.
Trotz dieser harten Konkurrenz machte das Finanzministerium das Rennen: Das Steuerreformgesetz 2009 sieht vor, dass Spender/innen ab 2011 bei jeder Spende, die als Sonderausgabe absetzbar sein soll, dem Spendenempfänger ihre Versicherungsnummer bzw. ihre persönliche Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte bekanntgeben müssen. Damit setze sich das Finanzministerium über das e-Governmentgesetz hinweg, das ein nicht über Verwaltungsdatenbanken hinweg nachvollziehbares Personenkennzeichen vorzieht.
Mitarbeiterbespitzelung nimmt zu
Ein besonders unrühmlicher Trend ist die Überwachung und Bespitzelung von Arbeitnehmern. Die Firma Tiger Lacke hat dafür den Preis in der Kategorie Business und Finanzen erhalten, ÖBB-Chef Peter Klugar bekam den Publikumspreis.
Überwachung und die Verknüpfung von Daten werde immer mehr zur scheinbaren Lösung für alle Probleme, sagt Christian Jeitler, Sprecher des Vereins quintessenz, der die Big Brother Awards seit zehn Jahren durchführt.
Hör-Tipp
Digital.Leben, Montag bis Donnerstag, 16:55 Uhr
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Big Brother Awards 2009