Ein Selbstporträt von Maxim Biller

Der gebrauchte Jude

In seinem neuen Buch setzt sich Biller mit der Frage nach seiner jüdischen Identität auseinander. Er beschreibt sein Leben als Jude in Deutschland, erzählt von seiner Reise nach Israel, seinem Rauswurf aus dem Kibbuz und seinem Weg zum Schriftsteller.

"Ich fing an, einfach nur einen Essay über eine bestimmte Zeit zu schreiben, einen biographischen, und plötzlich merkte ich nach zwei, drei Seiten, das hier wird ein Buch. Und ich fange an, plötzlich mein Leben selbst als Roman zu sehen. Denn ich habe natürlich in Wahrheit keine Autobiographie geschrieben, nicht mal ein Memoir, wie das in Amerika heißen würde, sondern einfach nur eine Deutung meines Lebens versucht."

"Selbstporträt" nennt Maxim Biller das, was dabei herausgekommen ist, und tatsächlich ist es ein Porträt, das vor allem eines abbildet: Billers Leben als Jude in Deutschland. Auch wenn er selbst der Meinung ist, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht:

"Für mich handelt das Buch davon, wie ich zu einem bestimmten Zeitpunkt meines Lebens gemerkt habe, dass ich schreibe. Ich habe mir nie wirklich damals noch so zugetraut, ein Schriftsteller zu sein, und wie ich meine Themen suche. Sobald ich diese Themen finde, finde ich auch die Sprache für diese Geschichten. Ich habe ja vorher auch schon geschrieben, und das war halt einfach nichts. Und in dem Moment, wo ich über das schrieb, was mir etwas bedeutete, bedeuteten mir plötzlich die Worte etwas, die ich benutzte, und so konnten sie erst anfangen, denen, die mir zuhören, etwas zu bedeuten."

Jude, nichts als Jude

Schon richtig: es geht auch um Billers Schreiben. Er erzählt, wie das Manuskript seines ersten Romans - das am Münchner Flughafen um ein Haar mitsamt seinem Autor von einer Kofferbombe zerfetzt worden wäre - trotz tapferer Versuche keinen Verleger fand. Er berichtet von seinen journalistischen Anfängen, von der Entstehung seiner Kolumne "100 Zeilen Hass" im Magazin Tempo, von seiner Arbeit für den Spiegel und die Zeit, vom Kulturbetrieb in Deutschland. Aber all das spielt sich vor dem Hintergrund von Billers Judentum ab, einem Judentum, das ihn, wie es scheint, permanent umtreibt:

"Dass ich Jude und nichts als Jude war, hatte ich zu Hause gelernt, von einem russischen Vater, der als Jugendlicher an Lenin wie an Gott geglaubt hatte. Dann warfen ihn Stalins Leute 1949 aus der Partei - weil er Jude war -, und das Judesein wurde zu seiner Religion, was es vorher nie war. Aber ohne Gebetsschal und Synagoge. Einiges davon ist auf mich übergegangen: Ich bin Jude und nichts als Jude, weil ich wie alle Juden nur an mich selbst glaube, und ich habe nicht einmal Gott, auf den ich wütend sein könnte. Ich bin Jude, weil fast alle in meiner Familie vor mir Juden waren. Ich bin Jude, weil ich kein Russe, Tscheche oder Deutscher sein will. Ich bin Jude, weil ich schon als Zwanzigjähriger jüdische Witze erzählte, weil ich mehr Angst vor einer Erkältung habe als vor einem Krieg und Sex für wichtiger halte als Literatur. Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt, die anderen damit zu verwirren, dass ich Jude bin."

Diese Auseinandersetzung mit dem Jüdisch-sein spiegelt sich schon im Titel: "Der gebrauchte Jude" nennt Biller sein Selbstporträt, und er hat dafür auch eine Erklärung:

"In dem Buch kommt ja mehrmals der Ausdruck "Der gebrauchte Jude" vor und das steht halt für etwas, steht dafür, dass einfach eine Gesellschaft, zumindest die deutschsprachige, dass die natürlich einerseits einen jüdischen Schriftsteller heute sowohl interessant, auch verwendungsfähig finden, gleichzeitig eigentlich gar nicht aushalten mögen, können, wollen, dafür, dass sie ihn haben wollen, gleichzeitig auch wiederum nicht ausstehen können und so weiter. Da habe ich gedacht, dann nenne ich das Buch auch so."

Der ganz normale, menschliche Rassismus

Auf 174 Seiten setzt sich Biller also mit der Frage nach seiner jüdischen Identität auseinander. Er erzählt von seinen Reisen nach Israel und von seinem Versuch, im Kibbuz zu leben, der damit endete, dass der junge Maxim Biller nach drei Tagen hinausgeworfen wurde, weil er nicht umsonst und schon gar nicht um fünf Uhr morgens arbeiten wollte.

Er berichtet von seiner Begegnung mit den Romanen der großen jüdischen US-Autoren, von denen er lernt, er selbst zu sein, und er befasst sich mit der Frage, wie die deutsche Gesellschaft mit einem jüdischen Schriftsteller umgeht. Gerade diese Gesellschaft habe ihn auf sein Judentum gestoßen, sagt er, denn als er mit zehn Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei nach Deutschland gekommen sei, habe er selbst noch nicht einmal richtig gewusst, dass er Jude war:

"Ich denke, wir sind alle gleich. Ich denke, alle Menschen sind gleich. Und dann mache ich die Erfahrung mit der Mehrheitsgesellschaft, dass natürlich der Einzelne, der einen anderen Hintergrund hat, nicht gleich ist in den Augen der Mehrheit. Das ist jetzt aber nichts Besonderes. Glauben Sie mir, dass das in einem jüdischen Stadtteil irgendwo oder in Israel genauso Menschen gibt, die keine Israelis oder Juden sind, die wiederum als Minderheit behandelt werden. Das ist normal, das ist das Menschliche daran. Das Unnormale ist halt nur, dass der Rassismus in diesem Teil der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt apokalyptische Ausmaße angenommen hat. Und das belastet am Ende die Enkel der Täter mehr als die Enkel der Opfer. Und damit nerven uns die Enkel der Täter. Die nerven uns, die sind ja viel neurotischer. Die Deutschen und die Österreicher heute sind neurotischer als die Juden."

Ein kleinbürgerlicher untalentierter Pseudodichterfürst?

Daneben spart Biller nicht mit Rundumschlägen, er kritisiert seine jüdischen Mitbürger ebenso wie das deutsche Bildungsbürgertum, das sich gegen alles Andersartige abschotten will. Seine bevorzugten Ziele sind ausgerechnet Thomas Mann und Marcel Reich-Ranicki.

"Thomas Mann nervt mich einfach nur, weil er einfach ein kleinbürgerlicher untalentierter deutscher Pseudodichterfürst ist, der aber aus irgendeinem Grunde gerade in diesen Tagen so populär ist und ich möchte wissen, warum. Und das andere ist Reich-Ranicki, der einfach einer anderen Generation entstammt und den Traum der deutschen Juden vor dem Krieg immer noch nach dem Krieg geträumt hatte."

Das alles könnte manchmal etwas allzu prätentiös wirken, wären da nicht Billers Stilsicherheit, seine poetische Ader und die feine Selbstironie, mit der er seinen Text würzt. Man sollte Maxim Billers Buch nicht unbedingt als klassische Autobiographie sehen, sondern eher als eine Art Roman, in dem ein junger, jüdischer Schriftsteller im Deutschland der achtziger und neunziger Jahre seinen Platz im Leben sucht, als einen Roman, in dem Biller zufälligerweise auf seine eigene Geschichte zurückgegriffen und versucht hat, diese so ehrlich wie möglich darzustellen:

"Nur ein ehrlicher Schriftsteller kann ein guter Schriftsteller sein. Niemand kann ein großer Künstler sein, wenn er sein Leben verschweigt. Daran sind schon viele gescheitert."

Hör-Tipp
Ex Libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Maxim Biller, "Der gebrauchte Jude. Ein Selbstporträt", Kiepenheuer & Witsch Verlag

Link
Kiepenheuer & Witsch Verlag - Der gebrauchte Jude