Annäherung an den Menschen Harnoncourt

Being Nikolaus Harnoncourt

Zur Grazer Ausstellung "Being Nikolaus Harnoncourt" ist ein Buch erschienen, in dem Freunde, musikalische Partner und Zeitgenossen das Phänomen Harnoncourt beschreiben. Besonders interessant sind die Beiträge der Freunde und Kollegen des Künstlers.

Am 6. Dezember vor 80 Jahren hat der Dirigent Nikolaus Harnoncourt in Berlin das Licht der Welt erblickt. Anlässlich seines Geburtstages gibt es noch bis 28. Februar 2010 im Stadtmuseum Graz eine Ausstellung mit dem Titel "Being Nikolaus Harnoncourt" zu sehen. Zu der Schau ist im Styria Verlag ein Begleitbuch erschienen, in dem Freunde, musikalische Partner und andere Zeitgenossen das Phänomen Harnoncourt beschreiben. Otto Hochreiter, Direktor des Stadtmuseums Graz und Mathis Huber, Intendant des Grazer Musikfestivals Styriarte, haben die Beiträge gesammelt, mit Fotos versehen und als 200 Seiten starkes Büchlein herausgegeben.

In dem Buch "Being Nikolaus Harnoncourt" wird aus verschiedenen Perspektiven das Leben und Werk des Künstlers Harnoncourt betrachtet. Biografische Aspekte werden ebenso behandelt wie Nikolaus Harnoncourts Wirken als Dirigent, Instrumentensammler, Forscher und Lehrer. Die vielen Mosaiksteine ergeben ein kaleidoskopartiges Bild des Pioniers im Bereich historische Aufführungspraxis.

Wegbegleiter erweisen ihre Reverenz

Besonders interessant sind die Beiträge der 21 Freunde, Kollegen und Wegbeleiter des Künstlers. Da kommt etwa der Chorleiter des Arnold Schönberg Chores, Erwin Ortner zu Wort. In einem handschriftlichen Brief schildert er die Herausforderung für den Chor, sprachliche Bilder Harnoncourts wie etwa "küssendes Nilpferd oder schnaubende Dampfmaschine" musikalisch umzusetzen.

Der Violinist Gidon Kremer hat seinen Beitrag ganz anders gestaltet: Er notiert assoziativ Begriffe, die ihm zu Nikolaus Harnoncourt einfallen. Er hat sich durch die Anfangsbuchstaben des Dirigenten zu dieser Art "Wordrap" inspirieren lassen.

Bestimmungshafens Wahrheit

Auch der bekannte Sänger Thomas Hampson würdigt den Künstler: Er sieht Harnoncourts Leben als künstlerische Reise auf einem Schiff. Dieses Schiff mit Namen Unverzagt fährt mit gehissten Segeln und kostbarer Fracht in Richtung seines Bestimmungshafens, der Wahrheit:

"Kapitän Nikolaus" lenkt diese Flotte mit flammendem Ernst, dem frieden der Erfahrung und den wachsten Augen, die ich kenne; Augen, die wie ein Radar über Horizonte schweifen, manchmal mit voller Neigung zur Gefahr, stets die Gesetze der Natur singend, in der Sprache der Musik. Ja, immer wieder... Musik, Musik!

Ungewöhnliche Schnappschüsse

Auf der dem Beitrag Hampsons folgenden Doppelseite sieht man das Ehepaar Harnoncourt auf einem Foto aus dem Jahr 1968 bei einer Bootsfahrt in Amerika, beide mit Sonnenbrillen und einem Lächeln im Gesicht. Diese ungewöhnlichen Schnappschüsse und ganz persönlichen Geschichten, die auch zum Teil individuell grafisch aufbereitet sind, lassen die vielen Facetten von Harnoncourts Persönlichkeit lebendig werden. Leider muss auch gesagt sein, dass die Auflösung der Bilder zum Teil recht grobkörnig ausgefallen ist und die grafische Aufbereitung des Buches ein wenig bieder wirkt.

80 Jahre Harnoncourt

Ein biografischer Abriss über das Leben des Jubilars darf in dem Buch natürlich nicht fehlen. Thomas Höft, Dramaturg des Grazer Musikfestivals Styriarte hat die acht Lebensjahrzehnte des Dirigenten zusammengefasst. Auf rund zwei Seiten skizziert er jedes Jahrzehnt - bei dieser Kürze ist es nicht verwunderlich, wenn die Beschreibung etwas oberflächlich ausfällt. Wer sich also wirklich ausführlich über das Leben des Künstlers informieren will, kann in Monika Mertls Biografie Details nachlesen. In diesem Buch bekommt man eher einen groben Überblick über die Lebensstationen des Dirigenten.

Amüsant zu lesen ist die Laudatio des deutschen Violinisten und Dirigenten Reinhard Goebel anlässlich der Verleihung des Telemann-Preises an Harnoncourt im Jahr 2004. Goebel beschreibt pointiert, wie Harnoncourts Interpretationen im Bereich der Alten Musik die musikalische und nicht-musikalische Welt entzweite. So hat etwa der Literat Wolfgang Hildesheimer den Concentus Musicus für ein veritables Abbild der Hölle gehalten. Aber es gab andere, die dem neuen Stil positiv gegenüberstanden, so Reinhard Goebel in seiner Rede:

Es gab auch Menschen, vornehmlich jüngere, die hingerissen waren von den farben des Barock-Orchesters, überhaupt dem Neuland, das Harnoncourt physisch wie psychisch zugänglich machte. Und so spaltete Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Familien, Blockflöten-Quartette, Kirchenhöre, Abitur-und Hochschulklassen.

Eine Reise in die Denkräume des Dirigenten

Ein weiteres Kapitel des Buches ist der Grazer Ausstellung gewidmet. Sie trägt ja den Titel Being Nikolaus Harnoncourt, angelehnt an den Film "Being John Malkovich". In dem Film wird die Reise eines Puppenspielers ins Innere des Schauspielers John Malkovich geschildert - angelehnt an diese Geschichte versuchen die Ausstellungsgestalterinnen Margarth Otti und Johanna Fürtauer die Denkräume des Musikers zu erkunden.

Sie begeben sich auf die Spuren des Grazers, des Cellisten und Instrumentesammlers, des Denkers und Perfektionisten, aber auch des Lehrers und Forschers Harnoncourt. Dieser Rundgang in Textform führt durch fünf Räume: Einer ist etwa dem Privatmenschen Harnoncourt gewidmet - hier erfährt man mehr über die Liebe des Musikers zur Natur, so ist es etwa eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, Maulwürfe oder Schmetterlinge zu beobachten.

Nichts Schönes ohne Schmutz

Abgerundet wird das 200 Seiten starke Büchlein mit einer Zitate-Sammlung aus Aufsätzen und Reden des Musikers, die einen Einblick in sein Verständnis von Ästhetik geben. So ist Harnoncourt etwa überzeugt, dass zur Zeit Monteverdis die Schönheit des Klanges der dramatischen und musikalischen Wahrheit untergeordnet war. Für ihn ist nicht der makellose Klang das Ideal, sondern der Schmutz.

Der Schmutz gehört doch zum Schönsten, was es in der Musik gibt. Ein Klang, der vollkommen schmutzfrei ist, ist doch hässlich!

Ein Überblick

Das Buch "Being Nikolaus Harnoncourt" ist, wie Herausgeber Mathis Huber im Vorwort schreibt, gedacht als Katalog zur Ausstellung - dementsprechend richtet es sich an ein breites Publikum.

Fazit: Wissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser werden eine detaillierte und tiefergehende Reflexion über das Leben und Wirken Harnoncourts vermissen. Wer aber Lektüre sucht, die einen Überblick über das Leben und Werk des Künstlers verschafft, ist mit der Wahl dieses Bändchens gut beraten.

Mehr dazu in oe1.ORF.at
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Buch-Tipp
Being Nikolaus Harnoncourt, herausgegeben von Otto Hochreiter und Mathis Huber, Styria Verlag

Hör-Tipps
Apropos Klassik, Samstag, 5. Dezember 2009, 15:06 Uhr

Joseph Haydn, "L'infedeltà delusa", Samstag, 5. Dezember 2009, 19:30 Uhr

Matinee, Sonntag, 6. Dezember 2009, 11:03 Uhr

Apropos Musik. Das Magazin, Sonntag, 6. Dezember 2009, 15:06 Uhr

Aus dem Konzertsaal, Monteverdis "L'Orfeo", Sonntag, 6. Dezember 2009, 19:30 Uhr

Apropos Klassik, Samstag, 12. Dezember 2009, 15:06 Uhr,

Matinee, Bach: Weihnachtsoratorium, Freitag, 25. Dezember 2009, 11:03 Uhr

Purcells "The Fairy Queen", Dienstag, 29. Dezember 2009, 19:30 Uhr

TV-Tipp
Joseph Haydn, "Il mondo della luna", Samstag, Samstag, 5. Dezember 2009, 22:00 Uhr, ORF 2

Web-Tipp
Joseph Haydn, "Il mondo della luna", Samstag, Samstag, 5. Dezember 2009, 22:00 Uhr, Video-Stream in oe1.ORF.at unter oe1.ORF.at/videostream

CD-Tipp
Claudio Monteverdi, "L'Orfeo" Favola in Musica", Liverecording Wiener Festwochen 1954, Erste Aufnahme auf Originalinstrumenten, ORF Edition Alte Musik, Limitierte Auflage, Veröffentlichungstermin: 6. Dezember 2009

Links
Concentus Musicus
Nikolaus Harnoncourt
Theater an der Wien