Neue Wege in der Architektur

Wenn der Schreibtisch Open Source wird

Was hat ein Couchtisch mit Software gemeinsam? Auf den ersten Blick herzlich wenig. Der Designer Ronen Kadushin sieht das anders, denn die Entwürfe und Baupläne seiner Möbel sind Open Source. Das heißt im Netz frei zugänglich, kopier- und veränderbar.

Die Entwürfe und Baupläne, der Lampen und Regale, des aus Israel stammende Produktdesigner Ronen Kadushin sind Open Source. Das heißt im Netz frei zugänglich, kopier- und veränderbar. Was sich in der Softwarewelt unter Begriffen wie Linux schon längst, einen Namen gemacht hat, ist in der Designwelt eine kleine Revolution. Denn schließlich dreht sich in dieser Branche naturgemäß alles um Copyright und Branding - also um bare Münze.

Doch seit einiger Zeit regen sich in der Design- und Architekturszene immer mehr Stimmen, die kooperative Modelle vom Web in die materielle Welt übertragen wollen - um den vielbesungenen Wandel im Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten endlich auch im Möbeldesign und im Hausbau durchzusetzen.

Möbel zum Herunterladen

Vor drei Jahren beschloss Kadushin nicht nur schöne Fotos seiner Entwürfe und Prototypen auf seine Homepage zu stellen, sondern gleich die Bauanleitung in Form einer sogenannten CAD-Datei mitzugeben, also eines speziellen Dateiformats, das Konstruktions- und Baupläne darstellen kann.

Unter dem Schlagwort Open Design veröffentlicht Kadushin seither seine Kreationen unter einer Creative Commons Lizenz, das heißt jeder kann die Entwürfe für private nicht-kommerzielle Zwecke nach Belieben kostenlos kopieren, verbreiten und verändern. Und was das Wichtigste ist: zuhause nachbauen.

Inspiriert haben Kadushin aber auch die Entwicklungen, die das Internet in vielen kreativen Sparten ausgelöst hat, wie etwa im Musik- oder Filmbereich. "Ein zwölfjähriges Mädchen kann heutzutage Software herunterladen, damit einen Animationsfilm produzieren und den gleich ins Internet stellen. Diesen Film können dann andere remixen, also wiederum kreativ sein. Das heißt Kreativität erzeugt neue Kreativität."

Designerkreationen zu Ikeapreisen

An die 20 Bauanleitungen finden sich auf Kadushins Homepage. Von der Stehlampe bis hin zum Couchtisch aus Edelstahl. Den kann man sich beispielsweise für rund 100 Euro Material- und Produktionskosten zusammenbauen.

Doch Ronen Kadushin geht es nicht nur darum, erlesendes Design zu Ikeapreisen auf den Markt zu werfen. Mit seiner Open-Design-Idee wollte er sich ursprünglich als Designer von der Abhängigkeit von Produzenten befreien: "Als Designer der in Israel arbeitet, also nicht gerade im Zentrum der Designwelt, hatte ich Schwierigkeiten einen Produzenten für meine Entwürfe zu finden. Deshalb suchte ich nach einer Methode um sie trotzdem zu realisieren."

Open Source für nachhaltige Architektur

Wie kann man die Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen verbessern, die in absoluter Armut oder in Slums leben? Diese nicht gerade simple Frage beschäftigt die Mitglieder der internationalen Plattform Open Architecture Network.

Gegründet wurde sie 2007 in San Francisco vom britischen Architekten und Aktivisten Cameron Sinclair. Sinclair begann seine Arbeit mit Projekten für Flüchtlinge im Kosovo und entwarf mobile AIDS-Kliniken in Südafrika. 1999 gründete er gemeinsam mit der amerikanischen Journalistin Kate Stohr die Non-Profit-Organisation Architecture for Humanity, die es sich zum Ziel setzte, auf dem Gebiet von Architektur und Design nachhaltige Lösungen für globale, soziale und humanitäre Notsituationen zu finden und umzusetzen.

Anstatt in einem geschlossenen Team zu arbeiten, rekrutierte Sinclair ein weltweites Netzwerk von Gestalter/innen, die Ideen lieferten. "Das Open Architecture Network ist eine Open Source Plattform, auf der Kreative ihre Ideen, Skizzen oder Pläne austauschen, kommentieren und so verbessern können", erklärt Kate Stohr.

Eines der größten Probleme in Architektur und Design für nachhaltig humanitäre Projekte liege darin, dass alle mit ähnlichen Problemen konfrontiert seien, aber von der Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen schlichtweg nichts wüssten.

Netzwerk mit Signalwirkung

Mittlerweile zählt das Netzwerk an die 20.000 Mitglieder. Die meisten stammen aus den USA, Großbritannien, Indien und Japan. Von den mehr als 4.000 geplanten und realisierten Bauprojekten, die derzeit online sind, stehen die meisten in den USA, dicht gefolgt von Afrika und dem nahen Osten. Etwa ein Gemeinschaftszentrum für die indigene Bevölkerung in Mexiko, ein Krankenhaus aus Sandsäcken in Südafrika oder eine Volksschule aus Lehm in Burkina Faso.

Neben dem enormen Wissenspool, der sich in drei Jahren angesammelt hat, hat das Netzwerk für Kate Stohr auch Signalwirkung. Bisher würden sich Architektinnen und Architekten nämlich vielfach noch als autonome Genies wahrnehmen. Entwürfe würden bis zur Fertigstellung vor anderen Architekturbüros geheim gehalten, um dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Das Netzwerk soll zeigen, dass der Community- und Open Content Gedanke auch in der Architekturwelt Sinn macht.

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