Kurt Neumann - Vermittler, Dichter, Mediziner
Der Literaturmacher
Seine Begeisterung und die Idee, Literatur anderen nahe zu bringen, hat sich ein nun ergrauter Kurt Neumann auf dem schwarzen Fahrrad überzeugend bewahrt. Seit 1977 formt der studierte Mediziner das Literaturprogramm der "Alten Schmiede".
8. April 2017, 21:58
Robert Schindel, Michael Köhlmeier, Martin Prinz, Franz Schuh
Wien, Innere Stadt, eine verwinkelte Gasse zwischen der Alten Universität und dem Heiligenkreuzerhof. Hier, in der Schönlaterngasse, auf Nummer neun, hüteten Schmiede einst das Feuer und die Glut.
In den 1970er Jahren wurde die "Alte Schmiede" zum rußgeschwärzten Museum, mit Zangen und Hämmern und schwerem Werkzeug. Die Kulturstadträtin und spätere Familienministerin Gertrude Fröhlich-Sandner gründete in ihrem Ressort ein Literatur-Referat und realisierte 1975, nach Ideen von Reinhard Urbach die Errichtung eines Kulturhauses, als Begegnungs-Ort der Künstler/innen und ihres Publikums.
Hüter des literarischen Feuers
Das Konzept und die inhaltliche Ausrichtung dieses Literarischen Quartiers wird seit 1977 von Kurt Neumann bestimmt, einem "Baumeister des Unsichtbaren", wie ihn ein Freund nennt, stets angetan mit schwarzem Lederrucksack, der gefüllt ist mit Büchern und Manuskripten. Seine Anwesenheit signalisiert ein Zweirad mit Gepäcksträger und geschwungenem Gouvernal. Der Rahmen trägt die Aufschrift der Erzeugerfirma. Sie lautet bezeichnenderweise Utopia.
"Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt und arbeitet", sagt Kurt Neumann, und: "Kultur hat, wer Herr seiner Sinne, seines Interesses, seiner Werkzeuge und Ausdrucksformen ist. Er selbst agiert als Ermöglicher und Berater und vielleicht könnte man auch sagen, als Hüter des literarischen Feuers.
Die Alte Schmiede als Literaturwerkstatt
Die Werkzeuge der schweren Arbeit, sie sind ausgestellt in der Alten Schmiede.
Ein mächtiger Schmiedehammer ist das Symbol des Literarischen Quartiers - und "Der Hammer" nennt sich die Zeitung der Alten Schmiede, ein formal radikales schmuckloses, geistvolles Kleinformat.
Handwerk sei ein fundamentaler menschlicher Impuls, so der Kulturtheoretiker und Soziologe Richard Sennet. Er meint damit das Bestreben, eine Tätigkeit um ihrer selbst willen gut zu machen, sein Handwerk gut zu verstehen. Das gelte für alle, auch für Geistesarbeitende.
Ganz in diesem Sinne konzipierte Kurt Neumann die Alte Schmiede als Ort der Genauigkeit, der literarischen Forschung und ihrer Präzision, wo die Werktätigkeit von Schreibenden hör- und sichtbar wird. Dass der Ort symbolisch aufgeladen sei, dessen ist sich Kurt Neumann nur allzu bewusst und er verweist auf Mircea Eliades Studie über Schmiede und Alchemisten. Darin werden die Schmiede durch die Jahrtausende als Randständige, als outcasts, beschrieben - bei gleichzeitiger Unverzichtbarkeit für Gesellschaften. Viele Lesungen finden inmitten der Werkzeuge, vor Amboß und Esse statt, einbegleitet werden sie von Berufenen und Kurt Neumann selbst, der allgegenwärtig ist.
Die Ökonomie der Literatur
Das Literarische Quartier ist seit Jahrzehnten ein markanter Bezugspunkt der Literaturschaffenden. Lesungen, Seminare, Symposion, literarische Porträts und Textvorstellungen haben sie zu einer zentralen, international renommierten und publikumsattraktiven Literaturbühne werden lassen. "Ich verstehe diese Institution nicht formgebend", erläutert Kurt Neumann sein Schmiede-Konzept, "wir haben vielmehr Strukturen und Mittel zur Verfügung zu stellen, um literarische Werke zu ermöglichen."
Michael Köhlmeier erinnert sich in diesem Zusammenhang an seine Anfänge und an die Peinlichkeit, als kaum bekannter Autor über Geld sprechen zu müssen. Zu Zeiten, da man als junger Autor das Gefühl hatte, man müsse eigentlich dafür bezahlen, lesen zu dürfen, "war es bei Kurt Neumann immer so, dass, bevor die Lesung angefangen hat, ohne, dass man irgendwelche peinlichen Nachfragen hat stellen müssen, es ein anständiges Honorar gegeben hat, plus Spesen. In der Alten Schmiede zu lesen, war immer bestimmt von großem Respekt gegenüber dem Autor, gegenüber dem Werk und gegenüber der Tatsache, dass man von seiner Arbeit leben muss."
Die Programmatik von der Gleichwertigkeit der literarischen Gattungen findet ihre Entsprechung im zweimonatlich erscheinenden Programmfolder der Alten Schmiede. Das grafische Erscheinugnsbild und die Schriftgröße vereinheitlichen alle Veranstaltungen. Bewertungen finden nicht statt. Bemerkenswert ist das Fehlen eines Promikults und auch die Honorare sind für alle gleich.
Ein Heiliger der Literatur
Die Alte Schmiede ist ein Ort der Betriebsamkeit. An den meisten Tagen des Jahres gibt es Programm: am Abend Lesungen, Diskussionen, Seminare, Labors. Der Eintritt ist frei. Untertags gibt es Veranstaltungen für Schulen und Bildungseinrichtungen. Als öffentlicher Leseraum wurde die Galerie der Literaturzeitschriften installiert, mit Publikationen aus aller Welt.
Robert Menasse hebt an Kurt Neumann dessen umfassendes Literaturverständnis hervor. Im Gegensatz dazu seien die meisten literarisch geprägten Orten, ob es Kulturredaktionen, Wettbewerbsjurys oder literarische Zirkel seien, bloß durch kleine Zusammenrottungen von Gruppierungen charakterisiert, die bestimmte, relativ enge Vorstellungen davon hätten, was Literatur sei. Nicht so Kurt Neumann. Als größter Literaturveranstalter meidet Kurt Neumann bewusst Cliquen, Gruppen und Banden. Er moderiert mit Bedacht, meidet Allgemeinplätze und flapsige Erklärungen. "Wenn Literatur eine Kirche wäre, würde man Kurt Neumann als Heiligen beschreiben können", sagt Robert Menasse über den literarischen Schmied.
Eigenes literarisches Schaffen
Die meisten kennen ihn als Vermittler, die wenigsten kennen sein literarisches Schaffen, aber: "Er ist einer von uns, ein Dichter", sagt Friedericke Mayröcker über Kurt Neumann.
1984 erhält Neumann den ersten manuskripte-Literaturpreis für Form und Fiktion.
1984 erhält Neumann den ersten "Manuskripte-Literaturpreis für Form und Fiktion". Aus dem Juryspruch von Klaus Hoffer, Alfred Kolleritsch und Jürg Laederach:
Kurt Neumann für seine antriebsbeseelte, immer gegenwärtige, gern aufstörende und merklich stadtverändernde Kulturarbeit in der Alten Schmiede zu Wien zu danken, wird mit dem Preis gar nicht erst versucht. Neumanns bisherige Prosaarbeiten weisen ihn als einen - auch satirisch kommentierenden - Erzähler von nachdrücklich verfochtener und stellenweise zuchtloser Eigenart aus.
Die Jahre, in denen Kultur Politik machen wollte, sind vorüber. Kritische Zeitgenossen wie Kurt Neumann wissen, wie Literatur durch Vorgaben und Auftragsarbeiten fremdbestimmt wird. 2005 Publiziert er als Resümee eine Anthologie, ein Arbeitsjournal. Einleitend schreibt er:
Literatur und Dichtkunst sind als herausragende und kostbare Instrumente der Selbstbestimmung für Individuen, Gruppen und größere Kollektive erwiesen. Sie haben an der Formulierung an einer auf Grundsätzen von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gründenden Gesellschaft essentiell mitgewirkt. Sie artikulieren sich gegen eine stets dräuende Zumutung der Fremdbestimmung in dem Medium, in dem menschliches Bewusstsein verankert ist, in der Sprache.
Service
Kurt Neumann, "Aus dem Übungsheft zur Unterhaltungsliteratur", Verlag Splitter
Kurt Neumann, "Ein Dutzend - ca. 15 Gedichte", Edition Korrespondenzen
Klaus Kastberger, Kurt Neumann (Hg.), "Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945 - Erste Lieferung.", Zsolnay Verlag.
Christiane Zintzen (Hg.), "Öffentlichkeit und Charakter - Ein Essayband für Kurt Neumann", Sonderzahl.
Alte Schmiede
Edition Splitter - Aus dem Übungsheft zur Unterhaltungsliteratur
Korrespondenzen - Ein Dutzend
Zintzen - Öffentlichkeit und Charakter