Skeptische Erwartung des Unausweichlichen
Die grünsten Spiele ever
London versucht die Olympischen Spiele als gemeinschaftliches, von den Bürgern getragenes Ereignis zu vermarkten. Die große Euphorie ist unter den Stadtbewohnern noch nicht ausgebrochen. Nicht nur weil die Chance auf eine Eintrittskarte gering ist.
8. April 2017, 21:58
London arbeitet. Im Sommer 2012 finden hier die Olympischen Sommerspiele statt, und es gilt sich zu profilieren. Den inoffiziellen Titel der Welthauptstadt hat London erst unlängst für sich reklamiert, damals vergebens: Anlässlich der Jahrtausendwende wurde ein gigantomanisches Entertainment-Zelt namens Millennium Dome errichtet, das 1999 als Sensation, die die Welt noch nicht gesehen hatte, angekündigt wurde.
Zehn Jahre später, nachdem Besuchermassen ausgeblieben waren und die Nachnutzung lange ungelöst blieb, gilt der Millennium Dome schlicht als Fehlinvestition. Nun gibt es also eine weitere Chance, der Welt zu zeigen, was London drauf hat.
Schöne Baustelle
Die Olympische Stadt wird derzeit in Stratford im Osten Londons gebaut. Dazu gehört das Hauptstadion, das Olympische Dorf zur Unterbringung der Teilnehmer, ein Velodrom und ein Wassersportstadion. Als Baustellenspäher kann man mit einem fahrerlosen Zug der Docklands Light Railway zu einer Station mit dem dörflich anmutenden Namen Pudding Mill Lane fahren.
Von dort gelangt man über einen ausgeschilderten Schleichweg an den Rand der Großbaustelle, auf der in unüberblickbarem jedoch wohl orchestriertem Chaos gewerkelt wird. Brücken enden im Nichts, Rohre unterschiedlicher Durchmesser und Farben schlängeln sich quer durch die aufgegrabene Erdlandschaft, Bauarbeiter erteilen Anweisungen und mit einer Straßenwalze wird eine neue Zufahrt fahrbar gemacht - es erinnert an das schön geschäftige Treiben auf der nie fertig werdenden "Fraggles"-Baustelle.
Bürgerbeteiligung von oben
Am Rande der Baustelle steht ein Haus aus gestapelten Containern. Die frisch zitronenfaltergelb gestrichene Außenwand lässt erahnen, dass es sich hier nicht um die Baustellenleitung handelt: View Tube wird das Gebäude genannt, das ein Café und eine Aussichtsplattform beinhaltet. In der Öffentlichkeit wird View Tube dargestellt als aufklärerisches Informationszentrum, als selbstlose Initiative von Bürgern für Bürger.
"Social enterprise and community venue" lautet die idealistische Selbstbeschreibung. Doch das Eingangsschild verrät: natürlich ist es eine von der Olympic Delivery Authority bezahlte Initiative, getarnt hinter Billig-Container-Ästhetik, Bio-Kaffee und abgegriffenen Lifestyle-Heften im gastronomischen Inneren. Auch Bürgerbeteiligung will geplant sein.
Käfer und Schwammerl
Im Education Room, wo gerade keine Schulklasse über die positiven Effekte der Sport-Großveranstaltung aufgeklärt wird, liegen Broschüren über heimische Pilzsorten und Käferarten. Denn grün wollen die Spiele sein, das gehört schon wie selbstverständlich dazu.
Unter dem Punkt "Sustainability" wird auf der "London 2012"-Website brav aufgezählt, was alles getan wird, um nicht nur den Müll nachher wieder zu entsorgen, sondern gar um ein Vorbild für die Industrie und Stadtplanung abzugeben. Um die Londoner Spiele die "most sustainable ever" zu machen, wurden etwa die Kantinenbetreiber, die die 7.000 Baustellenarbeiter versorgen, angewiesen, Bio-Lebensmittel zu verwenden.
Stadt aus Dörfern
Gegen solche Vorschläge ist gar nichts einzuwenden, alles was den Weltuntergang abwehrt, muss gut geheißen werden. Aber wie, fragen sich viele Londoner, werden die Olympischen Maßnahmen, die unmittelbare Umwelt beeinflussen, kommunale Flächen oder Mietpreise? Wie wird sich die eigene Wohngegend verändert haben, wenn der Olympische Zirkus wieder abgezogen ist?
London ist ein Konglomerat aus zahllosen Dörfern, eine Metropole, in der nachbarschaftliche Strukturen gepflegt werden. Aus diesen Strukturen heraus regt sich Unmut über die von oben verordnete Generalplanung, die vielen wichtigen Fragen, die schon jetzt das Leben in London betreffen, zu wenig und nur oberflächlich Beachtung schenkt. "Sustainability", also Nachhaltigkeit, betrifft die Gegenwart und nicht nur ökologische Belange.