Werthester Freund!

Johann Nestroy, Sämtliche Briefe

Vor Allem meinen verbindlichsten Dank für die äußerst promte Übersendung der so sehr von mir gewünschten Gegenstände. Ihr mit denselben eingelangtes Schreiben hat uns Alle sehr erfreut, denn wenn Ihnen der kurze Aufenthalt in Ischl angenehm war, so hoffen wir vielleicht im nächsten Sommer, was dißmahl schon unser Wunsch gewesen, Sie samt Ihrer lieben Frau, auf längere Zeit hir zu sehen.

Nun zum Geschäfte. "Der verwandelte Pudl" ist sehr gut, nur müßte ich erst mich selbst verwandeln können. Die Rolle erfordert erstens einen noch jungen Mann von liebenswürdigem Exterieur. Ihr Bruder Carl ist der richtige Representant dieser Rolle, sollte er keine Lust dazu haben wäre meines Erachtens Knaak zu substituiren. Es ist hir kein alter Geck, der Mädchen nachsteigt, kein tölpischer Bedienter der gerne der Liebe pflegt, sondern ein wirklicher Liebhaber, der ein Mädchen von ihrer thörichten Manie couriert, und zugleich ihr Herz gewinnt, - das sind Aufgaben, denen ich nicht gewachsen, oder eigentlich schon zu lange entwachsen bin. Das Stück, mit welchem Sie mich in mein beletage beschäftigt finden, ist vollständig fertig, total umgestaltet und neu dialogisiert. Es heißt: Zeitvertreib Posse in 2 Acten, und füllt mit einer Einactigen Zugabe ein Abend vollständig aus. Nach dem Ausspruch der Frau kann ich mir schmeicheln daß es gelungen ist.

Ich hätte es zugleich mit den "Pudel" übersendet, allein, es ist nothwendig daß ich die Veränderungen für die liebe Censur mit rother Tinte anzeichne. Mag die Freyheit in Rede Schrift und Druck in noch so erfreulicher Weise um sich greiffen, so bleibt doch das Theater immer noch der letzte Bissen, in den sich der (1 Wort unleserlich), wenn man ihm auch Alles Andere schon entrissen, umso hartnakiger verbeißt. Die Übersendung erfolgt daher erst in einigen Tagen. Mittlerweile beginne ich schon die Bearbeitung des "Vent du soir". Sollte Ihnen im Laufe des September noch etwas Zweckmäßiges für mich vorkommen, so schiken Sie es mir denn ich habe in October noch Muße genug zu Umgestaltung einer Pièce. - Noch muß ich Sie mit einer Bitte belästigen. Ich spiele hir Mittwoch den 4tn Gebildeter Hausknecht und Umsonst. Zu einer zweyten Wohlthätkeitsvorstellung ersucht, bestimmte ich dazu die Wiederholung eines dieser Stücke verbunden mit der Hausmeisterin.

Nun werde ich aber einhellig von hoher und höchster Seite um die Mädeln in Uniform angegangen und werde also ein Par Tage später als 2te Vorstellung die Hausmeisterin und Mädl in Uniform geben. Ich ersuche Sie daher um möglichst umgehende Übersendung von Souflierbuch "Mdn in Unfm" dann der Patituren-Musik und mein Costum. Die Schluß Fraunzimmer Verkleidung des Sansquartier nicht da (2 Wörter unleserlich) sondern den alten weißen Überrock als Eilgut. Grüßen Sie Ihren Bruder vielmahls herzlich von mir, ich komme vor dem halben October auf einen Tag nach Wien, wo ich ihn zu sehen hoffe. Eben so von der Frau und allen meinen Angehörigen die herzlichsten Grüße an ihn und Sie samt den beyderseitigen Angehörigen.
Ihr
J. Nestroy

Buch-Tipp
Johann Nestroy, Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe, Herausgegeben von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates, Band 41, Sämtliche Briefe, Herausgegeben von Walter Obermaier, Deuticke 2005, ISBN: 3216307425

Anmerkungen
Der verwandelte Pudl
Über den Ankauf der Posse Der verwandelte Pudel des Schauspielers und Theaterdichters Johann Schönau (1816-1876) für das Kaitheater und die geplante Mitwirkung Nestroys bei der Aufführung des Stückes wurde am 28. September 1861 in der Theaterzeitschrift Der Zwischen-Akt berichtet. Möglicherweise handelte es sich um eine Parodie auf die im Kaitheater gespielte Offenbach-Operette Die verwandelte Katze (25. September 1862), die Offenbach selbst im gleichen Theater anlässlich eines Gastspieles am 10., 11., und 14. Juni 1861 in der Originalfassung La chatte métamorphosée en femme aufgeführt hatte.

Knaak
Wilhelm Knaack (1829-1894) war von Nestroy 1857 ans Carltheater engagiert worden und wechselte 1860 mit dem Ensemble ans Kaitheater. Später trat er auch in Nestroy-Rollen auf und gastierte in München 1877 erfolgreich als Pitzl in Umsonst (Pargner/Yates 2001, S. 270).

beletage
bel étage, frz., das erste (vornehmste) Stockwerk eines Hauses.

Zeitvertreib
Nestroy hatte die Posse vermutlich bereits 1858 fertig gestellt gehabt, schließlich aber nicht zur Aufführung gebracht. Anlässlich seines für die Zeit vom 11. Dezember 1861 bis zum 4. März 1862 geplanten Gastspiels am Kaitheater ließ er sich die Möglichkeit offen, das Stück aufzuführen, und reichte es der Zensur ein. Am 21. Jänner 1862 wurde es unbeanstandet retourniert (Stücke 37, S. 202 f.), kam aber dann nicht zur Aufführung.

Gebildeter Hausknecht und Umsonst
Nestroy spielte in Ischl am 4. September in Ein gebildeter Hausknecht und Umsonst. Bei der erwähnten Wiederholung scheint Nestroy statt Eine Vorlesung bei der Hausmeisterin die Zwölf Mädchen in Uniform gespielt zu haben.

Wohlthätigkeitsvorstellung
Nestroy hatte schon früher in Ischl Wohltätigkeitsveranstaltungen gegeben, vgl. Briefe an Nestroy II/7.