Über Macht und Autorität

Kreisler und Kehlmann

Das Wetter ist salzburgisch - und schon beginnt es, das Regenschirm-Ballett. Junge Herren bohren Schirmkanten in Touristenregenkutten, Kinder verhaken die Ecken ihres Parapluie in Blusen, ein beständiges buntes Auf und Nieder der sich ausweichenden Schirme, choreografiert nach den Gesetzen des Zufalls und nach dem Rhythmus der Regenschwälle.

Am Abend hohe Limousinendichte vor dem Großen Festspielhaus. Beim Mozarteum dagegen: Kein Frack. Keine Limo. Das voll besetzte Auditorium von oben bunt wie die Regenschirme draußen. Vorne auf der Bühne des Mozarteums Georg Kreisler und Daniel Kehlmann.

Letzter Abend der Reihe "Dichter zu Gast". Kreisler, das lebende Symbol für Unangepasstheit, als Kontrapunkt zu Society und Tand: Kreisler erzählt von seiner Zeit in Amerika, als er von einem Filmstudio angestellt wurde, die Melodien aufzuschreiben, die Charly Chaplin vorpfiff. Von seiner Arbeit für die US-Army, als er Nazigrößen verhörte. Er spricht über Wiener ("Sie sind anders. Sie stehen außen und schauen zu. Ich kann das schwer erklären. Nicht dass sie mehr intrigieren als andere, das würde ich nicht sagen. Aber sie intrigieren anders.") und über Macht ("Wer sich etwas auf’s Macht-Ausüben einbildet, ist dumm. Macht ist vergänglich.") und Autorität ("Autorität ist wieder etwas anderes als Macht. Der Schneider, der bei mir Maß nimmt für einen Anzug, hat Autorität, denn er versteht mehr vom Schneidern als ich. Aber er hat keine Macht über mich.").

Und schließlich die Aufforderung von einem, der gesehen hat, wie schnell vermeintlich sichere Systeme ins Faschistische kippen können, den Anfängen zu wehren.

Georg Kreisler der Anarchist, der Machtausübung verabscheut und sich stattdessen echte Partizipation wünscht: "Wir leben ja in einer Demokratie, aber man merkt nichts davon." Georg Kreisler, der sich von bösen, zynischen Liedern hin zu dunklen, schwermütigen, schonungslosen Liedtexten entwickelt hat. Kehlmann ließ von einer CD einige Lieder einspielen. Keine leichte Kost. "Mein kleines Mädele" - kein Wiegenlied, sondern schonungslose Warnung vor der bösen Welt. Ob er manch verschleiernde Formulierung in den späten Liedern selbst erklären könne? "Nein. Manchmal denke ich mir: Ich muss verrückt gewesen sein." Und: "Ich schreibe nie mit Absicht. Sie etwa?", fragt er Kehlmann. Dessen Antwort kommt schnell: "Ich schreibe wohl mit ein wenig zu viel Absicht."

Auch die Medien kriegen's ab. Die tun, so Kreisler, "lediglich das, was man von ihnen erwartet. Ich glaube nicht, dass irgendjemand im ORF sitzt, dem etwas anderes einfällt, als das heutige System zu bestätigen." Das sagt er gekoppelt mit dem Hinweis, dass es heute im Rundfunk niemand wagen könne, solche Lieder - wie die an diesem Abend per Lautsprecher eingespielten - zu senden. Die Aufzeichnung von "Liebste und vorletzte Lieder" ist übrigens am 15. August um 22:05 Uhr auf Ö1 zu hören.

PS: Verschreiber des Tages: Salzburger Restspiele. Ist ja jetzt die Hälfte vorbei.