Elisabeth Orth ist Hörspiel-Schauspielerin des Jahres 2009

Elisabeth die Große

Eine ORF-Hörspiel-Fachjury hat Elisabeth Orth zur "Hörspiel-Schauspielerin des Jahres 2009" gewählt. Die Ehrung findet im Rahmen der "Langen Nacht des Hörspiels" am 19. Februar im Wiener RadioKulturhaus statt, die Laudatio hält Dr. Rudolf Scholten.

Ein königlicher Beruf

Sie scheint auf der Bühne zu wachsen. Wenn man die quirlige Dame mit Rucksack und schwarzem Baseballkäppi im Foyer des Wiener Funkhauses trifft, hat man Mühe sich vorzustellen, dass es sich um dieselbe Person handelt, die machtvoll und gebieterisch die Elisabeth in Schillers "Maria Stuart" gibt, die Margarete in Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende" oder die Gräfin in Kleists "Käthchen von Heilbronn“. Sie wedelt unruhig nach einem Taxi – und weg ist sie. Gerade eben hatte sie im Studio der kanadischen Erfolgsautorin Margaret Atwood ihre Stimme geliehen. "Theaterspielen", sagt Elisabeth Orth, ist ein "königlicher Beruf". "Nachschöpferisch zwar – aber königlich".

Eine österreichische Institution

Elisabeth Orth, die am 8. Februar ihren 74. Geburtstag feierte, ist, wie man ausnahmsweise wohl sagen darf, eine österreichische Institution. Als Schauspielerin, politische Aktivistin und als Mitglied der “ersten Familie des Landes, der “Familie Österreich” - wie der Wessely-Hörbiger-Clan früher nicht ungern genannt wurde. Wobei im Falle der ältesten Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger das Biografische und das Politische ohne Widerspruch zusammenfließen. Sie hat, sagt sie, eine starke Bindung zu Österreich – "trotz alledem". Die Kritik erwachse aus der Zuneigung. Und Sie widerspricht Peter Handke heftig, der sagt, man könne nur einen Menschen lieben - aber kein Land. Es ist wohl das lange Zeit ungeklärte Verhältnis vor allem ihrer Mutter zum Nationalsozialismus, das Elisabeth Orths klare politische Positionierung begründete. Sie engagiert sich gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, war eine der Sprecherinnen beim "Lichtermeer" 1993 und ist bis heute Präsidentin der "Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich". Immer wieder präsentiert sie Texte von politisch Verfolgten, widmet sich zeitgenössischer Lyrik von Erich Fried, Ingeborg Bachmann oder Friederike Mayröcker. Dreizehn Jahre lange schrieb sie regelmäßig Kommentare für die katholische Wochenzeitung "Die Furche" und machte ihr Verhältnis zu Österreich und seiner Geschichte öffentlich.

Als Kind habe sie gewusst, dass ihre Eltern während des Nationalsozialismus eine gewisse Rolle gespielt hätten. Allerdings wurde die Geschichte in Form von "Geschichterln" abgehandelt, anekdotisch, und damit ihrer Tragweite beraubt. Attila Hörbiger, Elisabeth Orths Vater, war NSDAP-Mitglied, Paula Wessely, die Mutter, begrüßte den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich und spielte in dem NS-Propagandafilm "Heimkehr" eine von Polen verfolgte Deutsche. Als sie den Film zum ersten Mal gesehen habe, sagt Elisabeth Orth, traf er sie mit "voller Wucht". "Speiübel" sei ihr gewesen, dennoch wollte sie ihre Eltern nicht durch Nachfragen zu Ausreden zwingen. Also schrieb sie ein Buch über sie. Es erschien 1976 unter dem doppeldeutigen Titel: "Märchen ihres Lebens - Meine Eltern Paula Wessely und Attila Hörbiger". Eigentlich eine "Wahnsinnsidee" sagt Elisabeth Orth heute, doch sie wollte vor allem ihre Mutter damit vor weiteren Fragen schützen.

Theater in Wien und Deutschland

Eine erste Abgrenzung vollzog Elisabeth Orth allerdings früh. Als sie sich nach Jobs als Filmcutterin und als Darmaturgieassistentin doch - wie übrigens auch ihre Schwestern Maresa und Christiane - entschied Schauspielerin zu werden, war ihr sofort klar, dass sie sich nicht mit der Hypothek des Namens Hörbiger belasten wollte. Ihre Eltern zeigten Verständnis. Und da Elisabeth ein langer Vorname sei, müsse - befand ihre Mutter - ein kurzer, knalliger Nachname her. Man entschied sich für den Familiennamen der Großmutter mütterlicherseits - Orth. Nach ersten Engagements am Wiener Volkstheater und am Theater der Courage verlässt Elisabeth Orth ihre Heimatstadt und geht nach Deutschland. "Ich hatte immer das Gefühl ich muss die Wiener Marmelade aus den Ganglien kriegen", sagt sie und war damals "heilfroh die Stadt hinter mir zu lassen." Es folgten Stationen in Köln, München und Ulm, wo sie unter anderem mit Peter Palitzsch, mit Peter Zadek und mit Johannes Schaaf zusammenarbeiten konnte. Dort sei auch der damals vorherrschende Wiener Theaterton auf der Strecke geblieben. Als sie in Ulm unter Kurt Hübner "Die Jungfrau von Orleans" probte, habe ihr Hübner zugerufen: "Nimm doch die Osterglocken aus deiner Stimme, Elisabeth!". Was so viel hieß wie: Kein Singsang bitte, Singen auf der Bühne: Verboten!

1965 debütierte Elisabeth Orth in Schillers "Kabale und Liebe" am Wiener Burgtheater, wenige Jahre später wurde die heutige Kammerschauspielerin Ensemblemitglied. Abgesehen von einem mehrjährigen Intermezzo an der Berliner Schaubühne - damals unter der künstlerischen Leitung von Andrea Breth - ist Elisabeth Orth dem Burgtheater treu geblieben. Und auch einer anderen Institution, unserer, dem Radio. Elisabeth Orth, der Kurt Hübner dankenswerterweise die "Osterglocken" ausgetrieben hat, ist eine der großen Stimmen des Radios. Ihr erstes Hörspiel hat sie 1958 aufgenommen. Ein Stück von Selma Lagerlöf übrigens, "Der Kaiser von Portugallien". Es folgten Hörspiele von Christa Wolf und Hilde Spiel, von Andreas Okopenko und Eberhard Petschinka. Dazu Stücke von Sophokles und Grillparzer, Nestroy, Schnitzler und George Bernard Shaw.

Eine große Stimme des Radios

In exakt fünfzig Hörspielen hat Elisabeth Orth - allein für den ORF - in einem halben Jahrhundert mitgewirkt. Das ist, zumindest, rekordverdächtig. Das letzte Hörspiel, ein Zweipersonenstück des Schweizer Autors Jürg Amann, wurde letzten Juni gesendet. Elisabeth Orth gibt darin übrigens eine alternde Operndiva, die, begleitet von ihrer Zofe (Bibiana Zeller), mit dem Zug ein letztes Mal nach Wien, den Ort ihrer Triumphe, reist. Ebenfalls 2009 war sie als "Frau Matzner" in dem Joseph-Roth-Zweiteiler "Die Geschichte von der 1002. Nacht" zu hören. 2009 las sie auch, gemeinsam mit ihren Sohn, dem Schauspieler Cornelius Obonya, eine Serie von Reportagen und Feuilletons von Joseph Roth.

Elisabeth Orth hat im Lauf von Jahrzehnten Ö1 unzählige Male ihre Stimme geliehen. Sie hat Texte und Radiogeschichten gelesen, ist als Lyrikinterpretin Stammgast in der "Holden Kunst", sie war zu Gast bei Peter Huemer "Im Gespräch" und hat in den "Menschenbildern" freimütig über sich und ihren Werdegang erzählt. Das Hörspiel-Regieteam hat, gemeinsam mit der Redaktion, Elisabeth Orth zur
"Schauspielerin des Jahres 2009" gewählt. Die Ehrung findet im Rahmen der "Langen Nacht des Hörspiels" am 19. Februar 2010 im Wiener Funkhaus statt. Wir freuen uns - und gratulieren herzlich.

Hör-Tipp
Hörspiel-Magazin, Dienstag, 16. Februar 2010, 21:00 Uhr

Mehr zum Hörspiel "Im Zug der Zeit" mit Elisabeth Orth in oe1.ORF.at

Mehr zum Hörspiel "Die Geschichte von der 1002. Nacht" mit Elisabeth Orth in oe1.ORF.at

CD-Tipps
Joseph Roth, "Abreise und Ankunft. Reisereportagen", erhältlich im Ö1 Shop

Joseph Roth, "Reportagen & Feuilletons", erhältlich im Ö1 Shop