Reise in die Toskana

Palio und Contrade in Siena

Für viele ist sie mit ihren sanften Hügeln, Weinbergen und ihrer typischen erdfarbenen Architektur eine Sehnsuchtslandschaft. Die Toskana ist eine Gegend mit Kunstschätzen aus den unterschiedlichsten Epochen.

Als Johann Wolfgang von Goethe 1786 bis 1788 auf seiner italienischen Reise die Toskana passierte, fand er in seinem Reisetagebuch zwar freundliche, aber sparsame Worte zu Land und Leuten. Zu wenig spektakulär die hügelige Gegend, zu wenig der Klassik verpflichtet die mittelalterlichen Orte.

Pietro Leopoldo, der Sohn Maria Theresias, der das habsburgische Großherzogtum Toskana von 1747 bis 1792 regierte, sah das anders, er war ein toskanischer Patriot. Die sanften Reformen, mit denen er den Bürgern mehr Rechte verlieh und die Privilegien des Adels beschnitt, bescheren ihm noch unter den heutigen Toskanern einen ausgezeichneten Ruf.

Ein Land für Aussteiger

Ihre aktuelle Popularität verdankt die Toskana Künstlern, Intellektuellen, aber auch Politikern, die diese einzigartige Kulturlandschaft in den 1970er und 1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts für sich entdeckten. Zu den bekanntesten Namen gehören Oskar Lafontaine, Joschka Fischer, Michael Häupl, aber auch der Verleger Klaus Wagenbach, der Popstar Sting, der bildende Künstler Daniel Spoerri und der 2006 verstorbene Schriftsteller Robert Gernhardt.

Der exklusiven "Toskanafraktion" - wie sie im Feuilleton ironisch genannt wurde - folgte zu deren Leidwesen der unaufhaltsame Massentourismus, den die Kommunen und die Umweltaktivisten manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg in verträgliche Bahnen zu lenken versuchen. Zu Hilfe kommt ihnen dabei die Resistenz der Einwohner, die sich ihre Traditionen und ihren Lebensraum nicht nehmen lassen.

Heimat des Palio und Touristenmagnet

Im Südwesten der Toskana liegt die Stadt Siena - und zwar an der Via Francigena, einem berühmten Pilgerweg, der von Canterbury bis nach Rom führt. Die Silhouette von Siena, das auf drei schmalen Hügeln erbaut wurde, ist bei der Anfahrt schon von weitem zu sehen. Der 88 Meter hohe Rathausturm des Stadtpalastes überragt mit seiner weißen Travertin-Krönung die Stadt aus rotem Backstein, die noch vollständig von ihrer mittelalterlichen Mauer umgeben ist. Anders als die Türme der Adelsgeschlechter, ist er ein Symbol der Städtefreiheit, für die Sienas Bürger gegen ihre große Konkurrentin Florenz letztlich vergebens gekämpft haben.

Auf der Umfahrungsstraße leiten Wegweiser den Individualverkehr der Besucher in Parkgaragen, auch die Reisebusse halten vor den Toren, sie wären ohnehin zu breit für die schmalen Gassen. Trotzdem ist man zu Fuß schnell im Zentrum der Stadt, die um die Piazza del Campo herum kreisförmig ansteigt. Die Piazza del Campo ist auf Grund ihrer Muschelform der berühmteste mittelalterliche Platz Italiens. Hier ergehen sich disputierende Sieneser, hier lagern Rucksacktouristen, hier kann man in den Bars, Restaurants und Pizzerien um viel Geld, aber bei guter Qualität, Durst und Hunger stillen.

Auf dem Weg zum Dom, der sich in weißem Marmor von den roten Backsteinbauten abhebt, kommt man, nur ein Stockwerk über dem Campo, an der säugenden Wölfin vorbei. Siena teilt sein Wahrzeichen mit Rom, weil es der Legende nach von einem Sohn des Rom-Erbauers Remus gegründet wurde. Gestylte Läden fallen genauso ins Auge, wie die mächtigen Bankhäuser von Monte di Pasqui. Im 12. Jahrhundert eroberten die Sieneser die Silberminen von Montenieri und prägten ihre eigenen Münzen. Seit damals ist Siena eine Stadt des Geldes geblieben.

Siena ist anders

"Palio" und "Contrade" heißen die Zauberworte, ohne die man Siena nicht verstehen kann. Auch andere toskanische Städte haben ihre Contrade, ihre Wettkämpfe, ihre Kostüme, ihre Bogenschützen, ihre Trommler und ihre Fahnenschwinger. Aber Siena ist anders. Der Palio ist kein folkloristisches Fest, sondern die historische Manifestation der Autonomie der kaisertreuen Stadtrepublik, die diese Autonomie 1555 nach hinhaltendem Widerstand gegen Karl V., der von den papsttreuen Florentinern unterstützt wurde, verloren hat.

Seit einem halben Jahrhundert treten die Stadtviertel im Wettkampf gegeneinander an und schicken angemietete Jockeys und ausgeloste Pferde ins brutale Rennen um den Campo. Tierschützer protestieren hier genauso vergebens wie gegen die Stierkämpfe in Spanien. Der Palio und die Contrade sind schon immer in der sienesischen Bevölkerung verwurzelt.

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