Meisterwerk von Joyce Carol Oates

Geheimnisse

Joyce Carol Oates ist eine der einflussreichsten und produktivsten Autorinnen, seit Jahren wird sie als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Jetzt ist "Geheimnisse" auf Deutsch erschienen, ein Roman aus dem Jahr 2007, von der Kritik gefeiert als Joyce Carol Oates' Meisterwerk.

Mittagsjournal, 09.04.2010

1938 in Lockport im US-Bundesstaat New York geboren, umfasst das Werk der Literaturprofessorin aus Princeton rund 50 Romane, mehr als 300 Kurzgeschichten, unzählige Gedichte, Essays und Drehbücher. Die Übersetzer kommen kaum nach.

Eine Emigrations-Geschichte

Auf einem Schiff im Hafen von New York wird Rebecca geboren - 1936 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Die Familie lässt sich in der US-amerikanischen Provinz nieder, der Vater - in Deutschland einst ein angesehener Mathematikprofessor - arbeitet fortan als Totengräber, beginnt zu trinken und terrorisiert die Familie, die Mutter erstarrt im Kummer und Rebecca wächst auf in einem Klima der Aggression und des Schweigens. Sie ist 13 als ihr Vater - getrieben von Wahnvorstellungen - die Mutter erschießt und Selbstmord begeht. "The gravediggers daugther" heißt der Roman in der amerikanischen Originalfassung - die Tochter des Totengräbers.

"Es ist ein ganz besonderer Roman für mich. Es erscheint mir wie ein Traum, ein bisschen wie ein Alptraum, den ich da in 15 Monaten niedergeschrieben habe. Es ist so viel Persönliches drinnen, nicht von meinem eigenen Leben, es geht um meine Großmutter. Ich war ihr sehr nahe - Blanche Morningstar. Sie hat ihren Namen geändert - von Morgenstern zu Morningstar", erzählt die Autorin.

Widmung an die Großmutter

"Für meine Großmutter Blanche Morgenstern, die Tochter des Totengräbers" - lautet denn auch die Widmung, die dem Roman vorangestellt ist. Wie Blanche Morgenstern wird auch Rebecca Schwart ihren Namen ändern. Schon früh hat sie Selbstverleugnung gelernt, wurde ihr beigebracht, sich zu verstellen. Und Rebecca betreibt das mit Perfektion - aus dem traumatisierten angstgetriebenen Mädchen, aus der später vom Ehemann misshandelten jungen Frau lässt sie Hazel Jones erstehen.

"Rebecca verwandelt sich in ein hübsches, allseits beliebtes Mädchen, so wie June Allyson im Film oder wie Doris Day - eine wirklich nette Person, die eine wunderbare Mutter wird und später dann eine ebenso wunderbare Großmutter, so wie ich auch meine Großmutter gekannt habe. Sie war das nicht von vornherein, sie hat sich diese Person angeeignet". erläutert Joyce Carol Oates.

Universum von Frauenfiguren

Rebecca Schwart, Hazel Jones, Blanche Morningstar - über vier Jahrzehnte begleiten wir diese Frauenfigur und folgen ihr in das Universum, das Joyce Carol Oates virtuos entworfen hat - aus Fakten und Fiktion.

Das Puzzle, das sie versucht hat aus dem das Bild ihrer Großmutter zusammenzufügen, sagt Joce Carol Oates, zeigt eine starke und einsame Frau: "Sie hat nie über sich gesprochen. Trotz ihrer tragischen Geschichte - es gab keine Spur von Selbstmitleid. Sie lebte für die anderen. Dass sie sich selbst erfunden und ihre Rolle gespielt hat - niemand hat das gewusst. Lachen sie nicht, es klingt komisch, aber ich habe viel über sie erfahren, als mein Biograf Greg Johnson mein Leben erforscht hat. Er hat Geburtenregister durchforstet und viele Interviews gemacht. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Nachforschungen anzustellen."

Service

Joyce Carol Oates, "Geheimnisse", aus dem Englischen übersetzt von Silvia Morawetz, S. Fischer Verlag