Doppelschau in München und Leipzig
Retrospektive Neo Rauch
Er gilt als einer der wichtigsten bildendendem Künstler von heute: der Leipziger Maler Neo Rauch, der am 18. April 2010 50 Jahre alt geworden ist. Aus diesem Anlass widmen ihm gleich zwei deutsche Museen eine Ausstellung. Jeweils zirka 60 Werke sind in München und Leipzig zu sehen.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 19.04.2010
Der Herr im braunen Biedermeierfrack macht keinen glücklichen Eindruck. Er kniet leicht nach vorne gebeugt auf einem kleinen, dunklen Podest. Seine dick verpackten Hände berühren den Boden. Ein halbnackter Mann drückt ihn an Schulter und rechtem Unterarm, ein älterer Herr hält über dem Knieenden einen schwarzen Zylinder.
"Krönung" heißt das Bild, das Neo Rauch vor zwei Jahren gemalt hat. Es könnte auch "Verhöhnung" heißen, sagt der Künstler bei einem Gang durch die Retrospektive im Souterrain des Leipziger Museums, während sein Blick auf andere farbbetonte und figurenreiche Gemälde gleitet.
Realismus mit surrealen Hinweisen
Neo Rauch ist ein Meister seines Faches, die Qualität seiner Arbeiten ist das Rätsel mit realen und surrealen Hinweisen. Er komponiert Bilder, vermischt Stile und Formen, er verkeilt Raum- und Zeitebenen. Rauch bringt auf die Leinwand, was er um und in sich erlebt, zurückhaltend, reflektiert und überlegt wie er selbst.
An der Konzeption der beiden Ausstellungen hat Neo Rauch intensiv mitgewirkt. Manch ältere Werke sind zum ersten Mal öffentlich zu sehen, manche Bilder riechen noch nach Atelier.
Individuum und Gesellschaft
Die Arbeiten sind in den beiden Museen in Themengruppen angeordnet. Muster, Handlungen und Entwicklungen werden so noch sichtbarer, sagt Hans Werner Schmidt, Kurator sowie Direktor in Leipzig.
Immer wieder ist auf den Leinwänden das Mit- und Gegeneinader von Individuum und Gesellschaft zu entdecken, sei es in Industriewelten oder Landschaften. Suche nach Orientierung, Zerstörung, Tod und Elend tauchen gerne als Sujets auf. Frühe Werke mit ihren ausgewaschen Farben erinnern an sozialistische Propagandamalerei, in den jüngeren, Collage-artigen Arbeiten wandelt er durch kunsthistorische Traditionen von Tizian bis Beckmann; gerne macht Rauch dabei einen Abstecher in die deutsche Romantik.
Vitalisierung des Fremden
Neo Rauch beschreibt seine Bilder als Fortsetzung des Traumes mit anderen Mitteln, als Vitalisierung des Fremden. Dies will er vor allem als sinnliche Erfahrung vermitteln.
Die klug ausgewählten Werkgruppen in Leipzig und München lassen dem Besucher auch keine Wahl, sich auf einem anderen Weg auf eine kraftraubende wie faszinierende Expedition durch das virulente Welttheater des 50-jährigen Ostdeutschen einzulassen.
Textfassung: Ruth Halle
Service
Begleiter - Ausstellung Neo Rauch
Museum der bildenden Künste Leipzig
Pinakothek der Moderne