"Das Beste kommt noch"

Porträt Neo Rauch

Der Maler Neo Rauch zählt seit Jahren zu den meistdiskutierten, meist nachgefragten sowie teuersten deutschen Künstlern der Gegenwart, gerade in den USA. Vor kurzem ist der Protagonist der sogenannten Leipziger Schule 50 Jahre alt geworden.

Kulturjournal, 28.04.2010

Der Sound von Bands wie den Ramones aus New York hallt oft und gern durch das Großraumatelier in der Baumwollspinnerei im Stadtteil Plagwitz. Unterschwellig, so Neo Rauch, greift die Musik in das ein, was man dem Pinsel anvertraut. Der Titel der Garagenpunkrocker Ramones passt aber mehr zum früh eingeschlagenen Lebensweg des Leipzigers: "I don't wanna grow old".

"Ich wollte nie erwachsen werden, ich wollte ein Kind bleiben und einer der sichersten Wege dorthin ist das Malen", so Neo Rauch. "Ich habe mir alles erzeichnet, was ich haben wollte."

Neo Rauchs Eltern sterben vier Wochen nach seiner Geburt bei einem Zugunglück. Er wächst bei seinen Großeltern in Sachsen-Anhalt auf. Rauch absolviert die renommierte Hochschule für Grafik und Buchdruck in Leipzig, wo er bis vor gut einem Jahr auch eine Professur innehatte. Die Stadt in Sachsen, wo er mit seiner Frau lebt, ist ihm bis heute Nährboden und Kraftquelle zugleich. "Esoteriker sagen, dass man dort bleiben soll, wo man geboren ist", sagt Rauch. "Vielleicht ist was dran, denn hier kommen mir die besten Ideen."

Reales und Surreales

Gelten lässt Neo Rauch heute nur noch Bilder, die er ab 1993 gemalt hat. Auffallend sind die große, auch formale Offenheit, das Comichafte, das Popartige, ausgelaugte sowie hellere, verwaschene Farben. Landschaften und Menschen erinnern an die DDR-Arbeitswelten, Bildtitel finden sich immer wieder auf der Leinwand.

Seine späteren Werke wirken opulenter. Die Farben sind kräftiger und dunkler, Rauch malt figurativer, das Bildpersonal scheint der deutschen Romantik entlehnt. Zeit- und Raumebenen sind verschachtelt, er inszeniert handwerklich auf höchstem Niveau wie für eine Bühne Reales und Surreales. "Das Bild kommt auf schwer ergründbaren Wegen zu mir - ich plane meine Bilder nicht."

Kritik als kreativer Impuls

Immer wieder entstehen geheimnisvolle, verschlüsselte und vielfältig interpretierbare Arbeiten, die sich mit dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv befassen. Sie haben viel an Bewunderung, aber auch Ablehnung erfahren. Auf zu heftige Kritik an seinem Schaffen reagiert Rauch sensibel: "Der Angriff des Kritikers - so unqualifiziert er auch sein mag -, ruft in mir - nach Abklingen des Verletzt-seins-Empfindens - einen kreativen Impuls wach."

Von dieser Polarität findet sich einiges in den Werken wieder, dennoch wirken sie ironie- und schmerzfrei. Immer wieder geht es bei dem Mann mit der Vorliebe für Ernst Jünger sowie Botho Strauß um Tod, Zerstörung, Krieg und Elend. Zwei Ausstellungen in Leipzig und in München verdeutlichen durch ihre Auswahl und nicht chronologische Hängung Rauchs Annäherungen an diese Themen, die für ihn zeitlos sind - so wie es seine Bilder sein sollen.

Die Bilder "aus der Gefahrenzone" bringen

Durch die beiden Retrospektiven schreitet der hochgewachsene, durchtrainierte und leicht graumelierte Künstler mit fragenden wie suchenden Blicken. "Das Bild der Bilder habe ich noch nicht gemalt. Ich habe auch keine Vorstellung davon, wie es wohl aussehen könnte", sagt Rauch.

Rätselhaft und deutungsschwer sind die Großformate. Fertig sind seine Bilder für ihn nie, daher seien die Ausstellungen für ihn auch hoch instruktiv. Der Traumwandler mit Realitätsbezug lässt sich vom eigenen Schaffen stimulieren und für anstehende Arbeiten inspirieren.

"Deshalb macht man ja zu guter Letzt auch Ausstellungen, weil man seine Bilder aus der Gefahrenzone des eigenen Ateliers rausbringt in die Gefahrenzone der öffentlichen Wahrnehmung, in der sie sich behaupten müssen", sagt Rauch.

Nicht mehr als 20 "Begleiter" pro Jahr

Den Blick zurück mag Neo Rauch nicht zu sehr strapazieren. Sein Motto lautet: "Das Beste kommt noch. Das ist eine Erwartungshaltung an mich selbst, die nicht ungefährlich ist."

Er wird sich weiter auf die Malerei konzentrieren, in seinem Atelier in Leipzig, wo meist mehrere Leinwände nebeneinander stehen und wo er sich von einem Bildrand zum anderen vortastet. Nicht mehr als 20 Arbeiten, "Begleiter" wie er sie nennt, entlässt er pro Jahr in die Außenwelt und in nächster Zeit will er sich auch in einem anderen Fach der bildenden Kunst versuchen: "Die Lust auf Skulptur, die pulst in mir schon lange."

Ob die Arbeit mit Meißel oder Pinsel - Neo Rauch wird dazu eine CD aus seiner reichhaltigen Sammlung fischen. Seine Leidenschaft für Bild sowie Ton, hallt zu seinem 50. Geburtstag in besonderer Weise nach: Für die Mai Ausgabe des deutschsprachigen "Rolling Stone" hat der Leipziger zwei Titelblätter gestaltet und ausführlich darüber gesprochen, welche Musik bei ihm wie funktioniert.

Textfassung: Ruth Halle