Auf Cecilia Bartolis Spuren

"Lava" von Simone Kermes

Rothaarig, extrovertiert, virtuos: Auf ihrer neuesten CD mit dem Titel "Lava" singt Simone Kermes neun "Welt-Ersteinspielungen" italienischer Opernarien des frühen 18. Jahrhunderts, von Porpora bis Hasse.

Arie des Arbace aus der Oper "Artaserse" von Leonardo Vinci

"Fra cento affanni e cento"

Cecilia Bartoli hat mit barocken CD-"Themenalben" Pionierarbeit geleistet. Ob mit Musik von Vivaldi oder Salieri, ob mit "Musica proibita" aus der Zeit der römischen Theatersperre oder - aktuell - mit "Sacrificium": Ausgesuchte Programme mit jeder Menge Repertoire-Raritäten, dazu ein liebevoll gestaltetes Beiheft, das mitunter Buch-Format annehmen kann, das ist das von ihr entwickelte "Rezept".

Die Idee, aber auch den Programmaufbau haben zuletzt zwei Recitals aufgegriffen, die sich ebenfalls Musik des frühen 18.Jahrhunderts widmen, als neben Händel und Vivaldi der Kastraten-Starkult florierte und verziert-virtuose Musik hervorbrachte, die von den Ausführenden gesangstechnisch "sportliche" Höchstleistungen verlangte: Die "Carestini"-CD des französischen Countertenors Philippe Jaroussky, in dem ein Stimm- und Rollenportrait des Senesino-Nachfolgers und Farinelli-Zeitgenossen Giovanni Caristini gezeichnet wird, und die anspielungsreich "Lava" genannte Soloplatte der deutschen Sopranistin Simone Kermes, die allein neun "Welt-Ersteinspielungen" mit Opernarien von Komponisten der neapolitanischen Schule enthält.

Arie der Cleonice aus der Oper "Il Demetrio" von Leonardo Leo

"Manca sollecita piu dell'usato"

Neu gehobene Schätze der "neapolitanischen Schule"

Wenn Simone Kermes auftritt, weiß man, was einen erwartet: Die große, mächtige, schrill rothaarige deutsche Sopranistin inszeniert sich - extrovertiert, mit Körpereinsatz und Selbstironie - als Kunstfigur im Opernzirkus, und hat sich dabei ganz sicher von "la Bartoli" anregen lassen. "Lava" als CD-Titel: Das suggeriert glühende Intensität, verweist zugleich auf die (das Cover dominierende) Haarpracht von Simone Kermes, deutet aber auch an, dass die aufgenommene Musik von Komponisten stammt, die alle - zumindest eine Zeit lang - in Sichtweite des Vesuvs studiert, gelebt, gearbeitet haben.

Die "neapolitanische Schule" des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts hat so viele in Vergessenheit geratene musikalische Schätze hervorgebracht, dass ein Riccardo Muti, der sich ihr bei den jährlichen Salzburger Pfingstfestspielen widmet, noch für Jahrzehnte Material für immer neue Ausgrabungen hätte. Dank Cecilia Bartoli und Philippe Jaroussky, nun aber auch dank Simone Kermes können wir beispielsweise von Nicola Porpora, dem gebürtigen Neapolitaner, gesuchten Gesangspädagogen und Londoner Händel-Konkurrenten, endlich nicht nur lesen, sondern auch jede Menge Arien hören. Oder von Leonardo Leo und Leonardo Vinci: beide, wenn es um die Opera seria ging, Repräsentanten der metastasianischen Arien-Rezitativ-Arien-Rezitativ-Oper, beide in ganz Italien rastlos beschäftigt, den unersättlichen Hunger nach immer neuen und musikalisch immer spektakuläreren Bühnenwerken zu stillen.

Auch Johann Adolf Hasse, der in Italien als "il caro Sassone" große Opernkarriere machte, um danach den Dresdner Hof zu einem Zentrum der italienischen Oper auszubauen, ist im Opern- und Konzertalltag von heute entsetzlich unterrepräsentiert. Simone Kermes bringt erstmals wieder Arien aus Hasses "Viriate", "Antigono" und "Didone abbandonata" zum Klingen - schon das macht ihre "Lava"-CD reizvoll.

Effekte und Affekte, aggressiv und verhauchend

Und wie bringt sie sie zum Klingen? "À la Bartoli"! Ein Stück aggressiv zupackend, das andere verhauchend, wobei Simone Kermes in den schnellen Arien von wilder Entschlossenheit sein kann und sogar heftiges Keuchen als "musikalisches" Ausdrucksmittel einsetzt. (Wer überkritisch sein will, stellt fest, dass sie im Vergleich zum stimmartistischen Wahnwitz der Bartoli nicht ganz die Festigkeit und unbedingte Sicherheit der Intonation mitbringt.)

Der Schmiss, das Auskosten von Details, auch der gewollte Extremismus - von Nummer zu Nummer verfestigt sich der Eindruck, dass Simone Kermes in "Lava" ein Programm singt, das für Cecilia Bartoli zusammengestellt wurde. Und tatsächlich war, Pikanterie am Rande, Claudio Osele, der mit dem Ensemble "Le Musiche Nove" den Instrumentalpart bestreitet und noch das Letzte an Effekt und Affekten aus den einzelnen Musikstücken herauswringt, einmal der Lebensgefährte der Bartoli und zum Beispiel auch treibende Kraft hinter deren Vivaldi-CD-Projekt. Nun hat Osele für Simone Kermes die Musikstücke gesammelt, zusammengestellt, den kundigen Beihefttext geschrieben - wie ehemals für Cecilia Bartoli.

Service

Simone Kermes, "Lava", Sony Musik / deutsche harmonia mundi

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