Widerspruch zu UNO-Konvention
"Sonderschulen sind menschenrechtswidrig"
Das österreichische Bildungssystem sei menschenrechtswidrig und verletze die Grundrechte behinderter Menschen. Diese Kritik kommt vom "Monitoring-Ausschuss", der über die Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung wacht. Konkret kritisiert der Ausschuss
Sonderschulen für behinderte Kinder.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 29.04.2010
Boden für Vorurteile
"Getrennte Bildung legt den Grundstein für ein getrenntes Leben" - das ist der Kernpunkt der Kritik. In Österreich besucht rund die Hälfte aller Kinder mit besonderen Bedürfnissen, im Fachdeutsch "mit sonderpädagogischen Förderbedarf", eine Sonderschule. Sie werden also nicht gemeinsam mit ihren Altersgenossen unterrichtet, und das - so die Befürchtung - bereite schon früh den Boden für Vorurteile und Benachteiligungen.
Getrennte Bildung = schlechtere Bildung
Markus Wolf vom Österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverband: "Keine Inklusion in der Bildung bedeutet keine Inklusion in der Gesellschaft. Getrennte Bildung bedeutet getrennte Bildungsstandards mit meist schlechteren Ergebnissen für Personen mit Behinderungen Bildung ist ein Menschenrecht, es ermöglicht Selbstbestimmung, es ermöglicht die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben."
Unter Inklusion versteht man das selbstverständliche Zusammenleben aller Menschen, unabhängig von Faktoren wie ethnischer Herkunft, Religion oder Behinderung.
Begrenzte Entscheidungsfreiheit
Die rechtliche Lage sieht so aus, dass in Österreich Eltern entscheiden können, ob ihr behindertes Kind eine Regelschule oder eine Sonderschule besuchen soll. Eine Wahlmöglichkeit, die aber oft nur auf dem Papier bestehe, so Wolf. In der Praxis würden Eltern "sehr oft umgestimmt", Sonderschulen empfohlen.
Soziale Barrieren abbauen
Die Barrieren, die Menschen mit Behinderung an einem gleichberechtigten Miteinander hindern, bestehen nicht nur in Treppen, die Gehbehinderte aussperren, oder in mangelnden technischen Vorkehrungen für Seh- und Hörbehinderte, so Ursula Naue von der Universität Wien. Es gebe noch eine weitere Form von Barrieren, die mit den negativsten Auswirkungen, nämlich die sozialen Barrieren: Vorurteile, falsche Vorstellungen, die wiederum Ängste erzeugen. "Wenn die sozialen Barrieren abgebaut werden, sind auch die anderen Barrieren viel leichter abzubauen", so Naue. Und je früher man damit beginnt, etwa in der Schule, desto leichter lassen sich diese Barrieren überwinden.
Keine Geldfrage
Prinzipiell könne jedes Kind, egal wie schwer die Behinderung ist, auch außerhalb einer Sonderschule unterrichtet werden, sagt Marianne Schulze, Vorsitzende des Monitoring-Ausschusses. "Die Ressourcenfragen, die hier immer wieder vorgeschoben werden als Begründung dafür, dass es nicht geht, sind für einen Industriestaat wie Österreich menschenrechtlich nicht relevant."
Konsequenz: Abschaffung der Sonderschulen
Getrennte Schulen für behinderte Kinder widersprächen der Konvention, so Schulze, denn diese fordere eine gemeinsame Ausbildung behinderter und nicht-behinderter Kinder. "Daraus ergibt sich notwendigerweise die Abschaffung von Sonderschulen, weil diese eine Segregierung von Menschen mit Behinderung zur Folge hat, und das widerspricht der Konvention."
Ministerium sieht das anders
Das Unterrichtsministerium vertritt in Sachen Sonderschule eine gänzlich andere Meinung. Diese Sonderschulen seien kein Verstoß gegen die UN-Konvention. Sie hätten aufgrund der speziell ausgebildeten Lehrkräfte und der entsprechenden Ausstattung sehr wohl eine Daseinsberechtigung. Die Integration aller behinderten Kinder in Regelschulen sei allerdings mittelfristig vorstellbar, heißt es in einer Stellungnahme.