Protein schützt vor Gefäßverschluss

Die Raubwanze und die Blutgerinnung

Die Raubwanze Triatoma infestans ist in Mittel- und Südamerika beheimatet und lebt vom Blut anderer Säugetiere. Damit sie satt wird, beinhaltet ihr Darm ein Protein, das die Blutgerinnung verhindert. Dieses Protein schützt wirksam vor Schlaganfall und Herzinfarkt.

Dieses Protein scheidet die, zwischen zwei und drei Zentimetern große, Wanze aus, solange sie an ihrem Wirt saugt, um das Blut, von dem sie sich ernährt, flüssig zu halten.

Mittel gegen Zeckenbiss

Brasilianische Forscher begannen sich um die Jahrtausendwende für das Insekt zu interessieren. Sie wollten mit Hilfe der Raubwanze ein Mittel gegen Zeckenbisse entwickeln. Das gelang allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Viel interessanter fanden die Forscher das besagte Protein, das die Raubwanze besitzt, um sich vom Blut ihrer Wirtstiere ernähren zu können. Sie betrachteten es genauer, zerlegten es in seine vier Bestandteile und fanden erstaunliches heraus.

Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall

Der vierte Bestandteil des Proteins der Raubwanze schützt wirksam vor Schlaganfall und Herzinfarkt. Ein Marburger Pharmaunternehmen sicherte sich die Rechte an dem Protein, baute es im Labor nach und übergab die Substanz hernach an den Biologen und Mediziner Prof. Dr. Bernhard Nieswandt, der das Rudolf Virchow-Zentrum für experimentelle Medizin in Würzburg leitet. Um die Wirkmechanismen des Proteins aus der Raubwanze zu testen, wurde es an gentechnisch veränderte Mäuse verabreicht.

Jene Mäuse, die das Protein erhielten, waren - das sind die wesentlichen Ergebnisse der eben im Fachmagazin Circulation publizierten Studie - zu 100 Prozent vor Schlaganfall und Herzinfarkt geschützt, weil sich in ihrem Blut keine Gerinnsel mehr bilden konnten. Das allein wäre nun noch keine Sensation – das können bereits auf dem Markt befindliche Medikamente auch.

Gefahrvolle Blutverdünnung

Wer bereits einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten hat oder ein hohes Risiko trägt, eine der beiden Krankheiten zu erleiden, erhält solche Medikamente zur Blutverdünnung.

Bekannt ist etwa Heparin. Das Problem dabei ist: Die derzeit auf dem Markt befindlichen Arzneien zur Blutverdünnung weisen einen ganz wesentlichen Nachteil auf: Sie verlängern nämlich die Blutungszeit.

Das hat zwei Auswirkungen: Zum einen müssen die Patient/innen auch bei kleinsten Verletzungen darauf achten, die Blutung so schnell wie möglich zum Stillstand zu bringen. Zum anderen tragen gerade Patient/innen nach Schlaganfall ein nicht unerhebliches Risiko, aufgrund der blutverdünnenden Medikation eine tödliche Gehirnblutung zu erleiden. Patient/innen, die Blutverdünner erhalten, müssen deshalb sehr genau ärztlich überwacht werden.

Keine verlängerte Blutungszeit

Die von Bernhard Nieswandt zu Testzwecken mit dem Protein der Raubwanze versorgten Mäuse konnten nun nicht nur keine Thromben mehr entwickeln. Gleichzeitig stellte sich heraus, dass ihre Blutungszeit nicht verlängert war - und das ist die Sensation.

In diesem Zusammenhang spielt ein sogenannter Gerinnungsfaktor im Blut eine wesentliche Rolle. Er wird als Faktor XII bezeichnet und ist seit rund 60 Jahren bekannt. Bis vor kurzem allerdings spielte dieser Faktor in der Wissenschaft keine Rolle: "Wir dachten, Faktor XII hätte keine Funktion, wäre sozusagen ein 'Unfall der Evolution'", sagte Bernhard Nieswandt im Interview.

Das Wissenschaftlerteam um Bernhard Nieswandt begann sich vor rund fünf Jahren mit diesem Faktor zu beschäftigen. Was sie herausfanden war interessant: Schaltet man den Faktor XII aus, können keine Gerinnsel mehr entstehen. Seit damals wurde eine ganze Reihe von Medikamenten zur Blutverdünnung entwickelt, die sich diese Erkenntnis zunutze machen.

Medikament in zehn Jahren

Dennoch, das Problem mit der verlängerten Blutungszeit blieb. Die neuen Erkenntnisse zum Protein aus der Raubwanze Triatoma infestans könnten dieses Problem möglicherweise lösen.

Versuche in gentechnisch veränderten Mäusen und Ratten waren vielversprechend. Bis allerdings ein Medikament für Menschen auf den Markt kommt, wird es noch zwischen fünf und zehn Jahren dauern. Erst wird das Protein noch an Schweinen erprobt, weil deren Blutkreislauf große Ähnlichkeit mit jenem des Menschen aufweist. Erst, wenn auch diese Versuche erfolgreich sind, können erste Versuche am Menschen starten.

Lehrbücher umschreiben

Für den Biologen und Mediziner Bernhard Nieswandt bieten die neuen Forschungsergebnisse – abgesehen von einem möglichen neuen, mit weniger Risiken behafteten Medikament zur Blutverdünnung – aber noch ganz andere Implikationen.

"Bislang dachte man, die Gerinnselbildung und die Blutstillung beruhen auf den gleichen Mechanismen", erklärt der Würzburger Forscher. "Unsere Erkenntnisse deuten allerdings darauf hin, dass die Blutstillung die wir brauchen und die krankhafte Bildung von Blutgerinnseln auf zwei ganz verschiedenen Mechanismen beruhen."

Möglicherweise, so Nieswandt, müssen die Lehrbücher in diesem Bereich umgeschrieben werden.

Text: Sabine Fisch

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