Stück über NS-Morde an Zwangsarbeitern

Wiener Festwochen zeigen Jelineks "Rechnitz"

"Rechnitz (Der Würgeengel)" ist der Titel eines Elfriede-Jelinek-Stückes, das seit Samstag, 22. Mai 2010, bei den Wiener Festwochen zu sehen ist. Das Stück erinnert an das NS-Massaker im burgenländischen Rechnitz, wo 1945 rund 200 jüdische Zwangsarbeiter von SS-Männern umgebracht worden sind.

Mittagsjournal, 21.05.2010

Uraufgeführt wurde "Rechnitz" 2008 in den Münchner Kammerspielen in der Regie des Schweizer Regisseurs Jossi Wieler. Elfriede Jelinek hat die Aufführung dieses Stückes für Österreich verboten und nun für die Wiener Festwochen eine Ausnahme gemacht.

Schusswaffen an Partygäste verteilt

In der Nacht auf den Palmsonntag 1945 wurde auf dem Schloss der Gräfin Margit von Battyany im burgenländischen Rechnitz ein Fest gefeiert, an dem SS-Offiziere und andere Nazi-Größen teilnahmen. Im Laufe des Festes wurden an einige Partygäste Schusswaffen ausgeteilt und 180 jüdische Zwangsarbeiter, die in einer Scheune untergebracht waren, erschossen oder zu Tode geprügelt.

Weil man die Leichen nie gefunden hat und die Täter nie zur Verantwortung gezogen wurden ist der Fall Rechnitz unaufgeklärt geblieben. In Büchern, Filmen und Theaterstücken hat man versucht, sich dem Fall zu nähern. Elfriede Jelinek geht es in ihrem Stück aber nicht um das historische Ereignis, sagt der Schweizer Regisseur Jossi Wieler: "Es geht um das heutige Sprechen über Geschichte."

Überbringer des Schreckens

Das Sprechen übernehmen in Jossi Wielers Inszenierung fünf Botinnen und Boten - angelehnt an die griechische Tragödie werden sie zu Überbringern des Schreckens. Selbst sind sie eher komisch, wenn sie lächeln und winken, ständig Körperkontakt suchen, sich aus- und umziehen und unablässig essen.

In assoziativen Wortschwällen berichten die Boten widersprüchlich, launig und bruchstückhaft von dem Geschehen, benutzen Floskeln, Redewendungen und Schlagworte und schwadronieren vom Vergessen und Erinnern, von Tätern und Opfern, von Schuld und Sühne. "Die Sprache demaskiert sich selber, sie ist ein Dauergeschwätz. Damit will Jelinek ausdrücken, wie beliebig das Sprechen über den Holocaust ist", so Wieler.

Aufführung zunächst von Jelinek verboten

Dieser Text sei einer der identischsten und persönlichsten, den Jelinek je geschrieben hat, meint Jossi Wieler, der schon viele Jelinek Stücke zur Uraufführung gebracht hat. Vielleicht auch ein Grund, warum Jelinek die Aufführung in Österreich verboten hat, dazu die Schauspielchefin der Wiener Festwochen Stefanie Carp: "Sie hat mir erklärt, dass sie Angst hat vor den Reaktionen in ihrem eigenen Land - dass sie so schreckliche E-Mails und Briefe bekommen hätte und ich mir nicht vorstellen könne, welche Mistkübel über ihr ausgeleert worden seien, dass sie sich das nicht mehr antun wollte."

Dass Jelinek die Aufführung nun doch für die Wiener Festwochen freigegeben hat, ist sicherlich Jossi Wielers hochgelobter Inszenierung zu verdanken - ein Gewinn für alle. Wer sich davon überzeugen will, kann das im Theater Akzent tun.

Service

Der ORF überträgt die Aufführung am Montag, 31. Mai 2010, im Rahmen eines kultur.montag spezial zum Thema Rechnitz ab 22:30 Uhr. ORF 2.

Mehr dazu in tv.ORF.at

Wiener Festwochen 2010, 14. Mai bis 20. Juni 2010, mehrere Veranstaltungsorte in Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen auf ausgewählte Veranstaltungen ermäßigten Eintritt (zehn Prozent).

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