Postkommunistische Nostalgie in Südosteuropa

Glanzlose Zeiten im goldenen Schein

Auf die Aufbruchsstimmung nach 1989 folgte in vielen bis dahin kommunistisch regierten Ländern Ost- und Südosteuropas nach Jahren der Transition Ernüchterung. Die Kluft zwischen der armen Mehrheitsbevölkerung und den immer reicher werdenden Eliten wächst. Selbst in Slowenien - dem Musterschüler unter den neuen EU-Mitgliedsländern - ist "Titostalgie" gang und gäbe.

In Deutschland erfreuen sich Produkte aus DDR-Zeiten höchster Beliebtheitsgrade. In Polen erinnert sich Umfragen zufolge der Großteil der Mittelschicht gerne und positiv an die Zeit unter kommunistischer Herrschaft. In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens pilgern jedes Jahr tausende Menschen zu Titos Mausoleum in Belgrad. Und in Rumänien hängen Arbeiter Porträts von Ceausescu zurück an die Wände der Fabrikshallen.

Nostalgisches Drittel

Die Postkommunistische Nostalgie, mitunter auch als "Rote Nostalgie" bezeichnet, hat eine Umfrage des Budapester Instituts für Sozialstudien im Jahr 2005 in Zahlen gegossen. Erhoben wurde, wie hoch innerhalb der Bevölkerung der Prozentsatz jener ist, die Sympathien für das "alte Regime" hegen. Einige Ergebnisse: In Bulgarien sind es 38 Prozent, in Russland 36 und 31 Prozent sind es in der Slowakei.

Real existierende Verluste

"Den Menschen geht es nicht um eine Rückkehr in kommunistische Zeiten. Es geht vielmehr darum, sich daran zu erinnern, was in den Zeiten der Transition verloren gegangen ist", sagt dazu die bulgarische Historikerin und Philosophin Maria Todorova von der University of Illinois in den USA. Sie hat vor etwa zehn Jahren als eine der ersten Forscherinnen damit begonnen, sich mit der postkommunistischen Nostalgie zu beschäftigen und hat kürzlich zwei englischsprachige Sammelbände zu diesem Thema veröffentlicht: "Das Phänomen der postkommunistischen Nostalgie hat viele höchst unterschiedliche Facetten: Das geht von einigen wenigen ideologisch verblendeten Hard-Core-Kommunisten, hin zu jenen Menschen, die der Solidarität von einst nachhängen", so Maria Todorova.

Es gibt äußerst viel wissenschaftliche Literatur zum Thema "Nostalgie". Maria Todorova: "Mit der Zeit hat man sich aber von der Medizinalisierung des Begriffs entfernt. Heute überwiegen philosophische und literaturwissenschaftliche Zugänge. Ein weiteres Augenmerk liegt auf der Kommerzialisierung der postkommunistischen Nostalgie - ein Phänomen, das sich quasi überall beobachten lässt." So auch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

Tito-Stalgie in Ex-Jugoslawien

Der slowenische Soziologe Mitja Velikonja hat unzählige Beispiele dafür zusammengetragen. Ein Auszug seiner Funde zwischen dem slowenischen Ljubljana und dem makedonischen Skopje: In Antiquariaten stieß Velikonja auf: Tito-Büsten, Tito-Briefmarken und Auszeichnungen, die in seinem Namen verliehen worden sind. Auch unzählige Porträts Titos - in Zeiten Jugoslawiens waren diese überall gang und gäbe - haben bis heute überlebt. Mitja Velikonja fand sie unter anderem an den Wänden von alten Konditoreien, Autowerkstätten, Fabrikshallen, sowie Privatwohnungen. Zu den Relikten aus der Zeit Jugoslawiens kommen neu produzierte Verkaufshits: Tito-Feuerzeuge, Tito-Kalender, Tito-Wein, Tito-Schnaps, Tito-Schlüsselanhänger, Tito-Socken, Tito-Anstecknadeln und und und. In Cafés werden zu Espresso, Cappuccino und türkischem Kaffee kleine Zuckerbeutel serviert, bedruckt mit dem Porträt Titos und seinen Zitaten. Im Jahr 2004 schenkte der montenegrinische Präsident seinem libyschen Amtskollegen eine Uniform Titos, worüber sich Muammar al-Gaddafi sehr zu freuen schien.

Auf Straßenmärkten, wie auch in regulären Bekleidungsgeschäften, geht es ebenso skurril zu: Dort werden T-Shirts mit Titos Abbild verkauft. Darunter die Aufschrift: Tito. Gesucht wegen schwerer Verbrechen: Weil er 50 Jahre lang Krieg, Hunger, Armut und Chauvinismus verhindert hat, weil er für Arbeiter Fabriken und Wohnungen bauen ließ und ihnen regelmäßigen Lohn, sowie eine solide Pension garantiert hat, und weil er allen das Recht auf kostenlose Schulbildung und medizinische Versorgung zugesprochen hat.

Wunsch nach Relevanz und Anerkennung

Postkommunistische Nostalgie enthält implizit auch den Wunsch, wieder von Bedeutung zu sein und als bedeutend anerkannt zu werden, urteilt Maria Todorova. Sie nennt als Beispiel Polen: "Polen galt für mich lange Zeit als Paradebeispiel für ein in vielerlei Hinsicht antikommunistisches Land. Man denke an die Solidarność-Bewegung. Überraschenderweise ist man aber auch in Polen ziemlich nostalgisch. Diese Nostalgie lässt sich als Kritik an dem Statusverlust, von dem die Bevölkerung betroffen war, lesen. Denn nach 1989 bestimmte plötzlich der ökonomische den sozialen Status. Diese Tatsache destabilisierte in Folge die bis dahin gehobene soziale Position von sehr vielen Leuten. Früher hatten alle gleichwenig, später alle unterschiedlich viel. Das missfällt den Leuten. Wie auch, dass sie das Gefühl haben, dass ihre Arbeit nicht mehr wertgeschätzt wird. Das ist etwa in Bulgarien der Fall. Ein Kollege von mir, er ist Anthropologe, erforscht seit der Zeit des Kommunismus bis heute den Einstellungswandel innerhalb der Agrar-Bevölkerung. Was diesen Menschen am stärksten missfällt, ist, dass im Bezug auf sie auf einmal von Bauern die Rede ist, während sie früher "Agrar-Arbeiter" waren.

Und welche anderen Gründe für postkommunistische Nostalgie gibt es? Die Antwort findet sich ausgerechnet in Slowenien, das nach wie vor als Musterschüler unter den neuen EU-Ländern gilt, und in dem soziale und ökonomische Sicherheit keine Utopie sind. Dennoch sind es von allen Nationen, die das ehemalige Jugoslawien bevölkert haben, ausgerechnet die Slowenen, die am öftesten Titos Mausoleum in Belgrad besuchen. "In Slowenien ging die Transition sehr schnell, intensiv und dynamisch von statten. Interessant finde ich etwa, dass die postjugoslawische Nostalgie unter jungen Menschen besonders stark verbreitet ist, obwohl sie Jugoslawien gar nicht mehr richtig kennen gelernt haben. Bei ihnen ist diese positive Interpretation Jugoslawiens eine Art Widerstand gegen neoliberale Werte, die ihnen von der Eltern-Generation vermittelt werden - etwa das Streben nach Geld und Erfolg", sagt die Linguistin und Anthropologin Tanja Petrović vom Zentrum für interdisziplinäre Studien der Slowenischen Akademie der Wissenschaften.

"Als wir ein Teil Europas waren"

In ihren Forschungsarbeiten hat sich Tanja Petrović unter anderem ausführlich mit den Gründen für Jugo-Nostalgie unter Fabriksarbeitern in Serbien auseinandergesetzt, und einen Teil davon in dem kürzlich von Maria Todorova herausgegebenen Sammelband mit dem Titel "Post-Communist Nostalgia" publiziert.

Die von Petrović untersuchte Kabel-Fabrik in Jagodina in Zentralserbien beschäftigte Mitte der 1980er Jahre trotz der bereits damals prekären wirtschaftlichen Lage 9500 Arbeiter und Arbeiterinnen. Heute sind es nur noch 3700. Doch anders als in den 1980er Jahren könnte man die Kabelfabrik heute für eine Industrieruine halten - denn in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten konnte kaum in deren Instandhaltung investiert werden. Das heruntergekommene Fabriksgelände verstärkt und formt die jugonostalgischen Gefühle jener, die dort täglich ein- und ausgehen, so Tanja Petrovic.

Sie hat mit vielen Beschäftigten Interviews geführt. Eine Antwort eines von ihr befragten Arbeiters hält Petrovic für besonders aussagekräftig. Die Aussage nämlich, dass man zu Zeiten Jugoslawiens ein Teil Europas gewesen sei: "Das vereinte Europa unterscheidet zwischen passender und unpassender Erinnerung. Die sozialistische bzw. kommunistische Vergangenheit ist ein Beispiel für etwas, woran von offiziellen Stellen oft ungern erinnert wird, bzw. nur im negativen Sinn. Der Sozialismus bzw. Kommunismus wird als uneuropäisch verteufelt, als etwas, wofür es sich zu schämen gilt. Indem aber diese Arbeiter felsenfest behaupten, dass zu Zeiten Jugoslawiens die Menschen viel humaner behandelt worden sind, als sie es heute werden, und dass der Lebensstandard einst ein viel besserer gewesen ist, stellen sie sich dieser Erinnerungskultur entgegen", so Petrovic, die beobachtet, dass die Menschen verstärkt dafür eintreten, ein Recht auf ihre eigene Erinnerung zu haben.

Service

University of Illinois - Maria Todorova
Slowenische Akademie der Wissenschaften - Tanja Petrović,
Mirovni Institut - Titostalgia. A Study of Nostalgia for Josip Broz (das gesamte Buch in englischer Sprache, PDF)

Maria Todorova, Zsuzsa Gille (Hg.),"Post-Communist Nostalgia", Berghahn Books, ISBN 9781845456719