Forum Alpbach: "Entwurf und Wirklichkeit"

"Die Kluft wird immer größer"

Heute startet zum 66. Mal das Europäische Forum Alpbach. Der allsommerliche Kongress in den Tiroler Bergen ist ein Forum für Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und steht heuer unter dem Motto "Entwurf und Wirklichkeit". Das soll die immer raschere Veränderung in der Gesellschaft veranschaulichen, sagt Forums-Präsident Erhard Busek im Ö1-Interview.

Mittagsjournal, 19.08.2010

Divergenz im Pensionssystem

"Entwurf und Wirklichkeit" - das schwebt als Motto über den diversen Veranstaltungsblöcken beim „Europäischen Forum Alpbach". Wo Entwurf und Wirklichkeit auseinanderklaffen, wird für höchst unterschiedliche Themen erörtert - sei es der Arbeitsmarkt, sei es inwieweit Medizin tatsächlich schon maßgeschneidert ist, seien es Visionen für Europa, sei es die Eurozone. Heruntergebrochen auf Lebensentwürfe des einzelnen: Wie sehr driften Entwurf und Wirklichkeit beispielsweise in den persönlichen Pensionsplanungen auseinander? Den Zeitpunkt, die Höhe der staatlichen Gelder, etc.? Dazu Erhard Busek, Präsident des Europäischen Forum Alpbach: "Diese Kluft wird immer größer. Das kommt daher, dass einerseits v.a. die Politik hier die Tendenz hat zu versprechen, dass die Systeme ohnehin funktionieren. Also wie ich angesichts meines gehobenen Alters mich erinnern kann, wie oft schon eine jeweilige Pensionsreform als jetzt die `letzte` und `jetzt hält das System` verkauft wurde - daraus können Sie die ganze Divergenz dieser Situation entnehmen."

Beispiel Zuwanderung

"Entwurf und Wirklichkeit" als Motto für zig Vorträge und Workshops der nächsten zweieinhalb Wochen solle die permanente Veränderung in der Gesellschaft veranschaulichen, so Busek, und dass die Zyklen der Veränderung immer kürzer werden. Gefragt danach, wo sich aus seiner Sicht die Kluft zwischen Entwurf und Wirklichkeit in Politik und Wirtschaft auftue, nennt der ehemalige ÖVP-Vizekanzler ein Beispiel: "Die ganze Divergenz merken Sie an der Frage der Immigration und Integration: Das ist eine Wirklichkeit, wo die Entwürfe die längste Zeit fehlen und auch heute nicht existieren. Die 100.000, die wir brauchen, ist eine schöne Zahl, hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Erstens werden wir mit Sicherheit mehr brauchen, und das zweite ist: es existieren überhaupt keine Systeme und wir wissen das die längste Zeit schon und es gab nicht die entsprechenden Reaktionen darauf."

Versäumnisse der Politik

Busek hat im Frühjahr ein Buch herausgegeben mit dem Titel "Was haben wir falsch gemacht?". Die Politik habe verabsäumt, Dinge zu gestalten als die Zeit dafür war. Jetzt sei Zeit für eine Unmenge an Dingen, meint Busek: "Zum einen leben wir in einer globalen Dimension - wo sind die globalen Steuerungsinstrumente der Politik? Wir leben in einer europäischen Dimension - wir ziehen gerade aus dem gemeinsamen Europa aus; eine Tendenz, die in allen Mitgliedstaaten der europäischen Union zu verzeichnen ist. Wir haben die starke Divergenz zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Anpassung: Unsere Gesetzgebung entspricht auch längst nicht mehr den Möglichkeiten, die die Wissenschaft selber einräumt; das hinkt einfach hinten nach."

Themen genug, die von heute an bis vierten September beim Europäischen Forum Alpbach referiert und diskutiert werden. Aus 58 Staaten haben sich 4.500 Interessierte dazu angemeldet - mehr als je zuvor.

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