Von Milos Wächter

ausbrechen, Kapitel 5-7

5.
Die beiden waren zufrieden, als sie sich mit ihren Rucksäcken von der Klippe entfernten. Sie spazierten die Küste entlang und hielten nach einem guten Plätzchen für ihr Zelt Ausschau. Alex bestand auf einen verstecken Ort – das letzte, was sie jetzt brauchten, war wegen Wildcampings auf einer Polizeistation zu landen und so den entscheidenden Moment auf der Klippe zu verpassen.

Aber die Landschaft war hier recht karg, kein Wald in Sicht, nur vereinzelte Bäume in der Ferne. Sie gingen die "Baie des Trépassés", einen kaum besuchten Sandstrand, entlang, dann führte ihr Weg wieder aufwärts, zur nächsten, diesmal menschleeren Landzunge, dem südlichen Teil der Pointe du Van. Sie war weniger spektakulär als ihre Nachbarin, das hohe wilde Gras und die kleine Kirche ließen sie geradezu harmlos erscheinen. Der kleine Besucherparkplatz war leer. Hier waren die Büsche mit den gelben Blüten so hoch, dass Alex sich von Valerie überreden ließ, das Zelt hinter einem besonders üppigen, mannshohen Strauch aufzubauen. Sie wollten aber erst bei Dämmerung damit beginnen und einigten sich darauf, hier ihre Rucksäcke zu verstecken und mit dem Nötigsten zum Strand in der Bucht zwischen den beiden Landzungen zurückzumarschieren.

Dort verbrachten sie einen sehr entspannten Nachmittag. Sie legten Bikini und Badehose an und genossen das Picknick à la francaise aus dem Supermarkt von Douarnenez, dem letzten Ort, den sie vor der Pointe besichtigt hatten. Dann legten sie sich auf den Rücken, ließen sich vom sanften Rauschen der Wellen jegliches Gefühl für Zeit und Raum nehmen und dösten friedlich dahin.

Genau jetzt..., dachte Alex, während er sich über den gefüllten Bauch streichelte. Genau jetzt sollte die Zeit stehen bleiben. Ein großartiges Mädchen neben mir, köstlichstes Essen im Magen, Wellenrauschen im Hintergrund. Wie geil das Leben doch sein kann. Und wie beschissen es all die Jahre war. Das ist zu paradiesisch um wahr zu sein. Fast will ich gar nicht mehr die Augen öffnen, aus Angst, alles könnte nur ein Traum gewesen sein. Will einfach nur hier liegen, den Geschmack von Foie Gras im Mund, Ozeangeruch in meinen Nasenlöchern, und die Gewissheit, dass diese absolute Traumfrau neben mir liegt und jederzeit ihren geilen Körper auf mich wälzen könnte, sich jederzeit in meinem Schwanz verbeißen oder mir die Titten in den Mund stopfen könnte... Meine Güte, Valerie ist einfach der Hit... Ich kann mich kaum zurückhalten, will mich in ihren geilen Körper verkrallen, will sie packen, will sie überall spüren, in ihr sein, sie ausfüllen, sie voll pumpen mit meinem Sperma... Er verbohrte spontan die Hand im Sand und spannte erregt die Kiefermuskulatur an. In seiner Badehose zuckte es. Das ist es. Das ist der ideale Moment... Jetzt nicht bewegen... Nicht bewegen... Luft anhalten... Freeeeeeeeze...

6.

32. Eintrag

Gestern hat Valerie wieder auf den Klavierunterricht gepfiffen, sie wird immer lockerer! Habe mich in ihr getäuscht, über ihren ersten Fleck hat sie sich sogar gefreut! Na, dann wird es wohl nicht der letzte gewesen sein, hehe.
Heute war sie wieder bei mir. Diesmal war es wilder. Sie hat mir den Gürtel ausgezogen, ihn wie eine Würgeleine um meinen Hals gebunden und mich wie einen Hund durchs Zimmer gezerrt. Ich war ihr Sklave. Es war wunderbar. Sie hat mir sogar eine kräftige Wunde in die Vorhaut gebissen, genau in dem Moment, als ich ihr in den Mund gespritzt habe!

Habe heute ein Internetforum entdeckt, wo sich Jugendliche treffen, die sich umbringen wollen. Wahnsinn, dass das noch gar nicht zensiert wurde! Was die schreiben, klingt teilweise gar nicht so blöd. Natürlich sind einige Vollmongos dabei, die sich umbringen wollen, weil sich irgendeine Scheiß Boyband aufgelöst hat, oder weil der Freund Schluss gemacht hat, oder weil sie fette, hässliche Loser sind und so weiter. Aber es gibt auch welche, die schreiben Sachen, die könnten von mir sein. In etwa einem Monat wollen sie sich treffen, wo, wird übermorgen entschieden, per Internetvoting. Auf jeden Fall wird in den Tod gesprungen, das haben sie schon bei einem früheren Voting beschlossen. Echt heftig, so kühl berechnend, so rational, und so seltsam demokratisch an das heranzugehen! Zur Auswahl stehen ein Berliner Büroturm, eine Felsklippe an der Atlantikküste in der Bretagne, der Eiffelturm, der Aussichtsturm vom Olympiastadion Helsinki, irgendeine Alpenklippe bei einem Schweizer Klettersteig, kollektives Fallschirmspringen bei München (natürlich ohne den Schirm zu öffnen), ein Frankfurter Wolkenkratzer und noch ein paar andere. Ich fände die bretonische Klippe am schönsten. Hab schon danach gegoogelt, es ist mit Abstand das würdigste Plätzchen für einen gepflegten Suizid: fast etwas für einen romantischen Urlaub zu zweit für Valerie und mich. Bin sicher, das wäre ganz nach unserem Geschmack!

7.

Valerie wachte als erste wieder auf. Der Wind war stärker geworden, obwohl die Bucht im Schutz der umliegenden Felsklippen lag, also zog sie sich ihr T-Shirt wieder an. Alex schnarchte leise neben ihr.

Wie friedlich er aussieht, wenn er schläft, der kleine Perversling. Süß.

Sie spazierte ein wenig am Strand auf und ab. Das Gefühl der Sandkörner zwischen ihren bloßen Zehen war angenehm, es fühlte sich nach Ferien, nach den normalerweise so seltenen Momenten des Nichtstuns an. Sie watete ein wenig im Wasser umher und hatte ihre kleine Freunde daran, wie ihre Füße immer wieder in den sanften Wellen verschwanden; schloss die Augen und stellte sich vor, von der Ozeanbrise sanft gestreichelt zu werden. Immer wieder fuhr ihr der Winde durch die Haare, wirbelte sie in alle Richtungen, kroch ihr unter das T-Shirt und ließ ihre Brustwarzen hart werden. Das Meer war noch zu kalt zum Schwimmen, Valerie schätzte es auf 14 Grad.

Jetzt ist es also so weit. Wir sind am Ziel angelangt. Ohne Probleme. Keine Polizei, keine Eltern. Alles läuft nach Plan. Alles läuft wie wir es wollten.
Sie atmete tief durch und streckte sich.

Ob das morgen wirklich so wird, wie wir uns das vorstellen? Der krönende Höhepunkt unserer Reise?

Sie hob die Hand über die Augen und blinzelte zur Klippe hinüber, stellte sich vor, wie eine Horde Jugendlicher wie Lemminge in die Fluten stürzte. Dann stocherte sie unschlüssig mit den Zehenspitzen im Sand herum, bis sie eine lange, dünne, messerartige Muschelhälfte fand.

Wie die wohl im lebendigen Zustand aussehen?

Sie fuhr mit der scharfen Seite über ihre Wange, als sei es ein Rasiermesser, legte dann den Kopf in den Nacken und strich sich über den Hals, als spielte sie mit der Idee, sich die Schlagader aufschlitzen, dann schlich sie zum schlafenden Alex.

So friedlich... Kaum zu glauben, was für ein verstörter Typ er eigentlich ist.

Sie dachte an ihre ersten heimlichen Treffen in der Schule, ans erste gewaltsame Aufeinanderprallen mit Alex. Ihr Gesichtsausdruck bekam etwas Trauriges.

Wir sind beide völlig krank. Rein objektiv gesehen. Oder? Ach, was weiß ich... Wie Alex sagt: "Was ist schon normal?" Ich mache mir zu viel Gedanken. Was soll dieses Melancholische, kurz vorm großen Tag? Wichtig ist doch nur, wie wir uns fühlen. Auf alles andere kann doch wohl wirklich getrost... geschissen werden!

Valerie betrachtete die Kratzspuren und Hemmatome auf Alex' Körper – alles Wunden, die sie ihm in den letzten Wochen zugefügt hatte – und fühlte sich wieder bestärkt.

Keine Sorgen mehr, Schluss damit. Einfach nur fühlen! Einfach nur tun, worauf man Lust hat! Mein kleiner Alex, worauf hast du dich nur eingelassen? Ich werde dich noch umbringen, wenn das so weitergeht mit uns!

Sie grinste plötzlich, beugte sich zu ihm hinunter und schnupperte an seinem Hals.

So schutzlos, Alex, so harmlos liegst du hier am Strand... Kleiner, geiler Alex mit deiner zarten, geilen Knabenhaut, mit deinen feinen Härchen auf der Brust. Ich will sie dir aufschneiden, deine Brust, will dir ein Skalpell in den Körper drücken und dich am Brustbein entlang aufschneiden, bei lebendigem Leib! Ja, das würde dir gefallen, du versauter Kerl...

Sie streifte ganz vorsichtig mit der Muschelschale über seinen Oberkörper; schluckte den Speichel hinunter, der ihr im Mund zusammengeflossen war.

Oder vielleicht trenne ich dir doch lieber deinen entzückenden Brustmuskel heraus, hm? Der sieht so zart und saftig aus. Den würde ich gerne anbraten, nur ganz kurz, dass das Fleisch innen noch blutig ist...

Ein Windstoß kam auf und wirbelte um Valeries nackte Beine. Sie bekam eine Gänsehaut auf den Oberschenkeln.

Alex, Alex... ich werde dich vernaschen, Alex... Du bist so wunderbar verloren, seit du mich liebst, bist mir so schön ausgeliefert, bist so bezaubernd abhängig von deiner Valerie, nicht wahr? Was machst du, wenn du aufwachst, und ich bin weg, zurück auf dem Weg nach Hause? Du hättest nicht mal die Kraft auf die Klippe zu steigen, um dein Leben zu beenden, könntest nur hoffen dass die nächste Flut bis hierher reicht, um deinen antriebslosen Körper davonzutragen.

Sie roch an Alex' Brustwarze, an seinem Bauchnabel, an seiner Badehose – nur wenige Millimeter über seinem Körper fuhr sie mit der Nase auf und ab, konzentrierte sich auf die unterschiedlichen Nuancen seines Körpergeruchs – und wurde immer gieriger.

Wie du riechst, wie du herrlich riechst, bist so appetitlich, so ein köstliches Stück Fleisch, das hier wie auf dem Präsentierteller in der Sonne liegt und verschwenderisch duftet, wie... eine prächtige Blume, und ich bin das Insekt, das du mit deinem Duft betörst, das du ganz irre machst mit deinem Pheromon... Aber Alex, ohne mich, Alex, was wäre das nur ohne mich? Du würdest langsam in der Sonne verwelken, oder? Mein kleiner, geiler Alex. Wenn ich jetzt deinen Schwanz in den Mund nehme, hättest du die Kraft mich stundenlang zu ficken, nicht wahr? Ich gebe dir Lebenskraft, du Fickerchen! Mein Fickerchen!

Jetzt lag sie fast schon auf ihm, nur wenige Millimeter waren zwischen ihren Körpern. Valeries Haut schien zu vibrieren – alles kribbelte vor Erregung: Schenkel, Bauch, Brustwarzen... Sie war Alex so wunderbar nah – und doch berührten sie sich nicht. Ihr Blick fiel auf die Blutkruste auf seiner Unterlippe.

Frische Wunden ziehen Haie an, Alex...

Lange würde sie sich nicht mehr halten können, ihre Arme begannen zu zittern. Sie hob mit letzter Kraft das Muschelskalpell, führte es an die Lippe ihres Geliebten und schnitt ihm entschlossen den Mundwinkel ein. Alex schrak hoch und ballte kampfbereit die Fäuste, gleichzeitig ließ sich Valerie auf ihn fallen, klemmte seinen Oberschenkel zwischen ihre Beine und begann, wild ihren Körper an seinem zu reiben. "Du geile Sau!", flüsterte sie ihm ins Ohr und riss an seinen Haaren. Noch bevor er verstand, was passiert war, fuhr sie ihm auch schon in die Badehose und umschloss fest seinen steifen Penis. Sie suhlten sich im Sand, beschimpften sich als "Hure" und "Scheißhaus" und störten mit ihrem wilden Treiben so manchen Familienausflug.

Am Abend stellten sie wie geplant ihr Zelt auf und verzehrten den Rest ihrer Jause, tranken einen hervorragenden halbsüßen Weißwein dazu – einen Jurancon (nicht dass sie je davon gehört hätten, Hauptsache er schmeckte) – und schmiegten sich aneinander. In dieser Nacht waren sie ungewohnt zärtlich zueinander, als hätte das bevorstehende Ereignis etwas Befriedendes, Besinnliches an sich.