Daniel Glattauer über seinen Neffen

Theo

Nach den beiden E-Mail-Liebesromanen "Gut gegen Nordwind" und "Alle sieben Wellen" versetzt sich Daniel Glattauer nun in die Seele seines Neffen Theo und lässt die Leser teilhaben an den Qualen und Ekstasen des Lebens. "Theo" dominiert bereits die Bestseller-Listen.

Ein junger Star

Daniel Glattauer - wiewohl seit Menschengedenken in festen Händen - hat keine Kinder. Er hat aber einen Neffen: Theo. Über die erste Begegnung mit ihm schreibt er:

Als ich Theo kennenlernte, war er ein außergewöhnlich kleiner Mensch. Er lag im Brutkasten, maß 47,5 Zentimeter Länge und behauptete 2570 Gramm Körpergewicht. Neugeborener ging es nicht. Er war seiner geplanten Gegenwärtigkeit im Lichte der Welt stolze dreißig Tage voraus. (Ein Vorsprung, den er bis heute nicht eingebüßt hat.)

"Ich habe Theo in einer Ausnahmesituation kennengelernt: Er lag in einer Neugeborenenstation im Brutkasten", erzählt Daniel Glattauer. "Er war ungefähr das kleinste menschliche Lebewesen, das man sich vorstellen konnte. Dort habe ich ihn das erste Mal gesehen, und da kam mir eine Idee."

Die Idee bestand in dem Vorhaben, das Wachsen und Werden des eben Geborenen publizistisch zu begleiten. Das war 1994, und Daniel Glattauer war damals noch Gerichtsreporter und Kolumnist der Tageszeitung "Der Standard". Einmal jährlich, immer zu Weihnachten, schrieb er ein amüsantes, einfühlsames, witziges Porträt des kleinen Theo für die Wochenendbeilage. Das Leser-Echo war überwältigend, Theo wurde zum Star - zumindest in bescheidenem Rahmen. Die charmanten Theo-Porträts der 1990er und 2000er Jahre bilden das Rückgrat des jetzigen Buches.

Theo versus Oskara

Dass Theo Theo heißt, ist der minutiösen Namensforschung seiner Eltern zu verdanken, wie im Roman nachzulesen ist:

Der Name verdankt sich der Fachliteratur: "800 Vornamen von A bis Z". Wäre Theo ein Mädchen geworden, so hätte er wahrscheinlich Oskara geheißen. Vielleicht wurde er deshalb ein Bub.

Theo wuchs in Mauerbach auf, einer beschaulichen Dreieinhalbtausend-Einwohner-Gemeinde im Wienerwald. Daniel Glattauer beschreibt die Kümmernisse und Ekstasen einer exemplarischen Mittelschicht-Kindheit auf kurzweilige und unnachahmlich charmante Weise.

Eine ganz normale Geschichte

"Ich glaube, dass diese Porträts eine bunte Mischung aus den Interessen vieler kleiner Kinder sind. Theo war einerseits einmalig, auf der anderen Seite sind seine Hobbies ganz typisch: Er hat Meerschweinchen gehabt, mit Oma und Opa ausgedehnte Urlaube an italienischen Stränden verbracht - das hat immer tolle Geschichten ergeben", erzählt der Autor. "Auch seine Vorstellung von Weihnachten - als er nicht länger an die Existenz des Christkinds glaubte - war ein hochinteressantes Thema. Diese ganz, ganz normalen Geschichten haben sich kontinuierlich durch Theos Kindheit gezogen."

Da ist zum Beispiel die Geschichte mit der Windel. Theo ist eineinhalb oder zwei, als eine flauschige Stoffwindel in seinem Leben eine zentrale Rolle zu spielen beginnt.

Theo hat keine Angst vor der Finsternis. Er ist ja nicht allein. Er hat seine weiße Stoffwindel, eine psychologische Lebensstütze, die auch tagsüber immer in seiner Nähe sein muss. Schon beim leisesten Anflug von Unsicherheit verlangt Theo nach ihr. In der Nacht drückt er sie ganz fest an sich. Gemeinsam sind sie unbezwingbar.

Am Fußballfeld ein Verlierer

Später - Theo geht bereits zur Schule - beginnt sich der Windeldrücker von einst intensiv für den Fußballsport zu interessieren. Zu dieser Zeit startet er auch seine Karriere als aktiver Kicker in der U8-Mannschaft des SC Mauerbach. Sein Onkel erzählt von damals: "Sein Fußballinteresse war sehr groß, und beim SC Mauerbach hat er von klein auf die Welten des Siegens und Verlierens - vor allem des Verlierens - kennengelernt. Das war natürlich ein wichtiges Thema für ihn."

Die Ergebnisse der ersten Spiele entsprachen voll der Erwartung des Trainers. Der sagte gleich am Anfang: "Kinder, wir sind eine junge, unroutinierte Mannschaft, wir werden eine Zeitlang alles verlieren, stellt euch darauf ein." Diese Taktik ging voll auf. Mauerbach gegen Königstetten - 1:8. Mauerbach gegen Langenrohr - 1:6. Mauerbach gegen Tulbing - 0:5. Und so weiter. "Es ist wichtig, dass Theo auch das Verlieren lernt", sagt seine Mama. Weiß sie überhaupt, was sie da sagt? Theo, wie geschaffen für den Sieg, wirft ihr einen abgrundtief verächtlichen Blick zu.

In der Schule ein Gewinner

Auf schulischem Terrain hat Theo keinerlei Probleme. Er ist ein echter "Vifzack", wie man sagt, ein "Blitzgneisser". In seiner inzwischen zehnjährigen Schullaufbahn hat Daniel Glattauers Neffe so gut wie ausschließlich Einser und Zweier geschrieben - ohne ein Streber zu sein, wohlgemerkt. Als Theo zwölf ist, notiert sein Onkel über ihn:

Absolut keine Probleme hat Theo im Umgang mit Mädchen. Oder anders: Er hat absolut keinen Umgang mit ihnen. Er kennt sie fast nur vom Hörensagen. Und einige sitzen bei ihm in der Klasse ... "Was stört dich so an den Mädchen?" frage ich. - Gar nichts stört ihn, die haben einfach andere Interessen. "Die interessieren sich nur für Pferde, Reiten und Tierschutz", stellt er fest.

"Theos Verhältnis zu Mädchen: Das ist ein bis zum Schluss unaufgearbeitetes Gebiet", erzählt der Onkel. "Er wollte einfach nicht von Mädchen sprechen. Vermutlich hat er bemerkt, dass die Erwachsenen um ihn dieses Thema als etwas Wichtiges ansehen, und er hat gespürt: Mädchen sind Mädchen, aber er spielt eigentlich lieber mit Buben, die sind ihm angenehmer, die nerven ihn nicht so. Es hat auch Phasen gegeben, in denen er mit Mädchen absolut nichts zu tun haben wollte. Ich habe ihn immer wieder gefragt:' Theo was machen die Mädchen?' Das war eine meiner Standardfragen. Er hat darauf geantwortet: 'Da musst du die Mädchen fragen.'"

Das Ende der Geschichte

Daniel Glattauers "Theo-Saga" ist eine kurzweilige Lektüre. Der Sprachwitz des Autors, sein Wienerischer Charme, sein menschenfreundlicher Humor - das alles macht das 260-Seiten-Büchlein zu einem amüsanten Leseerlebnis.

Schade ist nur, dass Theo seine Kooperation mit dem neugierigen Onkel vor mittlerweile zwei Jahren eingestellt hat. Der pubertierende Neffe verweigerte weitere Interviews, Daniel Glattauer musste das "Projekt Theo" bis auf weiteres ad acta legen. Inzwischen ist Theo sechzehn. Wie geht es ihm heute, abgesehen davon, dass er seine fußballerische Karriere beim SC Mauerbach intensiv weiter betreibt?

Sein Onkel weiß Bescheid, will aber nicht zu viel verraten: "Da möchte ich mich ein bisschen bedeckt halten, und zwar in seinem Sinne. Im Prinzip ist er mit den Büchern und mit dem, was da um ihn herum passiert, zufrieden. Es taugt ihm, es ist ihm nicht peinlich, er geniert sich nicht. Aber er will auch nicht in der ersten Reihe stehen. Ihm ist das sehr angenehm, dass ich die Interviews geben muss und nicht er. Das öffentliche Interesse, das da jetzt auf ihn zukommt, damit möchte er nichts zu tun haben. Was ihn viel mehr freut - das habe ich jetzt gemacht, als vorläufig einmalige Aktion: Ich habe ihm als meiner Hauptfigur ein sattes Honorar übergeben, er hat schließlich ein Anrecht darauf, ein bisschen an meinem Erfolg mitzuschneiden. Finanziell taugt ihm das als Sechzehnjährigem sehr", weiß der Autor.

Daniel Glattauer hat seinem Neffen als Gratifikation einen vierstelligen Euro-Betrag überwiesen. Was wird Theo mit dem Geld anfangen? Wird er es auf den Kopf hauen, wie viele 16-Jährige es täten? Nein, er will es sparen. Braver Theo.

Service

Daniel Glattauer, "Theo. Antworten aus dem Kinderzimmer", Deuticke Verlag

Hanser Verlage - Theo