Eine Visite auf Österreichs größter Baustelle

Wiens neue Mitte

Wer Baustellen liebt und unfertige Bahnhöfe mag, wird sich wünschen, dass Wien genauso bleibt, wie es jetzt ist: Eine Ansammlung von riesigen und großen Bahnhofsbaustellen. Auf jene für den neuen Hauptbahnhof treffen zweifelsohne die meisten messbaren Superlative zu.

Baubeginn trotz Krise

So viel wurde geschimpft im Vorfeld - zu groß, zu teuer, zu viele Meter von der U-Bahn entfernt - aber jetzt wird gebaut. Und zwar im Eiltempo: Bereits 2012 soll der Teilbetrieb beginnen.

Auch wenn die Wirtschaftskrise Bauvorhaben massiv verteuert hat und die ÖBB sich aus ihrer selbsterzeugten Finanzmisere retten muss: Der Hauptbahnhof findet statt. Und was man nicht verhindern kann, damit könnte man sich ebenso auch anfreunden.

Einstiegshilfe in die nahe Zukunft

Probieren kann man diese Annäherung zum Beispiel mittels einer Baustellensafari. Das ist eine geführte Bustour quer durch die Baustelle, in einem komfortablen Reisebus und mit staatlich geprüfter Fremdenführerin als gut informierter Gutelaunemacherin.

Sie erzählt zum Beispiel, dass auf dem Gelände rund um den Hauptbahnhof 30.000 Menschen leben und arbeiten werden, und (auf Nachfrage) dass die Bauarbeiter sich selbst was kochen oder in der Kantine Rosi Mittagessen können.

Andrea Schwaiger, staatlich geprüfte Fremdenführerin, entdeckt bei den Baustellensafaris immer wieder Neues.

Bürger, informiert Euch!

Man erfährt auch, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung dem Bahnhofsprojekt eine tolle Umweltverträglichkeit bescheinigt hat, und dass es viele Radwege und keine Durchzugsstraßen geben wird. Zwei seltene Pflanzenarten müssen der Baustelle weichen, dafür wird es in der ganzen Station gratis Internet geben.

Schade ist nur, dass der Eintrittspreis mit neun Euro für Erwachsene zu hoch bemessen ist, um den Bus auch nur annähernd zu füllen. Dabei hätte man die Infotour im PR-Budget des Vier-Milliarden-Euro-Projektes doch sicher problemlos als "Bürgerinformationsveranstaltung" verbuchen können.

Favoritner Panoramablick

Eine weitere Hilfe, den schönen Südbahnhof zu vergessen und sich auf die strahlende Zukunft zu freuen, wollen die Stadt Wien und die ÖBB mit ihrem Infozentrum bieten, das dem Aussichtsturm "Bahnorama" angeschlossen ist. Der Holzturm ist der höchste begehbare in Europa und wurde am Beginn der Fußgängerzone Favoritenstraße - noch schnell bevor der Wahlkampf in Wien voll einsetzen würde - im August 2010 eröffnet.

Während Besucher ähnlicher Infotainment-Einrichtungen sich zuerst durch einen langweiligen Informationsbeschuss quälen müssen, um dann bei der Unterhaltung anzukommen, ist das hier anders. Zwar steht der Panoramalift am Ende des Parcours, doch scheinen die Besucher sich für die Ausstellung viel mehr zu begeistern, als für den spektakulären Ausblick. Das ist ungewöhnlich. Endlich eine Ausstellung in Wien, die von alt und jung gut besucht ist, freiwillig und mit spürbarem Interesse.

Symphonie der schweren Maschinen am Rand der Baustelle

Was das alles soll

In einem stockdunklen Kinosaal erklären auf drei Bildschirmen ÖBB-Vorstandsvorsitzende und Bahnhofsarchitekten (derer sind mehrere involviert), was der neue Bahnhof bringen soll. Zu den Hauptattraktionen im Besucherzentrum gehört eine Satellitenfototapete am Boden, die Dimensionen und Distanzen in Wien anschaulich macht.

Das Hauptbahnhof-Areal ist mit bunten Flächen eingefärbt worden, um zu demonstrieren was später irgendwann wo sein wird. Da hätte man doch lieber das Doppelgebäude des Süd- und Ostbahnhofs von oben betrachtet und sich gedacht: So schön war es früher.

Der Südbahnhof bleibt

Erstaunlich ist, wie schnell der Südbahnhof aus dem visuellen Gedächtnis verschwunden ist. Wir trauern zwar um den "Schmuddelcharme", den die zuletzt vernachlässigte, riesige Halle aus den 1950er Jahren hatte. Wir erinnern uns an Details wie die Löwenstatue, bei der man sich vor Reiseantritt versammelte, und an die Aufregung, die mit jeder Abfahrt gen Süden verbunden war.

Doch das Gebäude fehlt nicht. Es ist einfach fort, und stattdessen hat man einen großartigen Blick auf den Funkturm, das Arsenal und den Rand von Favoriten.

Der Wortschatz ist hingegen langsamer. "Ich wohne beim Südbahnhof", wird selbst von strengen Menschen noch nicht in "ehemaligen Südbahnhof" ausgebessert. Vielleicht wird der Südbahnhof zumindest als Begriff im urbanen Gedächtnis erhalten bleiben. Denn: "Ich wohne in der BahnhofCity", das geht nicht so leicht über die Lippen.

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Hauptbahnhof Wien - BahnhofCity