Ein vielseitiger Baustoff
Hoch hinaus mit Holz
Architektur aus Holz wird in Österreich meist mit dem ländlichen Raum assoziiert, dabei ist Holz ein gerade für Städte ausgesprochen praktischer Baustoff. Holzelemente sind leicht und vorproduzierbar und außerdem eine kostengünstige Alternative zu Stahl und Beton.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 21.09.2010
Keine Utopie
Als tragendes Material ist Holz auch für hohe Bauwerke gut einsetzbar. Besonders in den letzten Jahren haben sich Architekten gemeinsam mit Statikern, Ingenieuren und Handwerkern um einige zukunftsträchtige Neuerungen verdient gemacht - das Hochhaus aus Holz ist keine Träumerei mehr.
Vorzeigeprojekt "Bahnorama"
Zwar kein Wohnhaus, dafür aber der höchste begehbare Turm aus Holz steht seit kurzem am Rande der Baustelle des Wiener Hauptbahnhofs. Hier haben die ÖBB und die Stadt Wien ein Informationszentrum mit Panoramablick eingerichtet.
Der Turm sieht unfertig aus, als würde er sich nach oben hin auflösen. Die Konstruktion aus verschraubten, unbehandelten Fichtenholzbalken fügt sich deshalb gut in die Silhouette der Baustelle ein.
Holz als perfektes Material
Die RAHM architekten haben den Wettbewerb für die Gestaltung des Infozentrums "Bahnorama" nicht nur deshalb gewonnen, weil ihre Aussichtplattform mit 42 Metern noch höher als verlangt ausgefallen ist. Maßgeblich war auch die Materialwahl.
Die Entscheidung für Holz war trotz der Gesamthöhe von 66 Metern naheliegend, erklärt Architekt Hans Schartner: "Punkt eins: Welches Material eignet sich für ein temporäres Gebäude am besten? - also Kosten. Punkt zwei: Wie schaut es aus mit Montage und Demontage? Die dritte Frage war, welches Material das "nachhaltigste" ist - im Sinne einer Wiederverwertung oder, im schlimmsten Fall, einer Entsorgung.
"Für diese temporäre Nutzung ist ja immer wieder Holz als ein sehr interessantes und richtiges Material herangezogen worden. Im Fall von 'Bahnorama' ist es besonders schön, weil es in dieser Höhe und mit großer Schnelligkeit errichtet wurde. Es ist ein sichtbares Zeichen, das sicher hilft, in der Stadt ein Verständnis für den Werkstoff Holz zu bekommen, und wo man sieht, was man mit Holz machen kann", meint der Architekt Michael Schluder.
Hochhäuser aus Holz
Mit Holz könne man noch mehr machen und vor allem höher bauen, fügt Schluder hinzu. Ergebnis seiner Studie über mehrgeschoßigen Wohnbau aus Holz war, dass zwanzig Stockwerke technisch machbar sind.
Ab acht Stockwerken, der Hochhausgrenze, erhöhen sich allerdings die behördlichen Sicherheitsauflagen, zum Beispiel durch zusätzliche Fluchtwege, sodass auch die Baukosten erheblich steigen.
Michael Schluders Büro hat für die Wagramerstraße in Wien das mit sechs Geschoßen bislang höchste Wohnhaus aus Holz in Österreich geplant, Baubeginn ist im Frühjahr. In der Schweiz und in Berlin stehen bereits Wohnhäuser mit sieben Stockwerken und in London wurde 2009 ein neungeschoßiges aus Holz gebaut - in Rekordzeit: drei Arbeiter benötigten für ein Stockwerk von 500 Quadratmetern nur eine Woche.
Der Beginn einer Planung sei schwierig, weil teilweise die Mitstreiter, die man braucht, um solche Projekte umzusetzen, in der Vielzahl nicht vorhanden seien. Die Umsetzung könnten aber dann nur eine Handvoll Leute bewerkstelligen, meint Schluder.
Holz aus Österreich in London
In London war die Materialwahl übrigens auf die kleine Baustelle zurückzuführen. Wände und Decken aus Holz können nämlich in Fertigteilen vorproduziert und dann vor Ort sehr schnell und witterungsunabhängig zusammengesteckt werden - ähnlich wie Plattenbauten aus Beton, nur wiegt Holz weniger.
Importiert wurden diese Elemente für das Londoner Hochhaus aus Österreich, denn eine österreichische Firma hat das sogenannte Kreuzlagenholz entwickelt. Der Vorteil dieser neuen Technologie ist, dass sich das Holz nicht verzieht.
Holz ist berechenbar
Skeptisch sind viele ob der Sicherheit von Holzkonstruktionen im eng verbauten, urbanen Raum. Offenbar hält sich immer noch die Angst vor weitflächigen Bränden wie im Mittelalter.
Diese ist aber teilweise unbegründet: Wenn Holz brennt, kann man auf die Minute genau berechnen, wie lange die Konstruktion noch standhält und entsprechende Evakuierungs- und Löschmaßnahmen setzen - das ist bei Stahl anders. Dennoch gelten in Österreich bei Holzbauten strengere Brandwiderstandsregeln.
"Hier darf man ohne besondere Maßnahmen und Brandschutzkonzepte nur vier Geschoße mit Holz bauen. In London gibt es diese Beschränkungen nicht - man kann theoretisch so hoch bauen wie man will, egal mit welchem Material. Man muss nur die Feuerwiderstandsklassen einhalten. Das kann Holz. In London sind sogar die Treppenhäuser und Aufzugsschächte aus Holz gebaut", erzählt Anne Isopp. Sie ist Architektin, Publizistin und Chefredakteurin des Fachmagazins "Zuschnitt".
Strenge Gesetze
Die RAHM architekten hätten die Aufzüge beim "Bahnorama" gerne mit Holz eingehaust, das war aber aufgrund des Gesetzes nicht möglich. Es gibt jedoch Bestrebungen, die Normierungen nachzujustieren und auf die Eigenschaften von Holz als konstruktiven Baustoff besser abzustimmen.
Anne Isopp ist über die gegenwärtige Lage verwundert: "In der Baugesetzgebung ist noch nicht so viel erlaubt, wie es möglich wäre. Es ist die Frage, warum es hier nicht geht, wenn es in England und selbst in Deutschland schon viel mehr geht. Es ist ein bisschen skurril, weil es hier das Know-how und das Potential zu neuen Entwicklungen gibt."
Ein nachhaltiger Baustoff
Wenn es gesetzlich möglich ist, hoch zu bauen, dann könnte Holz zu einem Stahl und Beton gleichberechtigten Werkstoff werden. Für Michael Schluder gilt es, jenen Entwicklungs- und Verbreitungsgrad zu erreichen, der eine freie Wahl zwischen Materialien zulässt. Dann könnte man bei gleichen oder geringeren Kosten das Material nach Verfügbarkeit auswählen, was im Sinne der Nachhaltigkeit Transportwege spart.
In kleinem Maßstab seit jeher erprobt, hat Holz daher realistische Chancen, auch für Großprojekte das Baumaterial der Zukunft zu werden, besonders wenn Ressourcen knapp sind und Städte immer dichter werden.
Das "Bahnorama" bei der Baustelle Hauptbahnhof ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.